| Partnersuche im Mittelalter »Der Aberglaube ist ein Kind der Furcht, der Schwachheit und der Unwissenheit« befand Friedrich der Große einmal. Und wie zählebig doch dieses Kind ist! Bis heute hat sich der eine oder andere Aberglaube erhalten – und zwar nicht nur beim Bühnenvolk, wo man sich vor Premieren mit »ToiToiToi« über die Schulter ‚spuckt, weil der Speichel als traditioneller Gegenzauber alle bösen Geister abwehrt. Dass dann auf solchen Glückwunsch nicht gedankt, sondern höchstens ein optimistisches »wird schon schiefgehen« entgegnet werden darf und überdies auf der Bühne prinzipiell kein noch so harmloses Pfeifen, Essen oder gar das Tragen von Hüten gestattet ist, wird wohl manch einer dem kapriziösen Nervenkostüm des Bühnenvolkes anlasten. Aberglauben im Alltag? Nie.
Außer: Beim Anstoßen mit Trinkgläsern, welches Glück bringen und den Teufel verjagen soll, beim Polterabend vor der Hochzeit, dessen Lärmen die bösen Geister austreibt, beim »Gesundheit«-Wunsch, der seit Pestzeiten auf jedes Niesen ausgesprochen wird – selbst, beim Gähnen die Hand vor den Mund zu halten ist nicht nur Indiz für eine gute Kinderstube, sondern hindert vorrangig die guten Geister an ihrem Entfliehen!
Die Spuren des Aberglaubens sitzen also tiefer, als man annehmen sollte, und wenn junge Hexen von heute auf der New-Age-Linie Gebrauchsanweisungen aus flink neuaufgelegten und aktualisierten Hexenratgebern studieren und dann symbolisch ihre Konkurrentinnen einfrieren oder im Verborgenen Rezepte für Liebestränke und Gegenzauber mischen, die dann natürlich spätnächtens und unter gruseligen Umständen ihre Wirkung entfalten sollen, dann werden uralte Traditionen fortgesponnen.
Denn gerade das Mysterium der Liebe, von der weder Psychologie noch Medizin ausreichend zu erklären vermögen, warum und wann sie wen anfällt, hat die Gemüter der Abergläubischen wohl mehr erhitzt, als jeder andere Lebensbereich. So findet sich vom schlichten wie schmackhaften Selleriegericht bis zum Gebräu aus diversen Körpersekreten eine große Bandbreite von Rezepten, denen man aphrodisierende Wirkung zuschreibt und bei der Vielfalt von Liebeszaubern, die geübt werden wollen, taucht unwillkürlich die Frage auf, wie hierzulande Scheidungsrichter überhaupt noch ihr Auskommen finden können.
Sollte sich nur noch nicht herumgesprochen haben, dass ein heimlich ausgerissenes und am Pendel der heimischen Uhr befestigtes Haar den Gatten immer wieder auf den richtigen Weg – nämlich den nach Haus, zur (hoffentlich ebenso) treuen Gemahlin – führen wird? Oder ist es der Einzug der Quarzuhr, der hier in Wirklichkeit die Gefährdung des Eheglückes bedeutet?
Doch vor der Bewahrung der Ehestandsfreude ist natürlich erst einmal die Wahl des richtigen Gatten entscheidend und auch hier weiß Volksbrauch und Aberglaube mehr als einen Ratschlag. In den Losnächten, also beispielsweise zu Weihnachten, Sylvester oder an den Tagen der Heiligen Andreas (30. November) oder Thomas (21. Dezember) empfiehlt es sich besonders, die Wahl des Eheliebsten in die Hand zu nehmen. Vielleicht mögen da auch lange Winterabende die Einsamkeit besonders spürbar gemacht und dem Wunsch nach Ehezweisamkeit eine gewisse Dringlichkeit verliehen haben?
Die für die Bräutigamsschau gebräuchlichen Riten divergieren je nach Region und fordern unterschiedlich starkes Engagement der Heiratswilligen. Übrigens wurden sie durchaus nicht nur von jungen Frauen geübt, auch Männer nutzten die Andreasnacht zur spirituellen Brautschau, wie schon der Barockdichter Friedrich von Logau (1604 – 1655) wußte: Wan St. Andreas-Abend kümt pflegt jeder, der sich will beweiben, auch die, die sich bemannen wil, ein hitziges Gebet zu treiben.
(Handbuch des Aberglaubens in 3 Bänden, Wien 1996)
Wie muss man sich nun dieses hitzige Treiben vorstellen? Hilfreich konnte ein Sprüchlein an den heiligen Heiratsvermittler sein, so hieß es in der fränkischen Heimat von Siegfried Wagner: Mees, Mees, Heiliger Andrees, Gib, dass ich dieser Nacht Den doch seh, Mit dem ich einst vor'm Altar steh.
(Eberhard Wagner: Vom Aberglauben in Franken, Nürnberg 1973)
Der zugedachte Bräutigam erschien seiner Braut dann im Traum oder im Flackern des Ofenfeuers. Dass man dann allerdings das Traumbild noch in der Realität auffinden musste, scheint erschwerend hinzugekommen zu sein. So jammert ein Bürgermädchen in »Faust I« über ihre Suche nach dem Ausersehenen: Ich seh mich um, ich such ihn überall, Allein, er will mir nicht begegnen.
(Johann Wolfgang von Goethe: »Faust I«, in der Szene »Vor dem Tor«)
Auch ein heimlich gesammelter Kräuterkranz sollte die Vision des Zukünftigen bewirken können oder die Mädchen konnten auf einem Kreuzweg auf den nächstbesten Mann warten und einen Kuss von ihm erzwingen. Der Taufname des Mannes sollte auch der ihres zukünftigen Ehemanns sein – bei der rabiaten Küsserei ist freilich nicht auszuschließen, dass der Zwangsgeküsste gleich selbst zugreift und somit dem Orakel diese Weitläufigkeit erspart.
Im Fichtelgebirge, dem Mittelgebirge vor Bayreuths Toren, wurde der gleiche Effekt durch »Semmelbeißen« erzielt, wobei man mit drei Bissen eine halbe Semmel (Brötchen) auf der Straße zu essen hatte. Der Mann, dem man darauf begegnete, gab entscheidende Hinweise auf den Zukünftigen – ließ sich allerdings kein Mann sehen, so war eben im nächsten Jahr nicht mit einer Hochzeit zu rechnen.
Auch allerhand geselliger Spuk wurde getrieben, so war das Bleigießen einst in dieser Nacht ebenso populär wie das »Schüchelwerfen« (Schuhwerfen), wo ein über den Rücken in Richtung Tür geworfener Schuh durch seine Lage ankündigen sollte, ob man im folgenden Jahr das Elternhaus verlassen und sich verheiraten könne. Als Orakel musste manchmal ein Gänserich herhalten, der in einem Kreis aus jungen Mädchen auf diejenige zuzugehen hatte, die als nächste unter die Haube kommen würde. Gruseliger als diese vergleichsweise harmlosen Spielchen muss es wohl zugegangen sein, wenn man sich in der Gegend um Hof (nördlich von Bayreuth) um Mitternacht zum »Horchengehen« auf ein Feld begab und dort versuchte, aus den in der Stille erlauschten Geräuschen und Lauten die Prognose für das nächste Jahr zu erstellen. Einen zumindest groben Aufschluß über die Richtung, aus der man mit dem Bräutigam zu rechnen habe, erhofften sich heiratswillige Mädchen aus dem Rütteln von Bäumen und Gartenzäunen: Wurde hierdurch ein Hund aufgestört und bellte, bot dies einen Hinweis auf die Herkunft des Zukünftigen. Erschwerend hinzu kam bei manchen dieser Bräuche, dass sie von den zukünftigen Bräuten ungesehen, im Stillen oder gar in Nacktheit geübt werden sollten.
Was allerdings die Mädchen in Bruder Lustig anfangen, um dem Schicksal in die Karten zu sehen, entfernt sich von solch vergleichsweise harmlosen Treiben: Hier wird mit Hilfe der zauberkundigen Urme eine Beschwörung des Mannes erreicht, der leibhaftig zu Tisch erscheint. Was bei dem Orakel für Rüle noch ein plumpes und eigentlich leicht durchschaubares Konstrukt war, erwächst sich bei der Vision Walburgs zu schwarzer Magie, Hexenwerk. Schon die unterschiedlichen Zaubersprüche, die für beide Gelegenheiten angewandt werden, weisen darauf hin – bei Rüle heißt es »Hocus pocus nur zum Schein«, bei Walburg aber werden alle möglichen dienstbaren Geister der Hölle angerufen und schließlich bekommt der personifizierte Albtraum den Auftrag: »Mare! Mare! Quäl' den Gatten!«.
Die Beschwörung Konrads ist für diesen daher auch kein Mädchenunfug, er hatte sie als traumatisierende Vision erlebt und dass seine frisch angetraute Gattin ihn mittels Hexerei herumgekriegt haben soll, nagt an seinem Selbstwertgefühl. Nähere Erläuterung dazu bietet die Grimm-Sage »Andreasnacht«, wo es heißt: Es ist Glaube, dass ein Mädchen in der Andreasnacht, Thomasnacht, Christnacht und Neujahrsnacht seinen zukünftigen Liebsten einladen und sehen kann. Es muss einen Tisch für zwei decken, es dürfen aber keine Gabeln dabei sein. Was der Liebhaber beim Weggehen zurückläßt, muss sorgfältig aufgehoben werden, er kommt dann zu derjenigen, die es besitzt und liebt sie heftig. Es darf ihm aber nie wieder zu Gesicht kommen, weil er sonst der Qual gedenkt, die er in jener Nacht von übermenschlicher Gewalt gelitten und er des Zaubers sich bewusst wird, wodurch großes Unglück entsteht.
(Jakob und Wilhelm Grimm, Deutsche Sagen, München und Leipzig 1911, Nr. 114)
Man muss kein großer Psychologe sein, um nachvollziehen zu können, wie furchterregend die Vorstellung solch machtvollen weiblichen Hexenzaubers für die Junggesellen jener Märchen- oder Sagen-Zeiten gewesen sein mag, wo eben einerseits »das Wünschen noch geholfen hat«, andererseits aber eben das »Verwünschen« ebenso!
Ein Münchner Edikt aus dem Jahr 1611 versuchte darum auch ganz ernsthaft, solch zauberkundigem Umtrieb einen Riegel vorzuschieben. Dort hieß es in einem »Verzaichnis und Spezification etlicher derjenigen Künst und Sortiliegien, auch Superstitionen und Aberglauben, welche in gegenwertigem mandat verbotten (…)«, es sei auff diejenige acht zu geben, welche an s Andreas, s Thomas und der h christnacht, oder an andern dergleichen nächten schädliche superstitiones, das ist aberglaubische sträfliche wort oder werk gebrauchen, verborgene haimbliche und künfftige ding, ihres standts, verheuratung und andershalben zu erfahren, ob sie nit solches in dess bösen geists namen thun und verrichten, wie vor diesem wol exempla fürkommen.
(Friedrich Panzer: Bayerische Sagen und Bräuche, München 1848)
Hier lassen Inquisition und Hexenverbrennung bestens grüßen! Und das alles, weil nervöse, unbefriedigte und bereits leicht »abgestandene« Jungfern ihre ersehnte Hochzeit nicht erwarten können? Weil Männer Angst bekommen vor so viel versteckter Frauenmacht und Heimlichkeit?
Es steckt mehr dahinter in einer Zeit, in welcher die Heirat für eine Frau den zentralen Machtwechsel bedeutet, ihr Schicksal von der Hand des Vaters direkt in die des Gatten übergeben wurde. Die Gattenwahl war da mehr als »nur« eine Frage von Liebe und Geliebtwerden, sie stellte die entscheidende materielle und substantielle Weiche im Leben der Frau. Von Temperament, Charakter, aber auch Ansehen und Strebsamkeit ihres Zukünftigen hing ihr Leben direkt ab – »bis dass der Tod Euch scheide«. Von einem Mangel der Selbstbestimmung der Frau, aber auch von dem Bewußtsein ihrer Fremdbestimmung durch den Gatten sprechen daher auch die Riten der Andreasnacht. So heißt es in einem der Beschwörungssprüche: Soll er mit mir in Freuden sein, so lass ihn erscheinen mit Bier und Wein. Soll er mit mir leiden Not, so lass ihn erscheinen bei Wasser und Brot. Soll er mit mir ziehen über Land, so gib ihm den Stab in die rechte Hand.
(Carl Friedrich Glasenapp: Siegfried Wagner und seine Kunst, Leipzig 1911)
In Wunsiedel bei Bayreuth stellte daher ein Mädchen auch Wasser und Wein auf, bevor es sich in der Andreasnacht zur Ruhe legte – trank der nächtlich im Traum Erscheinende vom Wasser, so war ihm ernst mit einer Heirat, wer aber den Wein vorzog, das war ein liederlicher Geselle und aus den Eheplänen mit ihm konnte nichts werden. Solche Überlegungen zeugen von dem Versuch, die eigene Hilflosigkeit und Unfreiheit in der Lebensführung auszutricksen, vom stillen Kampf der kleinen ‚Hexen gegen eine ganze Gesellschaftsstruktur. Karl August Varnhagen von Ense bemerkte: »Wir haben es leicht, verständig und helldenkend zu sein, nachdem frühere Geschlechter für uns den Aberglauben hatten und ihn erschöpfen mussten.« (Marianne Bernhard: »Aberglauben. Von der schwarzen Katze bis Freitag den 13.«, München 1984)
In Bruder Lustig ist der Aberglaube der Andreasnacht ein Irrglaube. Obwohl (oder weil?) schwarze Magie im Spiel ist, finden nicht die »richtigen« Paare zusammen, weder bei der vorgespiegelten Bräutigamsschau Rüles noch bei der Hexerei um Walburg und Konrad.
Man müßte das Ende dieser Brautschau als trauriges Exempel über Leichtsinn und Aberglaube verstehen … hätte nicht jeder auch noch so aufgeklärte Zeitgenosse noch eine Spur alten Aberglaubens in sich! Trösten wir uns mit Alexander Pope: »Aberglaube ist der Spleen der Seele.« Sabine Busch-Frank
Quelle: Programmheft Bruder Lustig, Theater Hagen 2000 (mit freundlicher Genehmigung des Autors)
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