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Anmerkungen zu Siegfried Wagners »Sternengebot«

Internationale Siegfried Wagner Gesellschaft e.V., Bayreuth

 

Inhaltliche Aspekte der Oper

Sternengebot, Siegfried Wagners fünfte Oper (1906), beendete seine erste Schaffensperiode, die – eingeleitet durch die Märchenoper Der Bärenhäuter – neben sozialen Problemen die Folgen abergläubischer Wahnvorstellungen und parapsychologische Phänomene behandelt: Der Kobold, Bruder Lustig, Herzog Wildfang.

 


Manische Phänomene

Helferich, die männliche Hauptfigur in Sternengebot, erklärt Agnes den Zusammenhang von Wahn und Schicksal und beendet damit zugleich die dramatische Behandlung des Aberglaubens im Schaffen des Dichterkomponisten.

Die in der zeitgenössischen Presse widersprüchlich beantwortete Frage, ob Siegfried Wagner den Aberglauben toleriere, oder in seinen Werken »eine scharfe Verurteilung von blindem Fanatismus und Aberglauben« ausspreche, beantwortet Franz Stassen biographisch:

    »Alles Ekstatische, alles was nach einer Theosophie und nach Spiritismus roch, das war ihm unheimlich: ‚Nichts für einen, der gern mit beiden Füßen auf der Erde steht – ‚Es mag etwas dran sein, aber nichts für mich.«


Biographisches

Der oben zitierte Ausspruch läßt die Vermutung zu, dass es sich bei Helferich um eine autobiographische Figur handelt. Dies besagt tatsächlich auch der Name der dramatis persona, der identisch ist mit dem zweiten Vornamen des Komponisten: Siegfried Helferich Richard.

Helferich in Sternengebot ist der hilfreiche Held, der den Dingen auf den Grund geht, ohne sie zu zerstören, der eine Vorbestimmung wissentlich und freiwillig erfüllt, wobei er auf sein Glück um das Glück anderer willen verzichtet. Die Entschlüsselung der Allegorie ist einfach: der Dichterkomponist ist durch Namen und Erbe an das Bayreuther Werk gebunden, das er auch mit all seinen Kräften erfüllt und erneuert; hierdurch jedoch wie durch die an ihn herangetragenen Erwartungen der Öffentlichkeit wird er im eigenen Schaffen behindert.


Aussage

Die Sentenz der Agnes aus dem Schlußgesang:

    Höher als aller Sterne Gebot
    Waltet ein Zweites: Des Herzens Gebot

ist die in den Musikdramen Siegfried Wagners des öfteren ausgesprochene Ansicht, dass die durch das Gefühl erfaßte und sodann rational untermauerte Meinung eine höhere Wertigkeit hat als jegliche Form von Ordnung und Gesetz. Der Komponist erkennt das Ankämpfen gegen Schicksal als sinnlos. Helferich übt konstruktiven Anarchismus: er durchkreuzt die monarchischen Pläne Konrads und setzt sich selbstlos für das Leben des jungen Heinrich ein. Er entschwindet dem Reichsverband, dessen Herrscher er durch die Heirat von Agnes werden könnte.


Symbolik

Sternengebot ist eine symbolische Oper. Die interessanteste, für die Rezeption schwierigste Gestalt ist der Kurzbold, historische Erscheinung (Kurzibold) gepaart mit Freudscher Traumgestalt und der Psyche eines BuckIigen. Auf dem Theater ist ein körperlich kranker Mensch meist Ausdruck für seelische Verkrüppelung, so auch hier. Er, der uneheliche und entartete Sohn des Salierherzogs, haßt seinen Vater und alle möglichen Thronfolger: den jungen Heinrich den Kalwen sowie Helferich von Lahngau und scheut dabei weder Intrige noch Mordversuch.

Kurzbolds Monolog im ersten Akt breitet dessen Psyche klar aus: er will die ihm verhaßten Personen gegeneinander ausspielen. Die Nacht, in der dies passieren soll, wird durch das Symbol der Spinne, das Schicksal von Helferich, Heinz, Herbert und Herzog Konrad durch das Spinnengewebe symbolisch ausgedrückt. Im Bild der Spinne und des Spinnennetzes umreißt er somit bildhaft seine Machenschaften.

Als ungebetener Magier auf dem Hoffest im dritten Akt dient er als Medium: er will drei Schatten herbeizitieren, nachdem er zuvor mit zwei Büsten das gute (Agnes) und das schlechte Gewissen (Konrad, Adalbert) angesprochen hat. Unter seinem suggestiven Einfluß erblickt sich Agnes im Traum mit dem ungeliebten Bräutigam Adalbert auf dem Ritt zu einer Totenhochzeit. Weiter taucht Kurzbold in der Oper nicht mehr auf; seine Funktion hat sich mit dieser Warnung erfüllt.

In der Oper gibt es zwei Sonnenhelden: Heinrich und Helferich. Im Einsatz der Sonnen- und Lichtsymbolik zeigt sich eine Parallele zu Maeterlincks »Pelléas«: Helferichs Entsagung gegenüber Agnes zugunsten der Rettung des jungen Heinrich fällt zusammen mit dem Sonnenuntergang. Dem freiwillig in den Kreuzzug ziehenden Geliebten ruft Agnes nach:

      Der Wolken dräuendem Schwarz zum Trotz
      Baut Sonne Liebe den Regenbogen!
      Grad dort, wo es am düstersten starrt,
      Strahlen der Farben duftige Wogen!
      Himmelsbrücke! Liebesband!
      Wohin er schied, auf dir folgt ihm mein Herz.

Der »krause Wald« des Vorspiels mit der Seherin ist ein tiefenpsychologisches Gestrüpp, eine geistige Falle, auch für den nur lauschenden Helferich. Die Symbolik arbeitet stark mit Sexualsymbolismen:

Gleich in der ersten Szene jubelt Agnes den Vögeln zu, gibt ihnen den Auftrag zu Helferich zu fliegen und ihm ihre Liebe zu künden (»O flög ich mit euch durch luftiges Reich!«). In ihrer Erinnerung (3. Akt) identifiziert sie sich mit dieser Wunschvorstellung. Ihre jungfräuliche Sexualität ist ein interessanter Kontrapunkt zur bestrickenden Erotik der Julia. Sie gipfelt in Agnes bewußt doppeldeutigem Ausspruch: »Der Ritter war nachts – bei mir«; die Anwesenden müssen die Aussage aufgrund des Contextes auf die Mordnacht beziehen, während Agnes die gerade vergangene Nacht meint.


Musik

Erstmals stellt Siegfried Wagner seiner dreiaktigen Oper kein Orchestervorspiel voran. Nur 68 Takte des fugierten Schicksalsthemas leiten das szenische Vorspiel ein. Impressionistische Einflüsse sind außer in der Julia-Szene in dieser Partitur noch kaum zu spüren; die stark romantische Tonsprache dominiert in den Kurzboldszenen, beim Turnier des zweiten Aktes und im Schlußgesang der Agnes.

Die Situationsmotivik ist sehr stark ausgeprägt. Das Herzog Wildfang-Thema wird durch Konrads Worte:

    Reiß ihm die Krone vom Haupt,
    des Diadems falsch flimmernd lockenden Schein!
    Des Purpurmantels beraubt,
    Seiner eitel fallenden Falten!
    Ein Bettler laß mich sein!

mit einem neuen Sinn unterlegt.

Die Frage, ob es sich um eine musikalische Tragödie handelt, ist zu verneinen, das Drama klingt – trotz Entsagungsmelodik – in einem klaren D-Dur aus, der Hoffnung auf eine fernere, bessere Zukunft.


Schluss oder Nichtschluss ?

Glasenapp fügt seinen Betrachtungen über Sternengebot einen Aufsatz »Über den Ausgang der Handlung« an, nachdem in Rezensionen verschiedene Ansichten darüber geäußert wurden, ob Agnes sich nach einiger Zeit des Schmerzes doch Heinrich zuwenden werde, womit auch der zweite Teil der Weissagung (Heinrich naht als Freier der Agnes) in Erfüllung gehen würde. Glasenapp teilt diese Ansicht nicht. Ebensowenig stimmt er der Auffassung einiger Rezensenten zu, das Stück benötige zur Rechtfertigung seines Titels eines zweiten Teiles.

Dennoch bin ich der Meinung, dass es eine Art von (negativer) Fortsetzung gibt: in der Oper Sonnenflammen verweilt der fränkische Ritter Fridolin, der sich aus Ehrengründen (»Die Ehre einer Frau zu retten«, Sternengebot III) einem Kreuzzug angeschlossen hatte, vor der Erfüllung seines Gelübdes in Byzanz. Ihn halten neue Liebe und bisher ungekannte Leidenschaften. In den Flammen des untergehenden Kaiserreiches kommt er um …


Peter P. Pachl


Quelle: Pressespiegel zur Siegfried-Wagner-Woche (Sonderausgabe der Mitteilungen der Internationalen Siegfried Wagner Gesellschaft e.V.), Wiesbaden 1977 (mit freundlicher Genehmigung des Autors) 
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