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Also heute abend geht der Teufel los

Internationale Siegfried Wagner Gesellschaft e.V., Bayreuth

 

Zu Siegfried Wagners op. 6

Mit seinem Opus 6, Banadietrich, begibt sich Siegfried Wagner gefährlich nahe an den mythischen Stoffkreis seines Vaters. Der Hunnenkönig Etzel und seine Söhne, mitsamt dem alten Kämpen Hildebrand, sie kommen zwar im »Ring« nicht vor, aber der Durchschnittszuschauer assoziiert sie – aufgrund des Nibelungenliedes, das Richard Wagner allerdings nicht verwendet hat – der Umwelt der Nibelungen zugehörig. Dietrichs Schwert Balmung scheint ebenso ein Pendant zum Schwert Nothung im »Ring des Nibelungen« zu sein, wie die Nixen und Schwanjungfrauen als Schwestern der Rheintöchter gelten könnten. Aber weit gefehlt. Die Nähe zu Vaters Opus zeigt bei Siegfried die Distanz – wenn nicht gar eine leise Kritik. Sein Heldendrama ist ein Zauberstück, das mehr die Linie Raimunds fortsetzt, dem er bereits mit seinem Jugendwerk, dem phantastischen Lustspiel »Kahlinchens Traum« gehuldigt und nachgeeifert hatte und das eher versucht, an ein volkstümliches Zaubertheater à la Schikaneder anzuknüpfen, als an den Kosmos der »Ring«-Tetralogie. Er häuft an Theatereffekten, was die Handlung nur gerade verkraften kann: da fliegt Dietrich auf einem Zauberdrachen weg, während seine Burg in Flammen aufgeht, einer Flasche entgleitet eine Schlange, einer andren ein Feuer, ein Goldregen verwandelt sich in faules Laub, zweimal zieht eine Hammelherde über die Bühne. Im dritten Akt mehren sich die Wunderdinge. Da sieht der Ausgestoßene, was andere nicht wahrnehmen: Irrlichter, Elfen und Waldschrate. Er erschlägt den Tod, dessen Knochen der Teufel aufsammelt, um sie anschließend wieder zu leimen. Eine zertretene Blume singt im Sterben, Gott selbst versucht, ins Geschehen einzugreifen, und dann entfesselt sich die wilde Jagd … Danach folgt noch eine schnelle Verwandlung in die Tiefe eines Sees mit Schwanjungfrauen und Nixen.

In der Häufung von theatralen Effekten erkennt man den Komponisten der Szene. Auch die Sprache ist weniger pathetisch als vielmehr komödiantisch. Musikalisch reiht sich die Partitur nahtlos an die vorigen, zitiert sie doch – wie stets bei Siegfrieds Opern – ihre Vorgänger, da gleiche Stimmungen für den Komponisten zwangsläufig gleich klingen. So klingt die Hirten-Idylle so wie im frühen Lied Schäfer und Schäferin, und der in dieser Oper in drei Figuren aufgespaltene Teufel wird selbstverständlich mit jenen Motiven ausgestattet, denen der Hörer schon im Bärenhäuter und jeweils dann in den nachfolgenden Werken begegnet ist, wenn von irgendeiner Teufelei die Rede war.

Besonders gut gelingt dem Komponisten die Zeichnung der Wilden Jagd, mit einem Rittmotiv, das – wie auch schon der Totenritt im Sternengebot – die Patenschaft von Hector Berlioz nicht leugnen kann, an den auch die Zeichnung,der Irrlichter vage erinnert. Col legno schlagen die Streicher, die Flöte fährt wie ein Peitschenknall dazwischen, und die Blechbläser stimmen ein jazzartiges Thema an, das Pretzsch in seine thematische Analyse nicht aufnimmt, das aber zwanzig Jahre später als ein zentrales Thema in Weills »Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny« erklingt. Ein Zufall? Möglicherweise hat Weill die Partitur gekannt, denn Banadietrich ist Engelbert Humperdinck gewidmet, dem ehemaligen Lehrer Siegfrieds, bei dem Weill in Berlin Komposition studiert hat.

Sechs Jahre bevor Luigi Russolos Futuristisches Manifest die Geräuschkunst zu einem akustischen Genuß erklärt, verwirklicht Siegfried in der Partitur des ersten Aktes von Opus 6 Aleatorik: »ganz nach Belieben« sollen die Trommeln »verschiedenartig durcheinanderwirbeln«, um ein akustisch wildes Bild des Schlachtlärms zu zeichnen. »Man wird gut tun, die Donnermaschine mitzuverwenden, aber schwach, nicht vordringlich«, heißt es zu Beginn der ersten Szene, die damit offenbar dem gesteigerten Lärmpegel der Zeit zu entsprechen sucht … Und wenn Banadietrich den Tod in Stücke haut, empfiehlt der Regisseur-Komponist, obgleich er es in der Partitur nicht notiert hat, »Geklapper« des Xylophons. Zweimal in dieser Oper, jedesmal im Zusammenhang mit dem Elementarwesen Schwanweiß, entfaltet der Komponist ein geradezu puccineskes Naturbild: in Wittichs Sonnengesang und bei Schwanweiß' Abschied, wenn die verkannte und verratene Frau, von der Welt enttäuscht, zurückgeht in ihre heimatlichen Fluten. Beide Nummern hat der Komponist auch als Konzertfassung mit eigenem Schluß herausgegeben, nicht aber die wohl wirkungsstärkste Szene, den Schwertertausch; mit dieser präfaschistoiden, in ihrer tonikavertrauenden Martialik direkt auf die Kriegsbegeisterung des ersten und zweiten Weltkrieges verweisenden Musik denunziert der überzeugte Antimilitarist Siegfried Wagner den Irrsinn jeglichen Vertrauens auf Waffenmacht.

Siegfried erwähnt beiläufig den Banadietrich in einer Ansprache an das Orchester und den Chor der Bayreuther Festspiele des Jahrgangs 1909, also ein Jahr vor der Uraufführung seiner neuen Oper; und immer wieder kommt er auf den Teufel zu sprechen:
 

  • Ist einer unter uns, der nicht an den Teufel glaubt? Hoffentlich nicht! Ich glaube an ihn, ja ich weiß, dass es einen gibt. Ja, ich weiß noch mehr: es gibt zwei Teufel – einen deutschen und einen undeutschen … Deutsch ist in diesem Falle gleichbedeutend mit »humoristisch«. Den deutschen Teufel wollen wir auffassen, wie Dürer ihn mit seinem Blatte Ritter, Tod und Teufel gezeichnet hat. Das ist der Teufel, der uns Deutschen, ja, vielleicht allen Menschen Not tut: einer, der uns zwickt zur rechten Zeit, wenn wir übermütig werden wollen … Ich kenne ihn gut. Er machte sich schon einmal meinem Hans Kraft gegenüber recht bemerkbar, er kommt auch nochmal zu seiner vollen Entfaltung in meinem Banadietrich. Er hat etwas Erheiterndes an sich, und man merkt es ihm ordentlich an, dass er sich selber freut, wenn er am Schlusse der Geprellte ist! … Dieser deutsche Teufel, ich wiederhole es, er tut uns Not und wir lassen uns ruhig sein Zwicken gefallen.
     

Den »undeutschen Teufel« bezeichnet Siegfried Wagner dann als »unfrohen Teufel« und fährt fort: »Sollte der eine oder andere von Ihnen ihm zufällig, nachts auf einem Kreuzwege begegnen … Zum Teufel dieser Teufel!«

Die vom Komponisten gezogene Parallele der Auftritte des Teufels in seiner ersten und in seiner sechsten Oper bezieht sich wohl in erster Linie auf den Politiker-Teufel und auf den Teufel in seiner eigenen Gestalt. Hiervon ausgenommen scheint der zweite Teufels-Auftritt in Banadietrich, der des Magister Flederwisch.

Im zweiten Akt nämlich trifft sich der Teufel mit der bigotten Frau Ute zum Plausch, so wie eben Magier und Hexe von Zeit zu Zeit Kaffeekränzchen halten, oder wie weiland der nationalistische Ideologe Houston Stewart Chamberlain zu seiner Schwiegermutter, Frau Cosima Wagner, zum Tee kam – oder ein paar Jahre später Hitler zu Frau Winifred (der Frau Siegfried Wagners) zur Leberknödelsuppe, für die er, der offiziell als Vegetarier auftrat, den Decknamen »Hoppelpoppel« wählte. (Also die Fleischsuppe nannte er so, nicht die Freundin, die nannte er Wini, wofür die ihn postum USA nannte, »Unser Seliger Adolf«.) – Groteske Zusammenhänge tun sich da also auf; und Siegfried Wagner notierte in seinem Regiebuch von Banadietrich – wenn auch nicht direkt auf dieserart Teufeleien bezogen –: »Man scheue sich doch ja nicht vor dem Grotesken!«

In den Jahren 1929 bis 1940 schrieb Michail Bulgakow seinen – auch wiederholt dramatisierten und als Oper vertonten – Roman »Der Meister und Margarita« mit der schillernden, dämonischen, aber keineswegs bösen Figur des Teufels. Der elegante, u.a. auch als Zauberer in Erscheinung tretende Teufel führt bei Bulgakow den Namen Voland. Auch in Siegfried Wagners zwanzig Jahre früher entstandener Oper trägt der in diverse Gestalten aufgeteilte Teufel den Namen Voland. Und wie später bei Bulgakow ist dieser Voland Drahtzieher, Gelehrter und Zauberer in einer Person. In seiner ureigenen Gestalt, gegen Ende der Handlung, singt Siegfried Wagners Teufel das lyrischste Lied, das wohl je einem Teufel in den Rachen gelegt wurde, das schumannesk hinschmelzende Lied über die unschuldige, kleine Blume – zu schön, um ehrlich gemeint zu sein.

Am 23. Januar 1910 findet im Großherzoglichen Hoftheater von Karlsruhe die Uraufführung von Banadietrich statt. »Also heute abend geht der Teufel los«, schreibt Siegfried seiner Schwester Daniela. Während das phantastische Schlußbild des ersten Aktes, als Dietrich auf dem Rücken des Drachens davonfliegt, wie auch der effektvolle Schluß des zweiten und dritten Aktes gut gelingen, bleibt im optischen Eindruck gegenüber der rundum stimmigen musikalischen Ausdeutung einiges diskrepant. Wieder einmal hat man für den ersten und dritten Akt Versatzstücke aus dem Fundus der Richard-Wagner-Opern entnommen, und auf diese Weise finden sich Gibichungen, Lohengrin und Siegfried ein in jenem Werk, das gerade einen Schritt hinweg vom teutonischen Gehabe hin zu einem Kasperl- und Zaubertheater zu zeigen bestrebt ist.

Siegfried ist glücklich, dass es ihm diesmal gelungen ist, die Handlung ohne allzu viele Randepisoden knapp zu dramatisieren: »Ich habe noch nie so kurz geschrieben.«

 

Nb: Erst durch das Medium Tonfilm wurde der praktische Beweis angetreten, dass sich Töne in Lichtwellen verwandeln können und umgekehrt. In Siegfried Wagners Banadietrich besingt die Titelfigur, der verbannte Dietrich, wie Töne, aber auch Düfte, Bilder entstehen lassen. Wir begehen in diesem Jahr das Jubiläum »100 Jahre Film«. Einige Szenenanweisungen Siegfried Wagners in Banadietrich, etwa die Erscheinung des wilden Jägers in der dritten Szene des dritten Aktes, weisen geradezu voraus auf das Medium Film. Und tatsächlich war die vermutlich erste Oper, bei der ein Film zum Einsatz kam, die Oper Banadietrich: der Regisseur Erich von Wymétal verwendete in seiner Inszenierung, am 15. Mai 1912 in der Wiener Hofoper, für die wilde Jagd einen eigens gedrehten Film.


Peter P. Pachl


Quelle: Programmheft Festspiele Rudolstadt 1995 (mit freundlicher Genehmigung des Autors)
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