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Die Götter der Wenden und ihr Kult

Internationale Siegfried Wagner Gesellschaft e.V., Bayreuth

 

Historische Orte

Siebzehn Gebote hatte der historische König Waidewut, gemeinsam mit seinem Bruders Bruteno, Kriwe in Balga, aufgestellt. Hier hieß es unter anderem:

    Niemand soll ohne den Kriwen Kriwaito die Götter anbeten. Keiner soll aus fremden Ländern einen Gott ins Land bringen. Die obersten Götter sollen sein: Potrimpos, Perkunos und Pikollos. Denn die haben und dies Land gegeben und werden uns mehr geben.

    Um ihretwillen sollen wir unsern Kriwen Kriwaito bekennen und für unsern obersten Herrn halten, auch seine Nachfolger, welche uns die gnädigsten Götter gönnen und die Waidelotten zu Rikaito erwählen werden.

    Wir sind unsern heiligen Göttern Furcht und Gehorsam schuldig. Denn nach diesem Leben werden sie uns geben schöne Weiber, viele Kinder, gute Speise, süße Getränke, im Sommer weiße Kleider, im Winter warme Röcke, und wir werden schlafen auf großen weichen Betten. Vor Gesundheit werden wir lachen und springen. Den Bösen aber, welche den Göttern nicht Ehre erweisen, denen werden sie nehmen, was sie haben, und sie schlagen, dass sie weinen, heulen und die Hände ringen müssen vor Weh und Angst.

Die Handlung des Vorspiels der Oper Der Heidenkönig führt an den »Stumpf der gefällten heiligen Eiche von Romowe". 

Um das Jahr 1015 war Boleslaw Chobri, der König von Polen, in das Land der Prußen (oder Pruszen oder Preußen) eingefallen, hatte Romove zerstört, die Götterbilder verbrannt.
Nach dem Abzug der Polen macht sich die Prußen jedoch neue Bilder. Selbst nachdem sich die heidnischen Prußen von den Ordensrittern hatten taufen lassen, beteten sie heimlich die Eiche an. Sie glaubten, Mensch und Tier seien vor Unglück geschützt, wenn sie eines ihrer Blätter am Hals trugen.

Bischof von Ermland ließ durch Hochmeister Winrich von Knipprode die heilige Eiche fällen. An ihrer Stelle erbaute Petrus von Sohr das Kloster zu heiligen Dreifaltigkeit. Das Klostergebäude verfiel. 1708 wurde ein Herr von Killitz zu Groß-Waldeck Besitzer dieses Anwesens. Beim Entfernen von Mauern der Ruine entdeckte man ein goldenes Kruzifix und einen Ring mit unlesbarer Aufschrift, die zur Abwehr der heidnischen Geister gedient hatten. Von Killitz vermachte die Fundstücke der Stadt Königsberg.

In Bechsteins Deutschen Sagenbuch ist über die dem Gott Perkunos geweihte heilige Eiche von Romove zu lesen:

    Wo die heilige Eiche der alten Preußen stand, war eine große Stadt, und die hatte von ihren Erbauern, welche einen Heereszug gen Rom gemacht hatten, den Namen Roma nova erhalten, daraus ward in der Folge Romove. Die Eiche war sechs Ellen im Durchmesser, Sommer und Winter blieb sie grün, und durch ihr dichtes Gezweig und Laub fiel nicht Regen noch Schnee. Ringsum war durch acht Ellen hohe seidene Vorhänge ihres Stammes Anblick den Uneingeweihten entzogen. Drei Götter wurden unter dieser heiligen Eiche verehrt, das waren Perkunos, der Donnergott, Pikollos, der Todesgott, und Potrimpos, der Kriegsgott und der Ernten. Geopfert wurden diesen Göttern alle Christen, welche die heidnischen Preußen in ihre Gewalt bekamen. (…) Die heiligen Eichen und selbst die Plätze, darauf sie gestanden, blieben noch lange lange Zeit beim Volke in hohen Ehren, als längst schon das Christentum ihm mit Feuer und Schwert gepredigt worden war. Als dies geschehen, wurde zu Romove eine Kirche und ein Kloster erbaut, es ist aber damit, wie mit der ganzen Stadt, zum Ende gediehen, und es ist kaum noch eine Spur mehr von Stadt, Kirche und Kloster vorhanden.
    (Bechstein: a.a.O., S. 581 f.)

Hier, an der Eiche, hatten die Gläubigen Männer, Kinder, Pferde, Widder und Schafe, geopfert, deren Blut auf den Boden nahe der heiligen Eiche gegossen wurde. Pfeile wurden in die Baumkrone geschossen. Vor der Statue des Gottes Perkunos wurde ein »ewiges Feuer" aus heiligem Holz am Brennen gehalten, in dem die Opfergaben verbrannt wurden. Erlosch das Feuer, musste der wachhabende Waidelott im wiederentzündeten Feuer sterben. Hierauf nimmt Siegfried Wagner im zweiten Akt Bezug, wenn das »heilige Feuer« erlischt.

In den »Sagen von dem König Waidewuttus« heißt es über dessen Selbstopferung:

    Hierauf ließ er vor der großen Eiche zu Romove einen hohen Holzhaufen errichten, auf den das Volk brennende Fackeln warf, so dass die Flammen mit großem Geprassel in die Luft fliegen. Dann brachten sie Opfer an kleinem und großem Vieh, sonderlich Ochsen mit vergoldeten Hörnern, deren Eingeweide sie in die Gluth warfen. Der König aber stand herrlich bekleidet, eine goldne Schale mit Meth, den er einer großen schwarzen Kuh zwischen die Hörner goß, haltend, den rechten Fuß und den linken Arm aber nackt, und betete zu den Göttern, sie möchten ihn als Opfer für sein Volk gnädig annehmen und dafür seinem Volke den Sieg verleihen. Nach dieser Rede stürzte er sich furchtlos in die Flammen.
    (Grässe: Preußen, a.a.O., Bd. 2, S. 521 f.)

Die Dreiheit der Gottheiten Perkunos, Potrimpos und Pikollos wurde als Standbilder verehrt. Perkunos, die oberste Gottheit der Prußen, wurde furchterregend dargestellt, rot wie Feuer, aber mit einem schwarzen Bart, das Haupt von Flammen gekrönt. Sein Sinnbild war die Pflugschar. Seine Stimme war der Blitz. Vom ihm getroffen zu werden, war die höchste Auszeichnung, die einer Aufnahme unter die Götter gleichkam. Seiner Statue gegenüber und gleichsam sein Gegenbild, war Potrimpos, der als junger, freundlich lachender Mann, geschmückt mit Kornähren, dargestellt war. Sein heiliges Tier war die Schlange. Sie wurde vor seinem Standbild in einem ährenbedeckten Korb von den Waidelotten mit Milch genährt. Ihm zu Ehren wurden Wachs und Weihrauch gezündet, aber auch Kinder geopfert. Pikollos wurde mit bleichem Antlitz und langem grauen Bart dargestellt. Der Name des Totengottes ist »Pieklo« = »Hölle«. Deshalb wurden ihm Totenköpfe von Menschen, Pferden und Kühen geweiht. Wenn ein Reicher gestorben war und dessen Angehörige nichts opfern wollten, soll er nachts in deren Häusern seinen Spukt getrieben haben. Wenn er das dritte Mal erschien, verlangte er Menschenblut. Dann brachte der Waidelott ein Eigenblutopfer, indem er sich in den Arm schnitt. Hörte man es in der Eiche brummen, so war dies ein Zeichen, dass der Gott versöhnt war. Diesen Zug der Pikollos-Verehrung greift Siegfried Wagner im zweiten Akt seiner Oper auf, wenn Hoggo aus dem Bauch des Götzenbildes brummt.

Der Blick zur heiligen Eiche selbst war durch Tücher verhängt. Nur Spender von Opfergaben durften einen kurzen Blick hinter diese Tücher tun, wenn sie die Opfergaben dem Kriwaito überbrachten. Während der Kriwaito direkt am Fuße der Eiche lebte, wohnten die Waidelotten in umstehenden Häusern.

Percunos wurden die größten und kostbarsten Opfer gebracht. Besitzlose sollten ihm wenigstens ihre Haupt- und Barthaare opfern. Perkunos waren auch die umliegenden Wälder und Haine geweiht, in denen es verboten war, zu jagen oder Holz zu fällen. Der heilige Schimmel wurde, vor allem vor Kriegszügen, als Orakel über Lanzen geführt. Am Schweiß des Pferdes war zu ersehen, ob der Gott es nächtlich zum Ausritt benutzt hatte. Im Herbst wurde das der Fruchtbarkeitsgottheit Kupalo geweihte Erntefest begangen; es ist auch als »Kupala« oder »Kupalnizza« überliefert. Das nur zum Erntefest neu gefüllte Horn der Gottheit diente den Waidelotten – aufgrund der darin verbliebenen Menge an Met – zur Prophezeiung der Ernte des nächsten Jahres.

Das Schlussbild des dritten Aktes der Oper spielt »am Fuße des Rombinos-Hügels«. In Ludwig Bechsteins Deutschen Sagen ist von diesem Orte zu lesen:

    Bei der Stadt Ragnit an der Memel, aber drüben jenseits des Flusses, erhebt sich ein bewaldeter und zerklüfteter Berg, der heißt Rombinus. Vorzeiten war auf ihm der alten Litauen berühmtestes und größtes Heiligtum, mit einem riesigen Steinaltar, auf welchem dem Gotte Potrimpos seine Opfer dargebracht wurden. Der Gott selbst sollte diesen Stein an jenen Ort gelegt haben und unter denselben eine goldene Schüssel und eine silberne Egge begraben, weil er der Gott der Fruchtbarkeit und der Ernte. Da war des Opferns auf dem Rombinus kein Ende, und die Sage ging schon damals, solange der Stein auf dem Berge liege, werde Litauen in Glückesblüte stehen, würde aber der Stein hinweggerückt, so werde der Berg selbst einstürzen und Unglück das Land heimsuchen, und diese Sage ging von einem Jahrhundert in das andere, als längst keine Opfer mehr auf dem Rombinus gebracht wurden.

    Da kam – im Jahre 1811 soll es geschehen sein – ein deutscher Müller nach dem Dörfchen Barten (Bardehnen) nordöstlich vom Rombinus, der wollte zwei neue Windmühlen anlegen und suchte in der Gegend umher nach festen Steinen. Da kam er auch auf den Rombinus, und der Opferstein dünkte ihm bass geeignet zu seinem Werke. Allein die Umwohner sagten ihm, diesen Stein dürfe er nicht wegnehmen, von dem hange das Glück des Landes ab. Der Müller sagte den Leuten, dass sie noch im heidnischen Aberglauben befangen seien, ging zum Landrat und ließ sich die Erlaubnis schriftlich geben, den Stein wegnehmen zu dürfen. Diese erhielt er, denn der Landrat wollte nicht minder aufgeklärt sein wie ein deutscher Windmüller. (…) Der Müller tat den ersten Schlag auf den Stein, da fuhren zwei Splitter davon, die schossen ihm in die Augen, dass er alsobald erblindete und blind blieb sein Lebelang; vielleicht, dass er noch am Leben ist. Der Geselle aus Tilsit krellte sich beim zweiten Schlag, den er tat, den Arm so stark, dass ihm die Markröhre zersprang und er einen dritten Schlag nicht tun konnte. Aber den beiden andern Gesellen geschahe nichts, sie ließen sich auch nicht warnen, überwältigten den Stein und schafften ihn vom Berge herab. Als aber der Gumbinner Geselle nach getaner Arbeit wieder in seine Heimat wanderte, hat er diese nimmer erreicht und ist elendiglich am Wege hinter einem Zaun verstorben. Die goldene Schüssel und die silberne Egge, von der die Sage ging, hat keiner gefunden. Seit der Stein hinweg war, begann der Memelstrom am Berge zu arbeiten und zu nagen und ihn zu unterhöhlen, und im Jahre 1835, im September, geschahe nachts ein donnerähnliches Krachen und war ein großes Stück des Rombinus eingestürzt, und viele fürchteten, es werde noch mehr einstürzen und die alte Unglücksprophezeiung sich erfüllen.
    (Bechstein, a.a.O., S. 601)

An der Memel sprach man noch um die Mitte des 19. Jahrhunderts vom Ostufer als von der »heidnischen Seite« auf der zu jener Zeit noch heimliche Bocksopfer stattfanden, um die alten Götter zu versöhnen. Dabei nahm der Waidelott als Vollstrecker des alten Kults den Gläubigen eine Art vom Beichte ab, bei der er jede Missetat mit einer Ohrfeige bestrafte. Im Gegenzug fiel am Ende der Beichte die Gemeinde über ihren Waidelotten her, riss ihn am Bart und prügelte ihn kräftig, um anschließend gemeinsam mit ihm mit Speise und Trank ausgiebig zu feiern. Heute werden auf dem sagenumwobenen Hügel am rechten Memelufer, als einem litauischen Heiligtum, jeweils am 24. Juni mit Speis und Trank große nationale Festlichkeiten begangen. Zentrum dieses Berges ist ein großer Findling, der heute in zwei Teile zerlegt ist.

Siegfried Wagners dramatische Beschäftigung dieser Thematik blieb kein Einzelfall. Erst kürzlich kam die Komödie »Der Zauberer Gottes« des 1880 geborenen Paul Fechter (1880 – 1958) zur Wiederaufführung, über die Schwierigkeiten der ländlichen Grenzbewohner Ostpreußens, die trotz Jahrhunderte langer Christianisierung immer noch an ihre Götter glauben, und ihr problematisches Verhältnis zu Polen. Und die heidnische Mythologie mit der alten Eiche von Romowe und mit Perkunas (!) spielt auch eine Rolle im literarischen Werk von Johannes Bobrowski (1917 – 1965), dessen Roman »Levins Mühle« 1973 von Ingo und Udo Zimmermann zur Oper umgestaltet wurde.

Quellen, soweit im Text nicht angeführt:  Wilhelm Vollmer: Wörterbuch der Mythologie. Günther Drosdowski: Duden Lexikon der Vornamen. Mannheim (2) 1974. Horst Naumann (Hd.): Familiennamenbuch. Leipzig 1987. Hans Bahlow: Deutsches Namenslexikon. München 1967


Peter P. Pachl


Quelle: Programmheft zur Aufführung von Der Heidenkönig, Solingen 2004 (mit freundlicher Genehmigung des Autors)
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