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»Richard Wagner in der zeitgenössischen Fotografie«

Achim Bahr hatte am 4. August 2005 im Richard Wagner-Nationalarchiv die von Adolf von Groß im Jahre 1881 gemachten 3D-Aufnahmen begutachtet und bei Sven Friedrich deren dreidimensionale Publikation angeregt. Wie sich der 3D-Künstler und -Experte erinnert, wusste der Leiter des Richard Wagner-Nationalarchivs bis zu Bahrs Erläuterung nach eigener Aussage gar nicht, um was es sich dabei handelte. Friedrich wunderte sich nur, dass es sich um – teilweise zerschnittene – »Doppelbilder« handelte, und konnte auch mit dem Stereoskop nichts anfangen, das er von seinem Vorgänger Manfred Eger übernommen hatte. Nach Bahrs Auskunft zeigte sich Sven Friedrich damals durchaus interessiert, die Stereoskopaufnahmen in einer internationalen Fachzeitschrift, »Stereoscopy« der International Stereoscopic Union, sachkundig publiziert zu sehen, verlangte dann aber derart hohe Gebühren, dass diese Publikation nicht realisiert werden konnte.
 

 

So gesehen ist die erstaunliche Liste von Personen und Institutionen (darunter drei Wagner-Ortsverbänden), welche die Herausgabe eines neuen Bildbandes mit »sämtliche[n] überlieferten Fotografien Wagners in chronologischer Reihenfolge« durch »großzügige finanzielle Unterstützung« ermöglicht haben, nachvollziehbar. Die Generosität der Sponsoren – so weit sie nicht anonym bleiben wollten – wurde grafisch dadurch herausgestellt, dass in den Rahmen der Uraufführungstafel der Mitwirkenden der ersten Bayreuther Festspiele, wie sie im Eingangsbereich des Bayreuther Festspielhauses original in Marmor prangt, eingefügt wurden.
 
Gunther Braam hat diesen anschauens- und lesenswerten Bildband im Con Brio Verlag veröffentlicht, und da fehlt selbstredend auch nicht die berühmte Aufnahme von Richard Wagner und seiner Familie – die einzige dreidimensionale Aufnahme des zwölfjährigen Siegfried Wagner – vom  23. August 1881.
 
Jeder hat von Richard Wagner sein eigenes Bild. Die persönlichen Favoriten – ob auf den Gemälden von Lenbach oder Renoir, den Zeichnungen von Kietz oder v. Joukowsky, den Plastiken von Schaper oder Breker oder in den Filmszenen von Becce oder Burton – erzählen bereits viel vom individuellen Stellenwert, den der jeweilige Betrachter dem Bayreuther Meister beimisst.
 
Gleichwohl lebte Richard Wagner zu einer Zeit, wo bereits zahlreiche Fotografien von ihm gemacht wurden. Seit Martin Geck Die Bildnisse Richard Wagners veröffentlicht hat, sind fünfundvierzig Jahre verstrichen. Seither wurden sieben weitere, damals nicht zugängliche Ablichtungen des Komponisten aufgefunden, so dass auch Solveig Webers Bestandsaufnahme [Das Bild Richard Wagners: Ikonographische Bestandsaufnahme eines Künstlerkults. Band I: Text, Band II: Bilder. (Musikwissenschaft)] aus dem Jahre 1993 ergänzt werden musste.
 
Alle in der neuen Publikation überlieferten Fotos, 68 an Zahl, werden in Gunther Braams 228-seitigen Bildband mit Ablichtungen von Wagners Komponisten-Zeitgenossen konfrontiert um damit – wie Eva Wagner-Pasquier es in ihrem Geleitwort formuliert – Wagner in den »Kontext seiner Zeit« zu platzieren. Damit, »dass Wagner selbst sich über manche auf diesen Seiten stattfindende Begegnung wundern würde«, spielt die Urenkelin offenbar insbesondere auf zwei Fotos von Wagner und Offenbach an, welche zeitnah in Ludwig Angerers Atelier in Wien, 1861 in identischem Ambiente und in ähnlichen Positionen, aufgenommen wurden.
 
Lesenswert sind Braams Kommentare des als Katalog aufgebauten Bandes und seine zahlreichen, gegenüber den vorangegangenen Bild-Publikationen zeitlich exakt zugeordneten Fotos. Das berühmte Doppelporträt von Richard mit dem knapp elfjährigen Siegfried Wagner durch Pasquale Biondi wurde demgemäß am 1. Juni 1880 nicht im Atelier des Fotografen, sondern im familiären Ambiente der Villa d'Angri aufgenommen. Braam zitiert dazu aus Cosima Wagners Tagebuch [Die Tagebücher in zwei Bänden: Zweiter Band: 1877-1883] und verweist auch auf Cosimas Aufzeichnung »wechselpfeifende[r]« Kommunikation zwischen Vater und Sohn. Diese kann als eine frühe Form musikalischer Unterweisung angesehen werden, hinsichtlich von Erfindung und Fortführung musikalischer Einfälle.
 
Die von Adolf von Groß mit einer 3D-Kamera aufgenommene Doppel-Ablichtung der Familie Wagner, am 23. August 1881 auf der Gartentreppe des Hauses Wahnfried, ist glücklicherweise nebeneinander abgedruckt. So kann man diese mithilfe eines Betrachtungsgeräts tatsächlich in 3D-Qualität begutachten. Eine derartiges Betrachtungsgerät liegt der Neuveröffentlichung allerdings nicht bei; inklusive Linsen und ausgestanztem Halter findet es der Leser dem Buch Stereoskopie von Gerhard Kemner (Museum für Verkehr und Technik, Berlin 1989) beigegeben.
 
Das letzte Foto des Bildbandes zeigt den Autor mit einem Stereobetrachter, obgleich er in seinem Buch nur eine 3D-Aufnahme präsentiert. Achim Bahr wundert sich jedoch, dass die weiteren von ihm 2005 im Richard Wagner-Nationalarchiv in Augenschein genommenen Stereofotos von Adolf von Groß in der Neuveröffentlichung nicht berücksichtigt wurden: »Vielleicht hätte er [Braam] die anderen noch vorhandenen ganz gern ebenfalls veröffentlicht?« Dabei soll es sich u. a. um Bilder des Trauerzuges und der Beisetzung von Richard Wagner handeln.
 
Eine weitere 3D-Aufnahme von Groß', Katalognummer 64, ist jeweils nur als »Hälfte einer Stereoskopieaufnahme« erhalten. Rätsel gibt Katalognummer 70 auf, mit der fehlenden, abgeschnittenen rechten Hälfte (Abb. 217), denn in rechteckigem Format, mit zusätzlichem Bildinhalt auf der linken Seite, war diese Aufnahme in  Julius Kapps 1933 erschienenem Buch Richard Wagner - Sein Leben, sein Werk, seine Welt in 260 Bildern – abgedruckt; so ist sie nun auch bei Braams als Abbildung 218 zu finden.
 
Der Foto-Band enthält im Anhang auch Reproduktionen von Cosimas Leporello-Album mit Fotos ihres Mannes. Karl Russwurm, der Vorsitzende des Richard Wagner Verbandes München, hat diese Edition des in München als Mathematik- und Physiklehrer tätigen Autors logistisch unterstützt, und hat mit dem von ihm geleiteten Verband dafür gesorgt, dass die Oberfrankenstiftung und zahlreiche Einzelspender Entstehung und Druck des Bandes unterstützt haben. Jener Genuss, welchen Russwurm in seinem Grußwort dem Leser bei dieser »ausschließlich visuellen Beschäftigung mit dem Bayreuther Meister« wünscht, stellt sich für den Leser tatsächlich ein.
 

Peter P. Pachl
 


Gunther Braams, Richard Wagner in der zeitgenössischen Fotografie. 228 S. mit 231 zumeist farbigen Abbildungen und Klapptafeln. Con Brio Verlag, Regensburg 2015, ISBN 978-3-940768-44-5

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