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Zwei Biografien zum 95. Geburtstag von Friedelind Wagner

Friedelind Wagner, Präsidentin der Internationalen Siegfried Wagner Gesellschaft in den Jahren 1973 bis 1984, war auf dem Buchmarkt in Deutschland lange gar nicht vertreten. Ihr Buch Nacht über Bayreuth wurde bestenfalls unter dem Ladentisch gehandelt.
 
Dies war insbesondere unter dem Aspekt Siegfried Wagner bedauerlich, denn die erklärte Lieblingstochter legte besonderes Gewicht auf die Zeichnung ihres Vaters als eines bewussten politischen Gegners gegen Winifred Wagners frühe der nazistische Haltung. Und es enthielt den kompletten Wortlaut von Siegfried Wagners mutig Stellung nehmenden, offenen Brief an Anton Püringer, der gefordert hatte, jüdische Besucher vom Bayreuth-Besuch auszuschließen.
 
Ein mehrfach von Friedelind Wagner erwähnter Fortsetzungsband Pardon my Return erschien nie und existiert – entgegen ihren Behauptungen – auch nicht als Manuskript.
 

 

Eva Weissweiler, die einen Neudruck von Nacht über Bayreuth veranlasste, bekam anschließend Ärger mit Friedelind Wagners Erben Neill Thornborrow. Der gestattete Eva Rieger für eine Biografie über Friedelind Wagner den Zugang zu allen Nachlass-Dokumenten. Eva Weissweiler, die sich parallel daran gemacht hatte, eine Biografie der rebellischen Wagner-Enkelin zu verfassen, wurde dieser Zugang verweigert.
 
Die beiden in ihrer Tendenz durchaus divergierenden, unterschiedlich positionierten Bücher ergänzen sich gleichwohl im Bild der ambivalent schillernden Persönlichkeit. Wie zuvor schon Jonathan Carr in seinem Band Der Wagner Clan, stießen beide Autorinnen schnell darauf, dass der Wahrheitsgehalt von Heritage of Fire, wie der amerikanische Originaltitel von Friedelind Wagners Buch lautet, sehr häufig zu wünschen lässt.
 
Die von Mutter und Tanten zur Antisemitin und Hitlerverehrerin erzogene Halbwaise wandte sich später als von ihr selbst behauptet vom Nationalsozialismus ab und ging nach einem eklatanten Streit mit ihrer Mutter und ihren Brüdern ins Exil. Jugend, Emigration, Gefängnisaufenthalt und lesbische Liebesbriefe nehmen in Eva Riegers Buch mit einem feministisch die Geschlechterrolle betonenden Ansatz einen größeren Teil ein.
 
An Errata Riegers ist zu erwähnen, dass bei Sonnenflammen und Bärenhäuter Bühnenbilder Wieland Wagners zum Einsatz kamen, aber die Düsseldorfer und Kölner Aufführungen nicht in seiner Inszenierung erfolgten (S. 91). Ungenau in den Fakten erfolgt die Darstellung – zumindest was die eigenen Aussagen des Komponisten angeht – von Friedelind Wagners Umgang mit ihrem Verlobten Gottfried von Einem und dessen Mutter (S. 313).
 
Vermutlich meint Eva Rieger die von Friedelind Wagner im Bayreuther Markgräflichen Opernhaus uraufgeführten und anschließend auf Langspielplatte erstveröffentlichten Lieder Siegfried Wagners und nicht die Wesendonck-Lieder, für deren Aufnahme-Rechte Friedelind bei ihrer Mutter nachgefragt hat (S. 356) – obgleich Winifred Wagner in Bayreuth tatsächlich stets Aufführungen der Wesendonck-Lieder verhindert hat, da sie diese als einen postumen Affront gegen ihre Schwiegermutter empfand.
 

 

Im Zusammenhang mit der Tätigkeit als Sekretärin von zwei Psychoanalytikerinnen (S. 299) zu ergänzen wäre Friedelind Wagners ungeklärte Frage, welche ihr »ein Psychoanalytiker« gestellt habe, warum Siegfried Wagner die Namen seiner Töchter, nicht aber die seiner Söhne als Namen in seinen Opern verwendet habe.
 
Im Gegensatz zu Hamann, die (obgleich ihr die Kopie eines diesbezüglichen Schreibens vorgelegen hat) behauptet hatte, nie auf ein Aufführungsverbot der Opern Siegfried Wagners durch dessen Witwe gestoßen zu sein, weist Eva Rieger sogar auf Winfried Wagners Verbot gegenüber Friedelind Wagner hin, Opern ihres Vaters aufzuführen. (S. 301)
 
Aber die Tatsache, dass Isolde Beidler ihr Erbe als Tochter Hans von Bülows angetreten hat, bleibt bei Rieger (S. 402) ebenso unerwähnt, wie im Zusammenhang mit Friedelind Wagner als Schallplatten-Investorin (S. 412) die Langspielplatten SLL2 mit Siegfried Wagners Symphonie in der 2. Fassung und SLL3 mit dessen symphonischen Dichtungen Sehnsucht, Und wenn die Welt voll Teufel wär' und Glück), die Friedelind mit dem Aalborg Symphony Orchestra unter Peter Erös im Dezember 1985 produziert hat. Unerwähnt bleibt auch die von Friedelind Wagner in Paris initiierte Aufführung von Siegried Wagners Konzert für Violine mit Isaak Stern als Solisten.
 
Und Richard Wagners La Descente de la Courtille hat Friedelind Wagner – im Gegensatz zur Partitur der symphonischen Dichtung Sehnsucht (die zwar weder bei Schiller, noch bei Siegfried Wagner, aber bei Rieger einen bestimmten Artikel als Titel hat, S. 424 und 428) weder entdeckt noch wieder aufgefunden (S. 427).
 
Fälschlich wird bei Eva Rieger der rechtsgerichtete Franz Ehgartner, Vorsitzender der Richard Wagner-Gesellschaft Graz zu einem Vorsitzenden der Siegfried Wagner-Gesellschaft (S. 432). Geringer ins Gewicht fallen der Irrtum mit dem 200. Todestag Richard Wagners (gemeint ist auf Seite 429 der 100. Todestag).
 
Und entgegen Riegers Annahme war Friedelind Wagner bei der Uraufführung von Siegfried Wagners Opus 18, Das Flüchlein, das Jeder mitbekam, 1984 in Kiel und »herausgegeben von der Erbengemeinschaft Siegfried Wagners« durchaus noch Präsidentin der ISWG e.V. (S. 435). Und Leonard Bernsteins letzter Besuch in Bayreuth und am Pult des Festspielhauses, den Friedelind Wagner ermöglicht hat, verlief – zumindest nach den Erzählungen Friedelind Wagners – anders als in Riegers Biografie geschildert (S. 439).
 

 

Eva Weissweilers Biografie Erbe des Feuers (als deutsche Übersetzung des Originaltitels von Friedelind Wagners Autobiografie) stützt sich in ihrer Argumentation auf die Briefe Friedelinds an ihre Tanten Eva und Daniela, auf Friedelind Wagners amerikanische Zeitungsartikel sowie auf von ihr oft mühsam aufgefundene, entlegene Dokumente in Deutschland, Großbritannien und den USA. Weissweiler Recherchen umfassen auch Friedelind Wagners Bayreuth Festival Master Classes, wie auch deren geplante Fortsetzung in Teesside, wo Friedelind Wagner in einem eigenen Tesside Total Theatre (TTT) »jede Note Richard Wagners« aufzuführen gedachte.
 
Im Rahmen ihrer tiefgehenden Untersuchungen hat Eva Weissweiler auch ausgiebig Zeitzeugen befragt und deren Urteil berücksichtigt. Selbstredend sind aber auch ihr ein paar Errata unterlaufen. So war  der Einbau der sogenannten »Journalistenloge«, des heutigen Balkons im Festspielhaus, das Werk Siegfried Wagners, um ab dem Sommer 1924 auf den neu geschaffenen Plätzen Journalisten freien Zutritt zu gewähren (S. 63). Und Siegfried Wagners Solist Herbert Janssen, der in die USA emigriert ist, war Bariton, nicht Tenor (S.186).
 
Beide Autorinnen haben aussagekräftige Dokumente aufgetan, die das Bild Friedelind Wagners als jener Frau, die nach dem zweiten Weltkrieg die Leitung der Bayeuther Festspiele angetragen bekommen hatte, diese aber verweigerte, in vielen Höhen und Tiefen schildern. Dabei gründet die Kölner Autorin, Musikwissenschaftlerin Weissweiler mit ihrem um ein Jahr jüngeren Buch durchaus tiefer. Ihr differenziertes Bild von Friedelind Wagner, als dem »schwarzen Schaf« der Familie ist kurzweilig und spannend zu lesen.

 
Peter P. Pachl



Eva Rieger, Friedelind Wagner: Die rebellische Enkelin Richard Wagners, München 2012
Eva Weissweiler, Erbin des Feuers: Friedelind Wagner - Eine Spurensuche, München 2013 

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