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Neue Quellen in Oliver Hilmes' Cosima Wagner-Biografie

Auch angesichts einer denkbaren künftigen weiblichen Bayreuther Festspielleitung schien eine neue Biografie über Cosima Wagner als die erste Festspielleiterin Bayreuths überfällig. Bereits im Vorjahr veröffentlichte der Wagner- und Nietzsche-Biograf Joachim Köhler eine Biografie der Tochter von Franz Liszt und Marie d’Agoult, in der die greise Festspielleiterin in fiktiven Dialogen ihr Leben Revue passieren lässt: in Ich, Cosima (413 Seiten, Claassen-Verlag, Berlin) hat Köhler den jüngsten Forschungsstand auf- und eingearbeitet. Dieses Buch wird von Oliver Hilmes, dem Autor der jüngsten Biografie, im Vorwort kurzum diskreditiert: »Bereits der Titel ist verfehlt: Wenn überhaupt, dann hätte Cosima ihre Lebensbeichte "Er, der Meister" genannt.« Gleichwohl hat Köhler für sein Buch exakt recherchiert und die bigotte Wesensart dieser machtbesessenen Frau sehr viel treffender wiedergegeben als der jüngere Autor, der auch Richard Du Moulin Eckarts bereits im Jahre 1929 erschienene Biografie mit dem Hinwies auf deren »gut 2000 Seiten« und ihre »sprachlich lachhaft geschwollene und zopfige Darstellung« abtut; dabei hätte Hilmes der eine oder andere Blick in diese erste Biografie doch nicht unwichtige Fakten geliefert, auf welche die Leser der Herrin des Hügels nun verzichten müssen.
 

 

Am meisten verwundert, dass der Autor, der laut Klappentext über »politische Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts« promoviert hat, so wenig von Musik versteht. So wird auf keiner Seite dieses Buches darauf hingewiesen, wie oft Cosima ihrem Gatten ins Werk gepfuscht hat. Drei Nächte lang, so kann man im Briefwechsel Wagners mit Ludwig II nachlesen, hatte ihn Cosima nicht schlafen lassen, bis er die chauvinistischen Verse in den Schlussgesang der »Meistersinger von Nürnberg« aufgenommen hat (bei deren Komposition er Cosima gleichwohl ein Schnippchen geschlagen hat, denn sie passen weder formal noch sprachlich in das spezifisch als Großbar gebaute Opus). So erfährt man bei Hilmes auch kein Wort über Wagners Veränderung des »Götterdämmerung«-Schlusses und Wagners »Kinderkathechismus«, der das Erlösungsmotiv des »Ring« auf Cosima bezogen relativiert, auch nichts über Cosimas nachträgliche Veränderungen der Wagnerschen Partituren von »Rienzi« und dem »Fliegenden Holländer« in der Absicht, diesen die Form der Nummernoper auszutreiben. Mit Cosimas Musikalität scheint es nicht so weit her gewesen zu sein, wie Hilmes es wohlwollend annimmt, denn sonst hätte sie Felix Mottl wohl kaum aufgefordert, eine musikalische Figur, die es nur im Klavierauszug, nicht aber in der Partitur des »Tristan« gibt, deutlich herauszuarbeiten. Geradezu peinlich ist es, wenn Hilmes sich zum Thema des Zerwürfnisses zwischen Friedrich Nietzsche und Richard Wagner auf einem Forschungsstand von vor einem halben Jahrhundert bewegt – möglicherweise nur, um nicht Joachim Köhlers Erkenntnisse heranziehen zu müssen. So ist der Autor etwa auch mit dem Werdandi-Bund (dem immerhin auch Otto Modersohn, Arthur Kutscher und Theodor Heuss angehörten) schnell fertig, ohne Rolf Parrs Forschungen zu berücksichtigen.
 
Bisweilen wird die Absicht des Autors, alles über einen Kamm zu scheren, all zu deutlich: so lässt Hilmes unerwähnt, dass Hans von Bülow Ferdinand Lassalles sozialistischen Agitationstext komponiert und als »Bundeslied des Allgemeinen Deutschen Arbeiterverbandes« populär gemacht hat, wohingegen mehrmals Bülows »rechter« Ausspruch zitiert wird (»Das ist gegenüber der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit die positive Devise: Infanterie, Kavallerie, Artillerie.«). Da sich der Autor offensichtlich kaum mit dem Oeuvre Richard Wagners auseinandergesetzt hat, erkennt er nicht Levis Spiel mit einem »Parsifal«-Zitat (S. 287).
 
Was Siegfried Wagners Musik angeht, so bewegt sich Hilmes auf einem sehr überholten Forschungsstand, obgleich ihn auch die nunmehr zahlreich erhältlichen Tonträger eines Besseren belehren könnten. Eine Behauptung, wie »Die Entwicklung des Theaters in der Weimarer Republik ging an den Wagners spurlos vorüber«, ist angesichts der Bühnenwerke Siegfried Wagners schlichtweg falsch. Politisch führt Hilmes jene von Brigitte Hamann zugunsten Winifred Wagners herausgearbeitete Tendenz weiter, die den Außenseiter und Kosmopoliten als frühen Nazi zu vereinnahmen trachtet. Hierfür dient Hilmes auch Siegfried Wagners Gedicht Zweierlei Rosa, das sich mit den zwei Seiten der bigotten Rosa Eidam auseinandersetzt (die von den Wahnfried-Gemeinde lange als seine zukünftige Gattin rezipiert wurde!); Hilmes deutet das »ungelenke Stückchen« als Spott auf Rosa Luxemburg, während Isolde Braune hervorhebt, dass den Komponisten »eine unliebsame Seite Rosa Eidams dazu provoziert hat (… In Rosa Eidam) ist beides enthalten«.
 
Holmes’ fragwürdige Tendenz setzt sich in einigen Bildlegenden des Buches fort, die auch Meinungen manifestieren, die im Lesetext nicht enthalten sind. So ist etwa neben einem Foto des Regisseurs mit seiner gefeierten Kundry zu lesen: »Unter Gleichgesinnten: Emmy Krüger und Siegfried Wagner. Die Sängerin gehörte wie die Wagners zu den Hitler-Anhängern der ersten Stunde. Jahrzehntelang unterhielt sie eine lesbische Beziehung zu der schwerreichen Schweizerin Renée Schwarzenbach, die die Wagners dafür fürstlich bezahlte, dass sie Emmy Krüger engagierten.«
 
Was aber gibt es an positiven Seiten in Hilmes’ Biografie? Der Autor hat eine Reihe von Quellen aufgetan, die vordem nicht genutzt wurden, so eine autobiografische Skizze von Ludwig von der Pforten. Als ergiebig erwiesen sich auch einige zuvor kaum bekannte Nachlässe, wie die des Dirigenten Felix Mottl, des Publizisten Maximilian Harden und des Arztes Ernst Schweninger, insbesondere aber der Nachlass des jüdischen Anwalts Siegfried Dispeker, der Isolde Beidler im Prozess gegen Cosima Wagner um die Frage ihrer Abstammung von Richard Wagner vertreten hat. Aus dem Nachlass Dispekers geht hervor, dass Siegfried Wagner von seinem Schwager Franz Beidler erpresst wurde, der ihm mit Veröffentlichung von diskeditierenden Dokumenten (über Siegfried Wagners homoerotische Umtriebe) gedroht hat. (Siegfried Wagners Antwort darauf: »Seid ausser Sorge, dem grössten Könige aller Zeiten[,] Friedrich dem Grossen[,] wurde auch Übles nachgesagt und Preussen wurde gross und stark durch ihn! Also sorgt nicht! Ich entweihe das Festspielhaus nicht!«) Für seine Beurteilung des Beidler-Prozesses schlägt Hilmes allerdings wieder die Erkenntnisse anderer Wagner-Forscher in den Wind, wie die von Dieter Borchmeyer aufgezeigte, ausweglose Lage für die Wagner-Tochter, nachdem sie bereits das väterliche Erbe Hans von Bülows angetreten hatte (Nachwort in Franz Wilhelm Beidler: Cosima Wagner-Liszt. Der Weg zum Wagner-Mythos. Bielefeld 1977).
 
Houston Stewart Chamberlain erhält von Hilmes späte Schelte, dass er zunächst mit Cosimas Tochter Blandine anbändeln wollte und in seiner ersten Ehe Umgang mit einer Wiener Prostituierten hatte. Dass Chamberlain aber auch Cosimas Liebhaber war, bis die Herrin des Hügels ihren geliebten Chefideologen des Deutschtums mit ihrer Tochter Eva verheiratete und damit zu ihrem »eigentlichen« Sohn machte, das enthält Hilmes seinem Leser vor. Der erfährt auch nichts von Cosima Wagners häuslichen Bühnendichtungen, wohl aber, dass Cosima 1858 als Autorin und Übersetzerin für die französische Revue germanique gearbeitet hat.
 
Insgesamt bietet die beim Verlag Siedler erschienene, flüssig geschriebene Biografie auf 495 Seiten mit zahlreichen Abbildungen nicht mehr Lesestoff als Joachim Köhlers Cosima-Biografie, aber durchaus eine Reihe neuer Quellen.


Peter P. Pachl

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