Den Lesern einer Musikfachschrift werden die Ideen, die meinen Vater zum Bau des Bayreuther Festspielhauses führten, so geläufig sein, daß ich nur kurz darauf hinzuweisen brauche. Die ungeheuren Schwierigkeiten, die sowohl die Darstellung wie die Inszenierung der Tetralogie machten und das Fehlen eines würdigen Rahmens für die Aufführung seines »Parsifal« gaben den äußeren Anlaß dazu. Mit dem Bau des Festspielhauses sollten die rein praktischen Voraussetzungen zur Verwirklichung der Darstellung seiner Werke, wie sie ihm vorschwebten, geschaffen werden. Das innere Müssen lag in den künstlerisch-ethischen Anschauungen meines Vaters begründet, der mit dem Bau eine Stätte edelster Kunstpflege im Sinne einer Verbindung von Religion und Kunst errichten wollte. Ohne religiöses Empfinden ist wahre Kunst undenkbar. Der Ursprung aller dramatischen Kunst weist auf hohe religiöse Feiern hin; religiöses Denken und Fühlen bilden die Grundlagen von Plastik und Malerei. Wahre Kunst kommt einem Fest, einer Feier gleich, und so wie im kultischen Sinne die feierliche Handlung erst in Verbindung mit der anteilnehmenden Gemeinde eine Einheit darstellt und zum Fest wird, so schwebte meinem Vater bei den Bayreuther Festspielen die Einheit dieser beiden Elemente vor. Seinem Bayreuther Festspielhaus und seiner Bayreuther Gemeinde widmete er sein Bühnenweihfestspiel »Parsifal« als erhabensten Ausdruck seines Strebens nach Verbindung von Kunst und Religion. Die Bayreuther Gemeinde hat sich in ihrer ausgeprägten Eigenart bis heute erhalten: eine Übereinstimmung in bestimmter weltanschaulicher Richtung verbindet alle Zuhörer der Bayreuther Festspiele – willig beugt man sich hier dem Genius und läßt den Zauber dieses seines lebendigen Vermächtnisses auf sich wirken. Weit schwieriger gestaltete sich die künstlerische Arbeit. Was damals in dieser Hinsicht zu leisten war, kann heute kaum richtig ermessen werden. Die Anforderungen, die die Werke meines Vaters an die Mitwirkenden stellen, bilden auch jetzt noch die Hauptschwierigkeiten in der Wiedergabe, um wieviel mehr in den Jahren des Aufbaus, da die Bestrebungen meines Vaters noch völlig neu waren und zum Teil mißverstanden wurden. Was mein Vater in unermüdlicher Arbeit in den Jahren 1876 und 1882 an Deutlichkeit der Aussprache, an sinngemäßem Vortrag, am Darstellungsstil mit seinen Künstlern gearbeitet und in unzähligen Proben an organischem Zusammenspiel erreicht hat, das haben nach seinem Tode meine Mutter und seit 1906 ich in seinem Geiste fortgeführt, so daß wir heute von einem Bayreuther Stil sprechen können, der nach und nach außerhalb Bayreuths von ernsthaft Strebenden als Maßstab künstlerischer Leistungen bei den Aufführungen der Werke meines Vaters angelegt wird. Hand in Hand mit dieser Arbeit ging die Lösung der szenischen Forderungen und der technischen Probleme vor sich, und auch in dieser Hinsicht konnte Bayreuth befruchtend wirken. Die Schwimmapparate der Rheintöchter und die geräuschlosen chemischen Dampfe sind Erfindungen unseres Bayreuther Mitarbeiters Friedrich Kranich des Älteren und wurden von Bayreuth für andere Bühnen übernommen. Eine lebendige Wechselwirkung zwischen »Bayreuth« und »Draußen« findet beständig statt. Jede bühnentechnische Erfindung, die dazu dienen kann, die szenischen Angaben meines Vaters vollendeter zu gestalten, wird von mir eingeführt. Ich denke dabei an die plastischen Dekorationen, die ich in Bayreuth verwende, ohne dadurch in die Extreme der Stilbühne zu geraten, und an die modernen Wellen-, Film- und Beleuchtungsapparate, die sowohl auf der Bühne wie im Zuschauerraum Verwendung finden. Ich betrachte es als meine Aufgabe, die Werke meines Vaters möglichst stilgerecht zur Aufführung zu bringen, wobei das Musikalische im Tempo und Vortrag durch die lebendige Überlieferung zu einer geheiligten Tradition geworden ist, die äußere Form in bezug auf Szenerie, Beleuchtung, Kostüme usw. immer dem Geiste des Werkes entsprechend dem modernen Empfinden angepaßt wird. So glaube ich im Sinne einer lebendigen Tradition zu arbeiten und der grundlegenden Festspielidee meines Vaters: die einer ethisch-künstlerischen Erziehung und Erhebung gerecht zu werden. Quelle: »Die Musik« hg. von Bernhard Schuster, 22. Jg., 2. Hj., Berlin (Mai) 1930, S. 576-577; Hervorhebung des Originals. |