Concertstück für Flöte und kleines Orchester Am 3. Februar 1914 wurde das Concertstück für Flöte und kleines Orchester im Großen Saal der Musikhalle Hamburg unter der Leitung des Komponisten uraufgeführt. Die Komposition in F-Dur ist einsätzig, quasi in Bogenform angelegt; sie untergliedert sich aber in bewegte und ruhige Abschnitte, die auch jeweils durch neues Themen- bzw. Motivmaterial gekennzeichnet sind. Es »markiert den Abschied von der romantischen, märchenhaften Tonsprache des 19. Jahrhunderts« und zeichnet sich »durch rhythmische Raffinesse und einen scherzohaften Charakter« aus (Verlagsmitteilung). Das »kleine Orchester« ist besetzt mit zweifachem Holz, vier Hörnern, Pauke und Streichern. Die beiden anfänglichen Themenkomplexe – springlebendig der erste (»sehr lebhaft«), kantabel-chromatisch der kontrastierende zweite (»ruhig«) – sind als Hauptgedanken ausgeführt und dominieren dann auch wieder den Schluss der Komposition. Laut Ursula Pesek zeigt Siegfried Wagner hier, »wie exzellent er die Flöte kennt«, und vermutet, dass es sich dabei »eher um eine Reformflöte Schwedler’schen Typs als um eine Böhmflöte handelte, weil die tiefe Lage unterhalb as1 gänzlich fehlt.« In ihrer Renzension des Klavierauszugs von 2004 schreibt sie: Die Flöte darf sich ihrer Natur gemäß aussingen, ihr sanguinisches Temperament koboldhaft in höchsten Tönen sprühen lassen, immer im aktiven Dialog mit dem Orchester, in motivischer und rhythmischer, an Bach geschulter Kontrapunktik und im ständigen Wechsel der Klangfarben und Stimmungen. Die zu Beginn des Stücks ausgesparte Grundtonart F‑Dur erscheint erst ziemlich spät in einem gesanglichen „zweiten“ Thema, dafür verharrt der immer ruhiger werdende bukolische Schluss umso länger darin.
Komponiert auf Bitten von Siegfried Wagners Neffen Gilbert Graf Gravina, des Sohns seiner Halbschwester Blandine, wurde die Komposition am 17. Oktober 1913, dem 23. Geburtstag des Widmungsträgers, fertiggestellt. Wieder gilt es, dichterisch mitzuempfinden, was der Komponist, unter Verzicht auf eine Kadenz und jedes virtuose Beiwerk, dem jungen Hitzkopf Gilbert, der zu Cosimas Leidwesen »nachts die Dächer in Coburg unsicher macht«, dediziert hat. Im Charakterbild des lebenslustigen, stets verliebten Reinhold hat der Komponist dem Neffen auch im Friedensengel einen Spiegel geschaffen. Das Concertstück beginnt mit Pizzikato-Streicherakkorden, denen das Motiv des Knaben Übermut aus dem Friedensengel, zunächst fragmentarisch, dann in voller Breite antwortet, gefolgt vom Thema von Reinholds Überschwang aus dem zweiten Akt der Oper und dem Thema von Reinholds Eitelkeit. Ein Thema aus dem ersten Akt des Herzog Wildfang wird mit seiner eigenen Umkehrung als Gegenbewegung verarbeitet, eingerahmt von Eitelkeit und Überschwang des in diesem Fall nicht herzoglichen, sondern gräflichen Wildfangs. Mit einem längeren Triller des Soloinstruments wechselt die Tonart nach D-Dur und stimmt die »Moralpredigt« des Balthasar aus dem Friedensengel an, einem Plädoyer für die ehelich ungebundene, freie Liebe. Sie wird von der Flöte fortgeführt mit dem Menuett des Festtanzes aus dieser Oper und einem weiteren Thema aus Herzog Wildfang. Dann werden die Themen, mit häufigen Taktwechseln zwischen 3/4 und 6/8, durchgeführt. Mit dem repetierend wiederholten ersten Takt des ersten Themas mündet es in einen sanft verklingenden F-Dur-Schluss. Peter P. Pachl (Ergänzungen von Achim Bahr)
Quelle: Programmheft zum Siegfried Wagner-Konzert 2019 anlässlich des 150. Geburtstags des Komponisten im Markgräflichen Opernhaus Bayreuth.
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