| Siegfried Wagner dirigierte hier eigene Werke Jubiläen sind zumeist willkommener Anlass dafür, ausgiebig zu feiern, gleichzeitig aber auch über Vergangenes, Gegenwärtiges und Zukünftiges zu reflektieren. Im Oktober des vergangenen Jahres beging das Theatergebäude am Küchengarten im thüringischen Gera sein einhundertjähriges Bestehen.
Das Haus, das am 18. Oktober 1902 eröffnet wurde, galt als eines der modernsten und außergewöhnlichsten Theaterbauten seiner Zeit. Professor Heinrich Seeling, der Architekt, stand vor der schwierigen Aufgabe, in das Theatergebäude auch noch einen Konzertsaal einzubauen. Das war für die damalige Zeit einmalig! Auch wenn das Haus im Laufe der Jahre und Jahrzehnte einige Veränderungen über sich ergehen lassen musste, präsentiert es sich auch heute noch als Kleinod architektonischer Baukunst. Stolz können die Ostthüringer jedoch auch auf ihre reiche Theatertradition sein. Sowohl im Musiktheater als auch im Sprechtheater gab es eine Vielzahl von Ur- und Erstaufführungen. Zahllos ist die Reihe der Namen der Künstler, die hier gastierten oder fest engagiert waren. Da das Haus in den Anfangsjahren über kein eigenes Opernensemble verfügte (das wurde erst ab der Spielzeit 1919 gegründet), sahen die Geraer in regelmäßigen Abständen Opernproduktionen aus Leipzig, Chemnitz, Halle, Dresden und Plauen.
Zu einem besonderen Ereignis gestaltete sich am 24. Februar 1909 ein Gastspiel des Opernensembles des Stadttheaters Plauen. Unter persönlicher Leitung des Komponisten gelangte am Fürstlichen Hoftheater in Gera Herzog Wildfang zur Aufführung. Recherchen ergaben, dass das die einzige (!) Aufführung einer Oper von Siegfried Wagner in Gera war. Das ist insofern schade, denn Publikum und Presse zeigten sich vom Komponisten und seinem Werk sehr angetan. Siegfried Wagner wurde bereits beim Gang zum Pult ein warmer Empfang zuteil. Gelobt wurden sein dichterisches Geschick und seine musikalische Begabung. Dem Werk selbst bescheinigte die Kritik eine gute dramatische Wirkung. »Freilich kann nicht verkannt werden, dass einige Kürzungen diese Wirkung erhöhen könnten; manche Episoden sind gar zu lang ausgesponnen, entschuldigen aber andererseits durch besondere musikalische Feinheiten. Die Instrumentierung ist durchweg interessant und reizvoll und verrät bei großer Originalität viel weniger den Vater als die Schule Humperdincks.« So der Rezensent der »Geraer Zeitung« am Tage darauf. Die Aufführung war gut. An erster Stelle nennt die Presse das Orchester, »das unter Siegfried Wagners ruhiger, sicherer Leitung einer schwierigen Aufgabe glänzend gerecht wurde.« Die gesanglichen Leistungen gefielen, ebenso die szenische Umsetzung. Es gab reichlich Beifall, wobei der Komponist »vielfach hervorgerufen und mit kostbaren Lorbeerspenden bedacht« wurde. Abschließend äußerte der Rezensent den Wunsch, Siegfried Wagner möge bald wieder seine Schritte nach Gera lenken.
Es dauerte immerhin 12 Jahre, ehe dieser Wunsch in Erfüllung ging. Am 1. April des Jahres 1921 dirigierte Siegfried Wagner im Konzertsaal eigene und Werke seines Vaters. Das Konzert muss ein großer Erfolg gewesen sein, denn die »Geraer Zeitung« berichtet, dass der gefeierte Gast immer wieder auf das Podium musste, um sich für den reichen und herzlichen Beifall zu bedanken. Interessant sind die Statements der Presse zur Tonsprache von Siegfried Wagner. So ist u.a. zu lesen, dass er die sogenannte »dramatische Polyphonie«, wie sie der Vater so erfolgreich angewendet hat, in hohem Maße beherrsche. Seine thematisch-motivische Arbeit sei tadellos. »In der Kunst, seine Leitmotive melodisch zu biegen, harmonisch umzufärben, gegeneinanderzuführen, sie instrumental mit Abwechselung zu bekleiden, leistet er Hervorragendes. Das Gewebe der Stimmen ist immer durchsichtig, seine Harmonik voll intimer Reize, seine Instrumentation auf der Höhe der Modernen Bereicherungen.« Zur Aufführung gelangten übrigens von den eigenen Werken das Orchestervorspiel zu An Allem ist Hütchen Schuld ! sowie die Vorspiele zu Sonnenflammen, zu Der Friedensengel und zu Der Schmied von Marienburg. Bei Hütchen gefiel das schlicht Volkstümliche, bei Sonnenflammen die prickelnde melodische Lebendigkeit, beim Friedensengel die selig niederschwebende Melodie des Friedensengels und beim Schmied von Marienburg die Orchestrierung, die in ihrer Farbenpracht an Richard Strauß erinnere. Was für eine Begeisterung!
Inwieweit Kompositionen von Siegfried Wagner in den Programmen der Reussischen Kapelle eine Rolle spielten, lässt sich leider nicht mehr rekonstruieren. Belegt ist allerdings, dass die Kapelle bei einem Gastspiel im Konzert-Verein Zeitz am 2. Februar 1921 unter Leitung von Professor Heinrich Laber die Ouvertüre zu Sonnenflammen interpretierte. Bei einem Gastspiel in Triebes am 4. April 1921 stand das Vorspiel zu Der Friedensengel auf dem Programm der Reussischen Kapelle, die wiederum unter der Leitung von Professor Laber, der von 1914 bis 1942 Hofkapellmeister in Gera war, musizierte.
100 Jahre Theatergebäude in Gera. Nicht nur Siegfried Wagner dirigierte hier eigene Werke, sondern auch Egon Wellesz, Hans Pfitzner, Emil Nicolaus von Reznicek, Carl Orff und Werner Egk. Anlässlich des Jubiläums erschien im Oktober des vergangenen Jahres ein Buch mit dem Titel »MUSIS SACRUM«. Selbst für Nicht-Geraer dürfte diese Schrift eine Fundgrube sein. Zum einen erfährt der Leser Interessantes und Spannendes über Stücke, die heute selbst in der einschlägigen Fachliteratur kaum oder gar keine Erwähnung mehr finden, zum anderen macht es deutlich, dass auch ein Stadttheater sehr erfolgreich sein kann, wenn es mutig Werke in den Spielplan aufnimmt, die nicht unbedingt überall zum gängigen Repertoire zählen.
Überregionale Beachtung fanden Opernproduktionen, die sich mit Werken von Franz Schreker, Franz Schmidt und Erich Wolfgang Korngold auseinander setzten. Für die laufende Spielzeit ist »Eine florentinische Tragödie« von Zemlinsky geplant. Möge die Leitung des Hauses bei der Suche nach interessanten Stücken auch bei Siegfried Wagner fündig werden.
Schließlich ist er in Gera kein Unbekannter ! Dr. Christoph Suhre
Quelle: Mitteilungsblätter der Internationalen Siegfried Wagner Gesellschaft e.V., Bayreuth, XXXII, April 2003 (mit freundlicher Genehmigung des Autors)
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