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Innovation durch den GMD der Bochumer Symphoniker

Internationale Siegfried Wagner Gesellschaft e.V., Bayreuth

 

Siegfried Wagners An Allem ist Hütchen Schuld! in Görlitz

Eine in der Siegfried Wagner-Forschung bislang nicht näher beleuchtete Produktion von Siegfried Wagners Opus 11, angekündigt für die Spielzeit 1935/6 (1), erlebte am 31. März 1936 im Deutschen Grenzlandtheater Görlitz ihre Premiere.
 
Als Regisseur und musikalischer Leiter in Personalunion fungierte dabei der 1891 in Würzburg geborene und 1949 in Gmund am Tegernsee verstorbene Rudolf Schulz-Dornburg (1891 – 1949), Sohn eines Opernsängers und Bruder zweier Opernsängerinnen. GMD Rudolf Schulz-Dornburg war von 1919 bis 1926 Leiter der Bochumer Symphoniker.
 
Ein erhaltenes Foto aus der Schlussszene des 1. Aktes auf der gedruckten Premiereneinladung des Intendanten Hans Tessmer (2) zeigt auf den ersten Blick eine zu Siegfried Wagners Spielvorlage denkbare, aber keineswegs spezifische Szenographie, was darauf schließen lässt, dass die Elemente von Wischnewskys Bühnenbild möglicherweise aus dem Fundus des Theaters zusammengestellt waren.
 
Szenenfoto der Görlitzer Aufführung von op. 11, «An Allem ist Hütchen Schuld!« 1936

Szenenfoto der Görlitzer Aufführung von An Allem ist Hütchen Schuld! 1936


Ein großer zentraler Torbogen führt zu einer drei Stufen höher gelagerten Fläche mit Holzbrüstung in die Tiefe. Dahinter ein Prospekt mit bergigem Gelände. Durch das linke Fenster der Rückwand ist ein Baumhänger, durchs rechte ein spitzer Hausgiebel zu sehen. Auf der linken Bühnenseite führt eine Türe ins Hausinnere, eine weitere Rundbogentüre zwischen dem linken Fenster und dem großen Rundbogen ist verschlossen. In der linken hinteren Ecke möglicherweise eine Eckbank, davor ein rustikaler Tisch mit Stuhl, darüber eine Leuchte. In der rechten hinteren Ecke des Raums offenbar ein Ofen mit rundem Abzug. Am rechten Bühnenrand ragen eine quer gestellte Innenwand und ein Laubhänger ins Bild, der möglicherweise als Zwischenvorhang für die flachen Bilder des zweiten Aktes, wie etwa die Waldbegegnungen des Liebespaares, Frieder mit halblangen Hosen und Katherlieschen mit Strohhut und halblangem, an Hosen gemahnenden, vorne geschlitzten Kleid. Rechts vorne, mit bodenlangem Cape und schwarzen Haaren die reiche Trude, links vorne, sich schnäuzend, vermutlich Frieder Mutter. Im Hintergrund, mit dunklem, Langem Jackett und dunklem, schief sitzender Kappe möglicherweise der Dorfrichter. Aber auch bei der skurrilen Gestalt in der ersten Reihe, mit dunklen Stiefeln zu heller Hose, Schärpe, langer spitzer Vogelnase, Halbglatze und Allongeperücke, der Frieders Mutter (?) tröstet, könnte es sich um den Dorfrichter handeln. Die Tenorpartie trägt in dieser Inszenierung die Rollenbezeichnung »Der Gemeindebüttel«.
 
Aufschlüsse über die Inszenierungsintentionen gibt der Besetzungszettel. Er listet auf der ersten Seite die Realpersonen, gegenüber die »Märchengestalten«. Hier fällt zunächst auf, dass Trude zu den Märchengestalten gehört.
 
Bei den Handlungsträgern der Realwelt werden – wie etwa in den Inszenierungen des Großherzogs Georg in Meiningen üblich – die einzelnen Choristen individuell mit Rollenfunktionen versehen und auf dem Besetzungszettel als solche namentlich genannt. So wird Katherlieschen ein weiblicher Partner, »Ihre Freundin« zugeordnet, was darauf schließen lässt, dass ihr Monolog im ersten Akt in eine Dialog mit stummer Partnerin aufgelöst wurde. Weiter ist die Kleinstadt durch ihre Honoratioren auf der Bühne vertreten, mit »Der Herr Pfarrer«, »Die Frau Pfarrerin« und »Pfarrers Töchterlein«, »Der Herr Apotheker«, »Die Frau Apothekerin« und »Die Apothekerstochter«.  Weiter namentlich erwähnt wurden »Der Schneidermeister«, »Der Schmiedemeister«, »Der Schlachtermeister« und »Der Herr Schulmeister«. Die Rollen »Ein junger Soldat« und »Seine Braut«, »Ein Pantoffelheld« und »Seine Frau«, »Ein Bauernbusch«, »Ein altes Männlein«, »Eine junge Witwe« und »Zwei junge Mädels« verweisen auf Nebenaktionen. Durch die Rollenvielfalt in der Realwelt herrschte auf der Szene offenbar große Spielastik.
 
Abgesehen von der Titelrolle und Trude, die als »Frieders angebliche Braut« chiffriert wird – erfolgt die Nennung der Solo-Partien der Märchenwelt in der Reihenfolge ihrer Auftritte, also – noch zum ersten Akt gehörig – »Ein Hexenweibchen«, dann im zweiten Akt: »Der Tod«, »Der kranke Königssohn«, »Der Teufel«, »Des Teufels Ellermutter«, »Der Müller«, »Die Müllerin«, »Der Sakristan«, »Der Wirt«, »Sein Eheweib«, »Der Menschenfresser«, »Das singende, springende Löweneckerchen«, sowie im dritten Akt »Die Märchenfrau«. Nicht als Soli genannt sind die Partien Sonne, Mond und Stern, statt dessen heißt es pauschal: »Sonne, Mond und Sterne. Teufel. Hexen. Zwerge.«
 
Auch letztere sind eine Ergänzung des Regisseurs, möglicherweise waren hiermit weitere Kobolde gemeint. Wie so häufig, wurden die melodramatischen Sprechrollen »Siegfried Wagner« und »Jacob Grimm« gestrichen und der dritte Akt somit verkürzt. Die um 20:00 Uhr beginnende Aufführung dauerte bis gegen 23:00 Uhr, denn die auf der Premiereneinladung angegebenen »Zugverbindungen nach Theaterschluß« liegen sämtlich zwischen 23:00 und 1:04 Uhr.
 
Rudolf Schulz-Dornburgs Görlitzer Inszenierung hatte zwar nicht die räumlichen Innovationen der Inszenierung von Heinrich Kreutz aus dem Jahre 1929 in Halle (3) aufgegriffen, war aber in ihrer Lesart und chorischen Personenführung durchaus ungewöhnlich, in ihrer Erzählweise eigenwillig und innovativ.


Peter P. Pachl


Quelle: Originalbeitrag für www.SIEGFRIED-WAGNER.org, 2015. 

 

 
Anmerkungen

  1. In Peter P. Pachl: Siegfried Wagners musikdramatisches Schaffen, Tutzing 1979, S. 159 für das Jahr 1935 gelistet.
  2. Hans Tessmer ist auch der Verfasser des 1930 erschienen Buches Richard Wagner – Leben und Werk.
  3. Vgl. Peter P. Pachl: Siegfried Wagners musikdramatisches Schaffen, a. a. O., S. 138 f. und Abb. 99 - 104

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