Namen als Schlüssel der Interpretation Siegfried Wagners Witwe Winifred hat der postum von ihr herausgegebenen Dichtung zu Rainulf und Adelasia ein Vorwort beigegeben, in dem sie auf die Quelle hinweist: »Anregungen zu dem Stoff gab vornehmlich das Buch des Grafen Schaack (sic!): ‚Die Normannen in Sizilien (sic!). Eigene starke Eindrücke von früher Jugend an in Sizilien und Neapel empfangen und verwandtschaftliche Bindungen mit dem Geschlecht der Grafen Gravina, die Nachkommen der Normannen in Sizilien sind, unterstützten die dichterische Phantasie in der Darstellung der farbig-schillernden Umwelt.«
Im Gegensatz zur positiven Deutung der Gravinas im Vorwort Winifred Wagners war Alexander Graf von Gravina ein »Gegner von Roger, der aus Hass gegen diesen sich an den deutschen Kaiserhof begeben hatte und bei Friedrich in hoher Gunst stand« (Schack II, S. 97). Gravina betrieb mit »apulischen Größen« Empörung gegen Rogers Sohn und Thronnachfolger Wilhelm – dem hingegen die Sympathie des Komponisten der Oper gehört.
»Der Name Gravina wird schon im elften Jahrhundert genannt«, erwähnt Siegfried Wagner in seinen 1923 erschienen Erinnerungen. In seiner zwei Jahre zuvor vollendeten Oper betreibt der Komponist aber keine Geschichtsfälschung, indem er dem Grafen Gravina eine andere, positive Funktion zuweist. Gleichwohl verweist der Name Graf Gilbert, Adelasias Bruder, aufgrund des in Schacks gesamter Abhandlung nicht vorkommenden Vornamens Gilbert auf Siegfried Wagners Neffen Gilbert Gravina. Der Vorname Gilbert, insbesondere in der Kurzform Gil, leitet sich her vom griechischen Ägidius (»Schildhalter«), die zweite Silbe vom deutschen Bert (»glänzend«), was denn onomapoetisch auf die Rolle des aufrechten Beschützers des jungen Wilhelm zutrifft.
Während Siegfried Wagner für die Namen der Haupt-Handlungsträger historisch belegte Personen gewählt hat, die den Dramatis Personae in ihren Charakteren ähneln, folgt seine Namensgebung für die übrigen Personen der Handlung der in seinem Schaffen üblichen Onomantie. Zwar könnte der ehrliche Diener Sebastian seinen Namen eventuell auch von dem bei Schack zitierten Chronisten Sebastian von Salamanca herleiten, denn zu einem Chronisten der wechselnden Züge der Handlung wird auch er; stärker aber weist seine Namensgebung auf seine Persönlichkeit hin. Der Name leitet sich vom Griechischen her und bedeutet »verehrungswürdig«, und das ist dieser Diener in seiner kompromisslosen Geradlinigkeit denn durchaus.
Beata (»die Glückliche«) ist der Name der Frau aus dem Volke, die nach allerlei tristen Wendungen des Schicksals glücklich sein kann, doch noch den von ihr geliebten Osmund zum Mann zu erhalten.
Die Tänzerin Graziella (»die kleine Anmut«) ist die heimliche Geliebte Rainulfs. Sie macht ihrem Namen alle Ehre, wenn sie mit bewegter Grazie sich über das Verbot, in der Öffentlichkeit zusammen mit Rainulf gesehen zu werden, hinwegsetzt und am Ende des zweiten Aktes mit einer Schar »Nachtschwärmer« über die Terrasse in Rainulfs Palast dringt, um Rainulf zu erheitern.
Der Name der treuen Magd, die den kleinen Prinz Wilhelm begleitet, Marta, ist hebräischen Ursprungs. Ohne Dehnungs-»h«, wie Siegfried Wagner ihn schreibt, scheint er aber möglicherweise auf eine weibliche Form von Martin zu verweisen und ist damit dem Kriegsgott Mars verbunden. Tatsächlich steht Marta in ihrer Funktion als Hüterin des jungen Wilhelm mit im Zentrum kriegerischer Auseinandersetzungen.
Der nur im Text erwähnte Komplize Rainulfs beim Raub des Wundersteins trägt den Namen Giacomo, ein Name, der bei Schack nicht vorkommt und der sofort an den von Wagner d. Ä. geschmähten Meyerbeer denken lässt, an dessen Form der Großen Oper sich Siegfried Wagner mit seinem Opus 14 jedoch deutlich annähert.
Aber sogar die mit historischem Bezug gewählten Namen dieser Opernhandlung fügen sich in die Onomapoetik Siegfried Wagners: Adelasias Name setzt sich zusammen aus dem deutschen Vornamen »Adel« (»die Edle«) und »Asia«, die Asiatin, was den Bogen schlägt zur edlen Verbrecherin, der Siegfried Wagner auf seiner Fernasienreise im Gefängnis von Kanton begegnet war und die vor allem in der weiblichen Hauptrolle von Schwarzschwanenreich ihren künstlerischen Niederschlag gefunden hat. Der zweite Teil des Namens Adelasia alludiert aber auch den griechischen Namen Aspasia (»die Willkommene«), wobei die bekannteste Namenträgerin der Aspasia eine griechische Hetäre war; Adelasias Name lässt sich somit, der Handlung konform, als »edle Dirne« deuten. Die Namensgebung von Rainulf (»Rat« – »Wolf«) belegt dessen Klugheit und gefährliche Verschlagenheit.
Der Name der Gräfin Albiria bedeutet »weiße Bergwölfin«, mit Bezug auf ihren Sohn Rainulf, der auch den »Wolf« im Namen führt, wie auch auf die geradezu werwölfischen, nächtlichen Rufe der Toten.
Ihr ehelicher Sohn trägt den altsächsischen Name Osmund (»Gott« – »Rechtsschutz«); die Onomapoetik entspricht der Funktion dieses geradlinigen Kämpfers für das Recht.
Der Name der Seherin Sigilgaita (»Sieg« – »Freude«) steht für das archaische, positive Bewusstsein der Priesterin.
Der Name des Knaben Wilhelm schließlich folgt ausschließlich der Historie; denn das verbaliter und speziell für den seiner Macht und seines Augenlichts beraubten jungen Monarchen hoffnungslose Ende der Oper führt den »Willen« (»Wil«) und den beschützten Kopf (»Helm«) des geblendeten, orientierungslosen Dreizehnjährigen ad absurdum. Peter P. Pachl
Quelle: Programmheft zur Uraufführung von Rainulf und Adelasia, Bad Urach 2003 (mit freundlicher Genehmigung des Autors)
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