clearpixel

Ihr Weg hierher: / Siegfried Wagner / Musikdramatische Werke / Opernführer / Die heilige Linde / Handlung / Werkanalysen / Onomatopöie – Bedeutung von Figuren und Begriffen

Traduire français

 

Translate English

 

Onomatopöie – Bedeutung von Figuren und Begriffen

Internationale Siegfried Wagner Gesellschaft e.V., Bayreuth

 

Namen als Schlüssel der Interpretation

Bei der Wahl der Namen für seine Figuren ging es Siegfried Wagner einerseits darum, Namen zu suchen, die für die Opernliteratur Novitäten darstellten, die andererseits aber Assoziationsketten ermöglichen, die wiederum Rückschlüsse und Hilfestellungen zur Deutung der Opernfiguren selbst sind.

 


Arbogast

Der Name Arbogast dürfte Siegfried Wagner bei Jacob Grimm begegnet sein, in der Sage über den fränkischen Einsiedler aus Aquitanien, der um 530 n.Chr. Bischof von Straßburg wurde. Als Vorbild für die Namensgebung des germanischen Königs diente in der heiligen Linde wohl auch der herausragende Germanenführer fränkischer Abstammung Arbogast, der unter Kaiser Gratianus mit seiner Legion ins römische Heer integriert wurde und den höchsten Rang eines »Magister militum« einnahm. Unter dem jungen Valentinianus II. führte er die Regentschaft; er ließ Valentinianus II. 392 n.Chr. ermorden und erhob Eugenius auf den Thron. Von Theodosius dem Großen 394 n.Chr. in der Schlacht bei Aquilea besiegt, beging Arbogast Selbstmord. Die gespielte Zeit der Oper liegt jedoch im dritten Jahrhundert, also rund zweihundert Jahre vor dem historischen Feldherrn Arbogast. Der Dichterkomponist wählte den Namen also primär aufgrund seiner Onomatopöie, denn wörtlich übersetzt bedeutet dieser »Erb-Fremdling«, also jemand, der als Fremder sein Erbe antritt. Die Nachsilbe »gast«, die auch in mitteldeutschen Ortsnamen gebräuchlich ist, weist auf den Fremden hin. Arbogast ist sowohl in Rom als auch im eigenen Land ein Fremder.


Fritigern

Fritigern, der Königssohn eines benachbarten Stammes, nimmt in der Namensgebung Bezug auf eine andere Sage Grimms, in welcher der westgotische Heerführer Fridigern dem Terror der Römer über sein Volk ein Ende setzt, indem er die Goten »zur Vernichtung der Römer« aufruft, »und die Goten walteten in dem Lande, das sie besetzt hatten, nicht wie Ankömmlinge und Fremde, sondern wie Herren und Herrscher«. Wie häufig in den Opern Siegfried Wagners, trägt die Tenorpartie einen Namen, der in der Lautbildung mit seinem Spitznamen »Fidi« verwandt ist. Onomatopoetisch ist hier »Fidi« verbunden mit »Ger«, dem Speer, der hier gleichermaßen aggressiv (politisch), wie phallisch (Leidenschaft zu Hildegard) zu verstehen ist. Als Brautwerber tritt Fritigern unter dem Pseudonym Agilulf in Erscheinung und verliebt sich in Hildegard, die er fälschlich für Sigrun, die ihm zugedachte Frau, hält. Damit schafft Siegfried Wagner einen neuen Typ des Brautwerbers auf der Opernbühne: in »Tristan und Isolde« (1865) wirbt Tristan die irische Königin Isolde, die er insgeheim liebt, für seinen Onkel Marke; in »Der Rosenkavalier« (1911) wirbt Octavian für Ochs von Lerchenau, verliebt sich dabei aber unversehens in dessen Auserwählte Sophie.

In der unmoralischen Ballade »Agilulf und Theudelind«, die Siegfried Wagner – basierend auf Grimms Sage Nr. 404 – ursprünglich in seiner Oper Der Kobold vortragen lassen wollte, betrügt der Knappe Gilbert den König Agilulf mit der Königin. Um herauszufinden, wer der Übeltäter ist, horcht der König, wessen Herz nachts am heftigsten schlägt und schneidet jenem ein Locke ab. Aber am nächsten Morgen fehlt allen Dienern eine Locke, denn der schlaue Gilbert hat jedem anderen im Schlaf ebenfalls eine Locke abgeschnitten; und so bleibt sein Vergehen ungestraft. Ganz im Gegensatz zu seiner Mutter Cosima, die gegen die Verwendung dieser Ballade in opus 3 Protest einlegte, hatte Siegfried Wagner großen Spaß an der altdeutschen Sage aus den »Sieben weisen Meistern«. Mit seiner Ballade, deren Vertonung leider nicht erhalten ist, schuf er ein Seitenstück zum Gedicht »Der König von Tarent« des deutschen Humoristen Rideamus (Pseudonym für Fritz Oliven), wie auch zu dem von Ludwig Thuille vertonten »Fridolin« (1893), nach Schillers »Der Gang zum Eisenhammer«. Siegfried Wagners Sonnenflammen hatte ursprünglich den Titel »Die Fridolinslocke«. Der autobiographische Antiheld dieser Oper heißt – Schillers Ballade folgend – Fridolin. Ihm, der in außerehelicher Liebe an jene Frau gebunden ist, die auch der Kaiser Alexios begehrt, werden als ein Kastrationssymbol die Locken geschoren. Dass Fritigern, der mit Fridolin nicht nur die Identität der ersten Namenshälfte teilt, den Decknamen des Königs der Ballade wählt, ist als tiefenpsychologischer Vorgriff auf seine Beziehung zu Arbogasts Gattin Hildegard, aber auch auf Fritgerns Im-Dunkeln-Tappen zu deuten.


Ekhart

Die Figur des königlichen Ratgebers, des alten Ekhart, verbindet Die heilige Linde mit Siegfried Wagners Lieblingsoper Der Kobold, opus 3; dort wird die Sagengestalt des »getreuen Eckart«, wie sie uns Grimm und Goethe schildern, als Mahner und Helfer gezeichnet. Diese dramatis persona besitzt in ihrer Philosophie auch Bezüge zum spätmittelalterlichen Mystiker Meister Eckehart. Siegfried Wagners eigenwillige Schreibweise schafft Distanz zur wörtlichen Übersetzung des Namens, »der mit der harten Spitze«, die in der Handlung von der Heiligen Linde und Der Kobold nicht gemeint ist, vielmehr soll auf die Schärfe seines Denkens und seiner Zunge sowie auf seine unbeugsame Treue und Aufrichtigkeit hingewiesen werden.


Philo

Die schillerndste Persönlichkeit ist Philo, ein Günstling des römischen Kaisers und im zweiten Akt gar dessen Stellvertreter. Sein Name leitet sich vom griechischen »philos« (der Freund) ab. Allerdings ist der syrische Freigelassene, der sich gern auf seine Belesenheit und seine Kenntnis römischer Dichter und Philosophen beruft (»Philosophie gibt Philo so viel!«), Arbogast ein falscher Freund.


Antenor

Demgegenüber ist Antenor, der Autonoë in treuer, aufopfernder Liebe ergebene römische Söldner eine geradlinige Persönlichkeit. Der Name des aufrichtigen Fischersohns aus Milet ist gebildet aus »Ante« (= vor) und »nor« (= Norden). Als solcher steht er im dritten Akt vor den Toren des nordischen Palastes.


Caius

Während Bote, Graf und Rädelsführer namenlos bleiben, erhält Philos Hauptklient den Namen Caius. Dieser, der die perfiden Pläne Philos, vom selbstinszenierten Aufstand bis zur Erbschleicherei, in die Tat umsetzt und zum Dank kurzzeitig Arbogasts Schwester Sigrun als Braut zugeteilt bekommt, wird von Siegfried Wagner als Philos »Kreatur« bezeichnet. Der Name, den er zunächst in eingedeutschter Schreibweise mit »j«, in der Partitur dann mit dem lateinischen »i« schreibt, ist verwandt mit dem Namen Gaius und vermutlich etruskischer Herkunft. Lautmalerisch erinnert der in dieser Oper niemals gesungene Name des Handlangers, den Philo als »Gauner und Narr« tituliert, an »peior casus«: ein besonders schlimmer Fall.


Autonoë

Autonoë ist der Name der kaiserlichen Kurtisane, die Arbogast von Philo als vorgebliche Nichte des römischen Kaisers untergeschoben wird, um für kurze Zeit als Barbarenkönigin in Deutschland zu weilen. Sie ist jedoch keine unsympathische Figur. Ihr Name ist aus den griechischen Wörtern »autós« (= selbst, eigen) und »noäma« (= Sinn, Entschluss) gebildet. Autonoës Eigensinn gibt ihre steile Karriere vor, aber auch den dramatisch wirkungsvollen Entschluss im dritten Akt, diese Karriere aufzugeben und der Stimme ihres Herzens, ihrer Jugendliebe zu folgen.


Gundelind

Die positivste, stets human denkende und handelnde Frauengestalt ist Gundelind, Arbogasts Cousine. Ihr Name steht für ihr vermittelndes Wesen, sie mäßigt die Emotionen, sie lindert (»lind«) den Kampf (»Gund«). Außerdem weist die zweite Silbe ihres Namens (»lind«) auf den Baum hin, der dem Werk den Titel gibt.


Sigrun

Genau wie ihrem Bruder fehlt Arbogasts Schwester Sigrun der Weitblick. In dem unter einem Pseudonym auftretenden Brautwerber erkennt sie – im Gegensatz zu Gundelind und Philo – nicht dessen wahre Identität. Ihr Name wird von Siegfried Wagner zunächst in den Skizzen ohne Dehnungs-»e«, in der Partitur teils mit, teils ohne Dehnungs-»e« geschrieben. Die Inkonsequenz der Schreibweise rührt offenbar von der Beschäftigung des Regisseurs und Dirigenten mit Siegrune in Richard Wagners »Walküre« her. Ihr Name zeichnet sie zwar als nordische Aristokratin aus, aber vorherrschend für die Onomatopöie ihres Namens ist die zweite Silbe »run«, das Geheimnis, das zu durchschauen sie – nicht nur im Falle des Agilulf und Caius – nicht in der Lage ist.


Hildegard

Der Name von Arbogasts Frau Hildegard ist aus »Hilt« (= Kampf) und »gerd« (= Umfriedung, Einhegung) zusammengesetzt. In der Heiligen Linde zeigt die Namensträgerin kämpferische Gesinnung, aber auch die Funktion der Hegerin, die als Verstoßene heimlich weiterhin ihrem Kind nahe ist und im Exil eine neue, junge Linde pflanzt. Die Namenswahl gestattet so auch die Assoziation zur pflanzenkundigen Musikdramatikerin Hildegard von Bingen (1098 – 1179).


Nerthus-Feier

Nerthus-Feier und Hertha-Fest, wie der Fruchtbarkeitsritus in der Prosaskizze noch heißt, sind deckungsgleich. Hertha erwies sich jedoch als ein von der Wissenschaft aufgrund eines Lesefehlers einiger schlechter Tacitus-Handschriften (»Herthum« statt »Nerthum«) erfundener Name der Mutter-Gottheit, und so wählte Siegfried Wagner in Libretto und Partitur ihren ursprünglichen Namen Nerthus. Der zweigeschlechtlichen Fruchtbarkeitsgottheit Nerthus wohnte ein Priester zum Befruchtungsritus der heiligen Vereinigung bei, anschließend nahm die Gottheit, die im Frühling in einem von Kühen gezogenen Wagen über Land gefahren wurde, ein reinigendes Bad. Auch Wagen und Decke wurden von den ihr dienenden Sklaven – in der Heiligen Linde sind es zwei Kriegsgefangene – gewaschen; anschließend wurden die Sklaven im See ertränkt.


Die Linde

Über 500 deutsche Ortsnamen erinnern an die ursprüngliche Bedeutung der Linde, der als Thingbaum vor Unrecht schützte. Der Friedensbaum der Germanen war der Göttin Freya geweiht, später dann, in christlicher Zeit, der heiligen Maria. So blieb die Linde, die bis zu 1000 Jahre alt werden kann, im Volksglauben die mütterliche Beschützerin von Leben und Liebe. Die Rinde und Blütenblätter des lebenden Baumes dienten gegen Augenkrankheiten, Krämpfe, Darminfektionen, Brandwunden und Entzündungen. Das Holz des gefällten Baumes ist jedoch kaum verwendbar, außer zum Schnitzen. Die Linde als Beschützerin der jungen Liebe hat bereits Walther von der Vogelweide besungen, und der Bogen reicht über Wilhelm Müllers Dichtung »Am Brunnen vor dem Tore« bis in die moderne Lyrik.

In Siegfried Wagners opus 15 wird die heilige Linde im ersten Akt aus politischer Räson gefällt und im dritten Akt von einer jungen Mutter in Einsamkeit neu gepflanzt. Das Bild einer Bäume pflanzenden jungen Frau lebte von 1949 bis heute in der ersten Münze der Bank Deutscher Länder, dem von Richard Martin Werner entworfenen 50-Pfennig-Stück, fort. Allerdings handelt es sich bei der Darstellung auf der kleinsten deutschen Silbermünze – im Vorgriff auf weitere Darstellungen von Eichen(laub) auf Münzen und Geldscheinen höherer Werte – um ein Eichenreis; Modell für die »Hildegard« der Münze war Gerda Jo Werner, die Frau des Bildhauers.


Peter P. Pachl


Quelle: Programmheft
Die heilige Linde, Philharmonie Köln 2001 (mit freundlicher Genehmigung des Autors)
Copyright   © 2001 –    Internationale Siegfried Wagner Gesellschaft e.V., Bayreuth     [ eMail ]