| Falschgraf und fünfziger Jahre Die Rückbesinnung, die wir derzeit erleben, ist eine Bewegung des Blicks in Richtung der 50er Jahre. Diese Renaissance einer Epoche zeigt sich seit kurzer Zeit in verschiedenen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens: in Design und Mode – im grafischen Bereich hält dieser Bewegung schon seit ein paar Jahren an, der Wiedereinzug des Petticoat in die Mode nach den klaren Linien, die die 90er Jahre mit sich brachten und zur Jahrtausendwende noch verschärft und in Richtung einer Eleganz durch Zurücknahme prägend wurden, ist hier ebenfalls zu erwähnen – genauso wie den Reden der Politiker – »seit Gründung der Republik« ist eine häufig gehörte Wendung derzeitiger oppositioneller Debattierer um einen Vergleichspunkt für die exorbitante Lage des Staates zu verdeutlichen.
Was ist das aber für eine Dekade, die hier heraufbeschworen wird, oder vielmehr: auf was für ein Bild dieser Dekade wird geschaut (und was wird dabei bewusst außer Acht gelassen)?
Zunächst einmal handelt es sich um die 50er Jahre in der Bundesrepublik Deutschland, nur zum Teil die der DDR oder der USA, die zwar in manchen Punkten richtungsweisend eingewirkt haben auf diese Zeit, als Besatzer jedoch eine andere Rolle einnahmen als die Deutschen. Es ist die Zeit des Wirtschaftswunders, der aus den Ruinen / der Asche neu erstandenen Städte, des neuen Wohlstands, der Üppigkeit, der guten Butter und einer neuen Unterhaltungsindustrie mit Filmen mit Darstellern wie Peter Krauss, Peter Alexander und Cornelia Froboess, deutschsprachiger Schlager. Es ist die Epoche nach einer Wiedergeburt – Phönix aus der Asche.
Es ist aber auch eine Zeit des amerikanischen Traums: absolute Übernahme der amerikanischen Ideale, vom Tellerwäscher zum Millionär, der deutsche Traum als Spiegelbild des amerikanischen.
Warum aber ist diese Zeit gerade jetzt so populär? Der Wunsch nach einem Neubeginn nach Ende des – so schien es – unaufhaltsam steigenden Wirtschaftswachstums lenkt den Blick eines manchen in Richtung einer Zeit, in der es »uns«, den Deutschen, besser ging, nachdem es zuvor eine schlimme Zeit gab, motiviert durch ein »Das haben wir doch auch geschafft«, das seinen Anfang nahm mit Herzogs »durch Deutschland muss ein Ruck gehen«. Tatsächlich ist dieser von der Politik so gelenkte Blick jedoch ein unpolitischer. In seinem Betrachtungsfeld steht eben nicht die wirtschaftlich-politische Entwicklung eines Landes, das nach einem zu Recht verlorenen Krieg wieder aufgebaut wird, sondern ein gutes Leben, das »man« sich erarbeitet hat, indem »man« das Land nach dem Krieg (wieder) aufgebaut hat. Die Unterstützung durch die Siegerstaaten wird nicht gesehen, ebensowenig, dass dieses neue deutsche Wesen zu einem großen Teil eine bloße Kopie des amerikanischen großen Vorbildes war, besonders in den Fragen des Stils: Petticoat und Coca Cola, Rock'n'Roll und Nierentischchen.
Diese Zeit ist auch die Zeit des Vaters des Grafen. Er hat die Zeichen der Zeit genutzt und seinen Vorteil aus ihnen gezogen. Dem Falschgraf und den Seinen ging es nie besser als in dieser ersten Zeit, nachdem er sich seinen Adelstitel »erarbeitet« hat. In seinem epochalen Hier und Jetzt gibt es noch etwas zu feiern. Dieser Graf ist die Verkörperung des amerikanischen Traums.
Betrachtet man nun die gräfliche Gesellschaft der Nachfolgegeneration, deren Reichtum und Existenz(form) auf diesen 50er Jahren gründet, so liegt eine rückblickende Verklärung dieser glorreichen Zeit aus folgenden Gründen nahe: - Tradiert wird immer nur der Mythos einer Zeit, die Akteure waren nicht dabei. Die sicherlich nicht unproblematische Neusituierung des alten Grafen in die damalige Gesellschaft ist aus dem Blickfeld geraten und es wird auf die materiellen Errungenschaften geschielt (Schloss, Garten, Reichtum, Macht in Parallele zu 50er Jahre Architektur des Wiederaufbaus, Wirtschaftswunder/-wachstum, amerikanischer Traum).
- Die gräfliche Gesellschaft ist von vornherein marode. Ohne die Errungenschaften des Grafenvaters zerfiele alles, denn die Gräfin bleibt nur aus Bequemlichkeit am Hof, der Graf kostet Macht und Lust in Form von Bestechung aus und Jeannette alias Nanni intrigiert als Emporkömmling der zweiten Generation munter für ihren eigenen Vorteil vor sich hin.
Es handelt sich also um eine Mischung aus Nostalgie / Dankbarkeit auf der einen Seite und den Wunsch nach einer besseren und (scheinbar!) ehrlicheren Zeit auf der anderen Seite. In der Spannung dieser beiden Motivationen liegt die Notwendigkeit für die gesamte Gesellschaft, die Renaissance dieser Epoche mitzumachen. Die fahrenden Spieler in der Tradition der Commedia dellarte sind keine Mahner. Ihr Stück ist kein Menetekel, wenn auch jede Figur sich selbst spielt. Vielmehr ist das Spiel vor der gräflichen Gesellschaft eine große Chance (zumindest auf viel Geld wird gehofft, wenn auch vergeblich) für die Schauspielertruppe, ein in mythisches Kleid gehüllter amerikanischer Traum. Bianca Henne
Originalbeitrag, Juli 2005. – Die Autorin war Regieassistentin der Kobold-Aufführung am Stadttheater Fürth.
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