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Geschichtliche Hintergründe

In die Endzeit des nach Karl dem Großen benannten Königsgeschlechts der Karolinger fällt der Aufstieg des Geschlechts der Konradiner. Sie gehören zu den sogenannten »Sal(z)franken« und werden in der Geschichtsschreibung später meist als das Geschlecht der Salier genannt. Die Heimat der Konradiner hat die Wissenschaft wiederholt im Lahngau selbst gesucht. Heute wird sie in Lothringen vermutet, von wo die Konradiner wie andere Adelsfamilien nach Osten zogen und eine neue Hausmacht aufbauten. Jedenfalls werden sie als Verwaltungsträger – »Ministeriale« – der karolingischen Könige im rechtsrheinischen Gebiet groß. Ende des 9., Anfang des 10. Jahrhunderts gehören die Konradiner zu den bedeutendsten Adelsfamilien des Reichs.

 


Das Reich und Konrad I. der Salier

899 tritt eine prekäre Situation ein: der eben verstorbene König hinterläßt nur einen sechsjährigen Erben, Ludwig IV. »das Kind«. Anfangs scheint das Reichsbewußtsein noch stark genug gewesen zu sein, so dass dem Königskind und seinen Statthaltern von den Lehensträgern und alten Adelsfamilien voller Gehorsam geleistet wird. Doch die stetige Bedrohung durch die Ungarn, die von 900 bis 910 mehrmals ins Reich einfallen und bis an den Bodensee vorstoßen, verstärkt zwangsläufig die Stellung der alteingesessenen, regionalen Führungskräfte, also einzelner Adelsgeschlechter wie der Konradiner. Es kommt zu einer deutlichen Aufwertung der Stellung der Herzöge, zur Ausbildung von Stammesherzogtümern. 911 wird die herausragende Führungspersönlichkeit, der Salier Konrad I. (911 – 918) zum deutschen König gewählt. Er dient mittelbar als Vorwurf für den Herzog Konrad der Salier der Oper.


Der Lahngau, die Babenberger

Während des ganzen 9. und 10. Jahrhunderts ist eine rege Tätigkeit der Konradiner im Lahngau nachweisbar, insbesondere durch zahlreiche Kirchengründungen. Alle Linien der Familie müssen zum Erwerb und zur militärisch-administrativen Sicherung neuer Gebiete beitragen. Auch illegitime Söhne werden dazu herangezogen; eignen sie sich nicht für diese Aufgabe, so können sie zumindest im Kloster den Einfluß der Familie sichern: ein Mißgebildeter wie Kurzbold paßt ganz in die historische Landschaft. Herrschaftsgewinn, Sicherung erreichter Stellungen, männlich-wehrhafte Nachkommenschaft sind die beherrschenden Themen der Männerwelt – die von Siegfried Wagner gezeichnete Figur des Salierherzogs Konrad ist zutreffend von ihnen beherrscht. All dies vollzieht sich nicht in herrschaftsfreien Räumen, sondern in Auseinandersetzung mit alteingesessenen Familien. Rechtsstreitigkeiten, Fehden über Generationen hinweg, politische Morde sind an der Tagesordnung – Auseinandersetzungen wie etwa mit den »Grafen von Kalw". Vertrauenswürdige, hilfreiche junge Adelige – Helferich von Lahngau – konnten zu Vertrauten, Ratgebern, Heiratskandidaten aufsteigen.

Den um Bamberg reich begüterten Babenbergern ist der Aufstieg der Konradiner mißliebig, insbesondere der Konradiner-Bischof Rudolf I. in Würzburg. Graf Adalbert von Babenberg – der sicher bei der Namensgebung für den machthungrigen Adalbert der Bühnenhandlung Pate stand – vertreibt 903 den Konradiner-Bischof, 906 belagert er sogar die Konradiner in Fritzlar, erobert und verwüstet die Stadt. Einige Monate später büßt er dies mit dem Tod von Hand des Henkers.


Fritzlar

Die turm- und kirchenreiche Stadt ist eine der Wiegen des Christentums. Bonifatius fällte in der Nähe die dem germanischen Gott Thor geweihte Eiche, 741 gründete er in Friedeslar ein Missionskloster samt Schule und die St. Peterskirche. Der spätere Wiederaufbau nach einer Zerstörung durch die noch heidnischen Sachsen hatte auch politische Gründe: hier trafen sich die Straßen von Mainz-Frankfurt nach Norden und die west-östliche Straße nach Thüringen. Seit dem 8. Jahrhundert residieren hier immer wieder die Könige in einer Pfalz, Fritzlar wird die Bastion für die Vorstöße nach Osten. Zum ständigen Schutz blieb ein Graf, dann ein Herzog im Ort: Fritzlar wird Residenz der Frankenherzöge und in dieser Funktion halten sich auch die Konradiner hier auf.


Frauenwelt und ritterliche Minne

Das Hochziel des Mittelalters ist der vollendete Mensch, der aus Erziehung (»zuht«), Selbstzucht und Selbstbildung durch unablässige Anstrengung (»arebeit«) emporwächst. In der Minne soll alles Triebhaft-Sinnliche (Julia) gebändigt und geläutert werden. Eine zeitgenössische Antwort auf des Ritters Frage nach dem Minnelohn lautet: »dass Euer Wert dadurch gesteigert wird und Ihr daraus freudige Erhebung erfahrt«. Trägerin der veredelnden Aufgaben in der Minne ist die gesellschaftlich und seelisch-sittlich wahrhaft erhöhte Frau. In der Vollkommenheit äußerer und innerer Schönheit wird sie oft zum Typus gesteigert, deren Ehre und Ehrenpreis über allem steht (Agnes).

Obschon die männliche Nachkommenschaft im Zentrum damaliger Herrscher- und Machtpolitik stand – im Werk der Konflikt um Graf Heinz von Kalw –, so steht fast ebenso wichtig die mit Töchtern betriebene Heiratspolitik daneben: andere Geschlechter – im Werk die geplante Heirat Adalberts von Babenberg mit Agnes – oder verdiente, ergebene Gefolgsleute – Helferichs Verbindung mit Agnes – sollen an das eigene Haus gebunden worden.


Kurzbold

Ein historischer Träger dieses Namens ist überliefert: der kühne Ritter Kuno hilft seinem Herzog Heinrich I. »dem Finkler« durch Vernichtung einer feindlichen Übermacht. Da er von sehr kleinem Wuchs war, bekommt er den Namenszusatz »Kurzbold«; ihm wird nachgesagt, dass er aus königlichem Geblüt stammt.


Herbert, Ratgeber des Herzogs

Wie Biograph Glasenapp betont, hat Siegfried Wagner in einem Gespräch klargestellt, dass er in der Figur des Ratgebers nicht den historischen Herbort von Fritzlar, einen mittelhochdeutsch-hessischen Dichter des 12. und 13. Jahrhunderts abbilden wollte. Für die dramatische Phantasie bietet Herbort dennoch Anreize: Er ist in Fritzlar geboren und gehört dem geistlichen Stand an – ein typisches Merkmal der fürstlichen Ratgeber, Archivare und Kanzler des Mittelalters. Der historische Herbort verschwindet plötzlich und wird von seinen Zeitnenossen nicht weiter erwähnt, weshalb sein neuzeitlicher Biograph auf einen gewaltsamen, mysteriösen Tod schließt.


Nürnberg und die Konradiner

Herzog Konrad will seinen gefähr1ichen Gefangenen Heinz beim Burgvogt von Nürnberg nach Florestan-Manier »gefangen« halten lassen. Die Verbindung König Konrads I. zur Burgvogtei sind belegt. Unter den Konradinern ist im ganzen 10. Jahrhundert ein stetiger Machtausbau durch die Vergrößerung der Reichsländereien in Franken feststellbar. Dabei wächst Nürnberg zu einem Zentrum heran. Innerhalb derartiger Orte setzt der Herrscher einen Vogt als Rechtsverwalter und -wahrer ein, einen Mann seines Vertrauens also. Sinnfällig, dass dieser das Vertrauen rechtfertigen will und sich durch einen derartigen Vertrauensdienst das Herrscherhaus seinerseits gewogen machen möchte. Die Randlage Nürnbergs in Relation zum Herrschaftszentrum am Mittelrhein verbürgt, dass dieser gefährliche Gefangene sicher aus dem Zentrum der Ereignisse gerückt ist.


Wolf-Dieter Peter


Quelle: Programmheft Sternengebot, Wiesbaden 1977 (unwesentlich redigiert; mit freundlicher Genehmigung des Autors) 
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