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Versteckte Abrechnung mit Richard Strauss

Internationale Siegfried Wagner Gesellschaft e.V., Bayreuth

 

Wortspielereien

Im Oktober 1911 erschien in der Berliner Zeitschrift »Der Turm« ein Interview von Catharina von Pommer-Esche mit angeblichen Äußerungen Siegfried Wagners über Richard Strauss.

Die Argumente jedoch, die Frau Pommer-Esche als ästhetische Ablehnung der Kunst des Richard Strauss mit Siegfried Wagner als Urheber anführt, haben vermutlich einem Großteil des Publikums aus dem Herzen gesprochen und sind bei Konservativen sicher auch auf volle Zustimmung gestoßen, aber sie können nicht von Siegfried Wagner stammen, denn sie sind in musikalischer Hinsicht falsch gewählt. Beispielsweise legt Pommer-Esche Siegfried Wagner eine arge Kritik am col legno der Streicher in den Partituren von Strauss in den Mund: »Da fahren die Violinbogen umgekehrt – mit der Holzseite – über die armen Saiten, um Geräusche hervorzubringen, schauerliche Geräusche«. Offenbar hat Pommer-Esche nie eine Oper von Siegfried Wagner gehört, sonst wüsste sie, dass Siegfried Wagner gerade diesen Effekt selbst gerne anwendet, beispielsweise in den Kurzbold-Szenen des Sternengebot.

Und auch die Behauptung, Strauss »spekuliere auf die unlautersten, niedersten Triebe seiner Zuhörer«, scheint angesichts der Opernhandlungen Siegfried Wagners sehr unangebracht; denn in Siegfried Wagners Opernhandlungen sind Vergewaltigung, Päderastie, Kindesmisshandlung und Tierquälerei an der Tagesordnung, ganz zu schweigen von allerlei Formen (un-)gesellschaftlicher Messallianzen. Und ebenso unwahrscheinlich wäre aus Siegfried Wagners Munde die von Pommer-Esche aufgezeichnete, angebliche Äußerung des Wagner-Erben, »die Halbwelt bleibe doch gefälligst unter sich«, zumal auch dieser Satz voll auf Siegfried Wagner zurückschlagen müsste, auf jenen Komponisten, der sich nicht nur gerne in Jazzbars und – wie seine Tochter Friedelind in ihrem Memoiren festgehalten hat – bereits Stunden vor Abfahrt des Zuges an Bahnhöfen aufhielt, sondern auch sonst noch Orte aufsuchte, die von der »anständigen Gesellschaft« gemieden, wenn nicht gar negiert wurden. Nein, Catharina Pommer-Esche zeichnete Siegfried Wagner so, wie konservative Wagner-Kreise den Wagner-Sohn gerne gesehen hätten, wie er jedoch nicht war.

In der Tat jedoch war Siegfried Wagner eifersüchtig auf den weitaus größeren Erfolg der Opern des einstigen Freundes, des fünf Jahre älteren Richard, der wie Siegfried Wagner im Sternzeichen des Zwillings geboren wurde. Seinem Freund Otto Daube verriet Siegfried Wagner einen häufiger wiederkehrenden Traum: er, Siegfried Wagner, stehe im Nachthemd vor dem Orchester, während sich ihm Richard Strauss von hinten nähere und ihm unter das Nachthemd schaue.

Richard Strauss selbst hat in seiner zweiten Oper »Feuersnot« auf ein Libretto Ernst von Wolzogens, »Strauss« in des Wortes doppelter Bedeutung, als Kampf und als Familienname des Komponisten eingesetzt. Strauss' künstlerisches alter ego Kunrad singt: »den bösen Feind, den triebt Ihr nit aus, der stellt sich euch stets aufs Neue zum Strauss.«

Es kann bei einem so ausgefeilten und bis in Feinheiten des goldenen Schnitts architektonisch konzipierten Kunstwerk wie der Oper Siegfried Wagners kein Zufall sein, dass auch Agnes, die vorwitzige weibliche Hauptfigur von Opus 5, ein ganz ähnliches Wortspiel treibt (obgleich ihre Eltern Schach und nicht Skat spielen): »Kaum bin ich zur Tür hinaus, gibt's beim Schach den alten Strauss.«

Aber damit nicht genug. Der dritte Akt bringt eine Situation, die in der Opernführer-Verknappung geradezu als Abbild der dramatischen Situation des dritten Aktes von Richard Strauss' »Guntram« entspricht – allerdings mit entscheidenden Unterschieden.

Erinnern wir uns: Das Libretto zu seinem Jugendwerk hat Strauss selbst verfasst. Guntram, ein Mitglied im Bund der »Streiter der Liebe«, will das Herz des tyrannischen Herzogs Robert durch Gesang erweichen. Er rettet dessen Frau Freihild, die als »Mutter der Armen« gegen den Willen des Gatten häufig die Not gelindert hatte, vor dem Freitod. Der alte Herzog, Freihilds Vater, lädt Guntram ins Schloss ein. Bei einem Sangesfest setzt Guntram der Huldigung der Macht seinen Friedensgesang entgegen, in dem er auch die Schrecken des Krieges anprangert. Als kurz darauf die Kunde erneuten Kriegsausbruchs ins Schloss dringt, greift Robert den Minnesänger an, aber Guntram tötet den Tyrannen und wird eingekerkert. Freihild gesteht Guntram ihre Liebe und will mit ihm fliehen. Doch Friedhold, ein anderer »Streiter der Liebe«, fordert Guntram auf, sich vor dem Tribunal des Bundes zu verteidigen und sein Verbrechen zu büßen. Guntram erklärt seinen Austritt aus dem Bund, er sei nur sich selbst gegenüber verantwortlich und schickt Friedhold fort. Gegenüber Freihild gesteht er, sein Impuls, ihren Mann zu töten, sei der seiner Eifersucht und Liebe zu ihr gewesen. Daher müsse er nun auf sie verzichten und in Einsamkeit leben, sie aber möge ihre guten Werke fortsetzen.

Strauss' Mentor Alexander Ritter und Cosima Wagner deuteten Guntrams Abwendung vom Bund als eine Abkehr vom offiziellen Bayreuth und von dessen kulturpolitischen Zielsetzungen. Unwahrscheinlich, dass der liberale Kosmopolit Siegfried Wagner die Meinung seiner Mutter teilte. Der Sopranistin Emmy Krüger vertraute er einmal bei einer Regieprobe an: »Meine Mutter dürfte nicht wissen, was ich hier mache!«

Aber Siegfried Wagner, der all seine Umwelt, seine psychischen und zwischenmenschlichen Probleme, seine Ängste und Sehnsüchte in seinen Opern, gigantischen Tagebüchern gleich, verarbeitet hat, musste musikdramatisch auf das Thema Richard Strauss zurückkommen. Und er tat dies mit dem dritten Akt seiner Oper Sternengebot:

Schon immer waren die Siegfried Wagnerschen Kindfrauen im Vergleich zu den älteren männlichen Handlungsträgern die mutigeren und entschlosseneren. Deshalb sucht die jugendliche Heldin in Siegfried Wagners Opus 5 den eingekerkerten Geliebten nicht – wie Freihild den Guntram – im Gefängnis auf, sondern lässt diesen gleich in ihr Schlafgemach bringen.

Agnes ist eine Namensbase der Kindfrau aus Hans Pfitzners Erstlingsoper »Der arme Heinrich« (1895), auch sie opfert sich für den Helden. Doch ihr Opfer ist nicht die freiwillige Hingabe ihres Lebens, sondern die Hingabe ihrer Reputation. Die Agnes in Sternengebot setzt sich gesellschaftlich selbst ins Aus.

Zwar verlässt Helferich Agnes – wie weiland Guntram die Freihild – nachdem er ihr, auf ihre drängenden Fragen hin, die dunklen Zusammenhänge seines Handelns aufgeschlüsselt hat. Auch Helferich will, nur seiner eigenen Gesetzgebung folgend, fernab von der Geliebten, Sühne tun. Doch während Freihild dem Guntram »einen langen inbrünstigen Kuss auf seine Hand drückt«, ist es bei Siegfried Wagner ein echter »Kuss wehmutsvoller Wonne«, der »die Scheidenden beglückt«. Und anders als bei Strauss bleibt die weibliche Figur am Ende nicht sprachlos, sondern schwingt sich – mit ihrem Schlussgesang vor aller Öffentlichkeit – auf zu einer emanzipierten Agitatorin freiheitlichen Denkens. Sie outet sich durch ihr Bekenntnis: »Der Ritter war nachts – bei mir; dess' hab ich einen Zeugen.« Mit diesem Satz gibt sie zugleich ihren unbescholten Ruf als Jungfrau auf und verschafft Helferich für die Mordnacht ein falsches Alibi. Denn der war keinesfalls in der zwei Tage zurückliegenden Mordnacht bei ihr, wie die Umstehenden aufgrund des Kontext glauben müssen, sondern in der soeben vergangenen Nacht.

Nun könnte man die Frage stellen, warum sich Siegfried Wagner im Jahre 1906 künstlerisch nicht an der im Dezember 1905 uraufgeführten »Salome« rieb, sondern gerade an Strauss' wenig erfolgreichem Erstlingswerk. Die Antwort liegt in der Tatsache begründet, dass Strauss (vorerst nur) in der ersten Oper auch sein eigener Librettist war und sich darüber hinaus in der Person des Guntram selbst gespiegelt hat. Dieser Personifikation des einstigen Freundes auf der Opernbühne setzte Siegfried Wagner in Sternengebot eine Spiegelung seiner eigenen Persönlichkeit entgegen: Siegfrieds Vornamens-Vetter Helferich ist dem Guntram in seiner Handlungsweise zwillingshaft verwandt, aber doch völlig anders geartet.


Peter P. Pachl


Quelle: Mitteilungen der Internationalen Siegfried Wagner Gesellschaft e.V., Bayreuth, XXVIII/IXXX 2001 (mit freundlicher Genehmigung des Autors)
 
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