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Die wendischen Gottheiten

Internationale Siegfried Wagner Gesellschaft e.V., Bayreuth

 

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Bei der Feier zur Verbrennung des toten Wendenkönigs im szenischen Vorspiel der Oper Der Heidenkönig wird zunächst der Götterbote Algis angerufen, der offenbar den germanischen Zwillingsgöttern, den Alken entspricht, die etwa beim Umzug in ein anderes Haus angerufen wurden und die einem neuvermählten Paar ihr künftiges Glück und die Zahl ihrer Kinder vorhergesagt haben sollen. Die Tatsache, dass Algis in diesem Ehebruchsdrama als erste Gottheit angerufen wird, ist sicher kein Zufall. (In Grimms Deutschen Sagen taucht Algis als Alternativname für Adelgis oder Adelger auf, den heldenmütigen Sohn des Desiderius.)

Die als »Sonnenspenderin« im Vorspiel angerufene Ausca ist die Göttin der Morgenröte (pruszisch steht »ausca" für »Morgendämmerung"). Auf diesen Namen ist Siegfried Wagner sicher schon bei seiner Lektüre der Wenden gestoßen, wo »Usas"  die »Morgenröte" heißt. Im dritten Akt ruft Gelwa die »goldene Auska» aber auch als »Göttin der Sonne« beim Abendsonnenschein an.

Giltine, die »Göttin des Todes", ist eine litauische Todesgöttin und Hexe, die ganz in Weiß gekleidet erscheint. Wenn sie in das Haus von Kranken gelangt, dann erwürgt oder erdrückt sie das Opfer. Ein Zug, den Siegfried Wagner im dritten Akt aufgreift, wenn Waidewut die Wehklage würgt und dabei erlahmt.

Die als »Herrin des Dunkels« apostrophierte Breksta ist die Göttin der Nacht und der Dunkelheit.

Als nächstes werden bei der Totenfeier vom Volk die Gottheiten Percunos als »Gott des Sturmes" und Potrimpos als »Mächtiger Gott des Krieges" angerufen, während die Anrufung des Picollos unterbleibt, wohl weil dies für den Komponisten eine Doppelung mit Giltine darstellen würde. Die »Drei-Gottheit von Romowe" spricht jedoch Gelwa im der dritten Szene des dritten Aktes an. Perkunos war die oberste Gottheit der Preußen. Er konnte nicht nur Blitz und Donner, sondern alle Naturerscheinungen hervorbringen und wurde deshalb auch als Fruchtbringer und Segensspender verehrt. Der zweite der drei erhabenen Götter war Potrimos, der Beschützer der Erde, Glücksbringer in Krieg und Frieden. dargestellt als junger, freundlich lachender Mann, geschmückt mit Kornähren.

Auch Ragaina, die gemeinsam mit der Zorngöttin Magila im Vorspiel des Heidenkönig als Aufpeitscherinnen von Zorn, Wut und Hass und erneut von Gelwa (in der 7. Szene des ersten Aktes) als »wilde Geister" angerufen wird, waren ein kollektiver Name für Waldgötter, Beschützer von Jagd, Beeren und Früchten. In der ersten Szene des zweiten Aktes vertraut Gelwa auf Ragaina singulär als Rächerin; offenbar deutet Siegfried Wagner Ragaina – nach dem Mythos die Tochter des Riesen Ragnit und Schwester des Rombinus – als lokale Gottheit, zumal der Rombinoshügel nahe der Stadt Ragnit liegt.

In der ersten Szene des ersten Aktes schlagen ein Bauer und seine Frau mit Stock und Riemen auf einen Birkenstamm ein, in dem sie Stäte, Porewit oder Belbog versteckt vermuten. Porewit wird auch auf der Insel Rügen – ebenfalls zu einem Zeitpunkt, als ganz Mitteleuropa bereits christianisiert war – von den Ranen im Kreise ihrer heidnischen Götter verehrt. In ihrer Burg Karentia befand sich der Tempel der Gottheiten Rugiawit, Porewit und Porenuz, die sieben, fünf bzw. vier Köpfe hatten. Der vom Bauer angerufene Belbog steht wendisch für »Guter Gott", was vom Mönch also durchaus christlich gedeutet werden könnte. Dargestellt wurde dieser weise, gute Gott als ein alter, weißhaariger Mann  mit Lorbeerkrone und einem Palmzweig in seiner Rechten.

Mit dem im zweiten Akt begangenen Kupâlo-Fest wird der Mühlgötz Kupâlo gefeiert. Im Gegensatz zur Frühjahrssonne Jarylo hatte die Sonne als Spenderin der Lebenswärme den Namen Kupalo, eine Fruchtbarkeits-Gottheit, die dem lateinischen Cupido (griechisch: Eros) entspricht und auch lautlich verwandt ist.

Mit den Worten »Hennil wache!" ruft Hoggo Hennil als sein großes Vorbild an; über diesen sächsischen Götzen liest man bei Grässe: »Die sächsischen Bauern haben in der Heidenzeit einen sonderbaren Hausgötzen gehabt, dem sie dienten und in den sie großes Vertrauen setzten, selbigem auch opferten. Sie hatten einen Stab, an dem sich oben an der Spitze eine Hand befand, welche einen eisernen Ring hielt, und dieser ward von einem Hirten in alle Häuser des Ortes herumgetragen und am Eingange von dem, der ihn trug, also angeredet: ‚Wache auf, Hennil, wache auf! dieß war nämlich sein Name. Hierauf setzten sich die Bauern sämmtlich zu Tische und ließen es sich wohl sein." (Grässe: Sachsen a.a.O., S. 621.)

Im dritten Akt wird Poggesana als Tochter von Kurcho bezeichnet. Kurcho war ein preußischer Korn- und Getreidegott, dem auch die Fischer die Erstlinge ihres Fanges opferten.

In Inneren des Rombinoshügels wird Elbegast, den bereits der Kurzbold in Opus 5, Sternengebot besingt, zu einem Frauenchor der Geister, sichtbar. Den auch als Elegast, Erbagast oder Algast zu findenden Hüter der Schätze bezeichnet bereits Jacob Grimm in der Deutschen Mythologie (Frankfurt 1981, Bd. 3, S. 134 f.) als Meisterdieb.

Quellen, soweit im Text nicht angeführt:  Wilhelm Vollmer: Wörterbuch der Mythologie. Günther Drosdowski: Duden Lexikon der Vornamen. Mannheim (2) 1974. Horst Naumann (Hd.): Familiennamenbuch. Leipzig 1987. Hans Bahlow: Deutsches Namenslexikon. München 1967

 


Peter P. Pachl


Quelle: Programmheft zur Aufführung von Der Heidenkönig, Solingen 2004 (mit freundlicher Genehmigung des Autors)
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