Zwei Söhne Siegfried Wagner und sein Regieschüler Wolfram Humperdinck
Die nachstehende Renzension hat die Autorin des besprochenen Buches zu einem Brief an den Präsidenten der ISWG veranlaßt, auf den wiederum Peter P. Pachl antwortete; der Wortlaut dieser Auseinandersetzung ist nachzulesen als Rezensierte Rezension. |
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Dem dreibändigen Briefwechsel zwischen der Familie Wagner und Engelbert Humperdinck hat die Humperdinck-Enkelin Eva, die promovierte Schönstätter Nonne Sr. M. Evamaris, nun ein Buch über ihren Vater, den Regisseur Wolfram Humperdinck folgen lassen, und als Aufhänger hierzu »Siegfried Wagner als Regisseur der Werke seines Vaters Richard Wagner« gewählt. Das Buch bietet eine Synopse der Erinnerungen an Siegfried Wagner und Bayreuth von Kurt Söhnlein und der von Dietrich Mack, Zdenko von Kraft und Peter P. Pachl zu Siegfried Wagners Bayreuther Inszenierungen vorgestellten Ergebnisse und Materialien, wobei sich die Verfasserin des der Wagner-Enkelin Verena Lafferentz-Wagner gewidmeten Buches in ihrem Vorwort entschuldigt: »Von der fast auf jeder Seite des Buches von Peter P. Pachl 'Siegfried Wagner. Genie im Schatten' erkennbaren Tendenz möchte ich mich allerdings mit allem Nachdruck distanzieren!«
In der Tat geht es der Autorin wirklich um etwas anderes, als um die Darstellung von Siegfried Wagners Inszenierungsstil, dessen Innovationsdrang denn auch möglichst heruntergespielt wird und im Falle seiner »Tannhäuser«-Inszenierung (der Venusberg entsteht bei Tannhäusers Preislied rund um ihn, im Wartburgsaal!) gar nicht erst Erwähnung findet. Die erklärte Absicht der Publikation richtet sich gegen die Eigenmächtigkeit von Regisseuren. Deshalb ist dem Buch eine »Anklage« Kurt Pahlens gegen die »überbordenden Regiemoden« vorangestellt, die im Jahre 2000 noch immer mit Patrice Chéreaus »Ring«-Inszenierung des Jahres 1976 hadert.
In Sachen Siegfried Wagner bietet die Veröffentlichung leider außer einem Schnappschuss (Siegfried Wagner, Karl Elmendorff und Franz von Hoesslin) und dem Text dreier Postkarten Siegfried Wagners an Wolfram Humperdinck nichts Neues. Die von der Autorin als der »letzte schriftlich erhalten gebliebene Gruß« ausgewiesene, undatierte Karte zu einem Ehrentag seines Patenkindes Heinz Engelbert Humperdinck erweist sich durch die darin angefügte Anfrage des Komponisten, »wann das Hütchen sein soll?« jedoch als nicht dem Jahr 1929 oder 1930 zuzuordnen, sondern vor Wolfram Humperdincks Inszenierung von Siegfried Wagners Opus 11 in Elberfeld, also vor dem Mai 1928; vermutlich schrieb sie Siegfried Wagner – mit Hemdknöpfen als Geschenk, anstelle der sonst »albernen traditionellen Silbernen Becher oder Löffel« – jedoch bereits im Jahre 1927, zur Taufe des Humperdinck-Enkels.
Materialien zur Hütchen-Inszenierung ihres Vaters enthält die Autorin dem Leser ebenso vor, wie dessen ausführlichen Bericht über die Premiere seiner Operninszenierung von Opus 11. Das Opernschaffen Siegfried Wagners ist der Nonne offenbar suspekt, wohingegen sie ihr angehängtes, das Thema des Buches sprengendes Kapitel über die »Hänsel und Gretel«-Inszenierung ihres Vaters in Tokio mit elf (!) Abbildungen garniert.
Über die Politik im Dritten Reich breitet die Autorin den Mantel christlicher Nächstenliebe, und wie es zu dem »Weggang des Schauspieldirektors Detlef Sierck« 1933 in Leipzig kam, mag sich der Leser selbst zusammenreimen. Dabei bewies ihr Vater Wolfram Humperdinck offenbar echte Zivilcourage, als er in einer Festschrift am Tage der Grundsteinlegung des Richard-Wagner-Nationaldenkmals in Leipzig eine Laudatio auf den jüdischen Impresario Angelo Neumann hielt, auch ohne den damals üblichen Hinweis auf dessen Judentum.
Zwar gibt sich die Publikation mit allerlei Anmerkungen und biografischem Personenregister wissenschaftlich. Aber trotz Dank der Autorin an ihre Lektorin lässt das Buch mit chaotisch ineinander gestaffelten Zitaten verschiedener Autoren und dem zweimaligen Abdruck eines mehr als seitenfüllenden Zitats (S. 58 und S. 141) ein Lektorat schmerzlich vermissen. So wurde die originale Wandel-Dekoration der »Parsifal«-Uraufführung von 1882 auch keineswegs mehr im Jahre 1967 (in Wieland Wagners Inszenierung, ein Jahr nach dem Tod des Regisseurs!) noch verwendet, wie Eva Humperdinck auf Seite 119 irrtümlich behauptet. Eva Humperdincks Vorwurf, Pachls Biographie »Genie im Schatten« entbehre der Anmerkungen, ist zutreffend, zumal der Verlag deren Abdruck in einer »populärwissenschaftlichen Publikation« damals abgelehnt hatte. Eva Humperdincks Hinweis, dass es sich bei jenem Bayreuther Beckmesser, den Siegfried Wagner in einer Dresdner Bar als Schauspieler entdeckt und zum Gesangsstudium aufgefordert hat, nicht um Heinrich Schultz handeln kann, lohnt es, nachzugehen: Pachls Darstellung fußt – wie in seinen Quellenangaben, dem ausführlichen Literaturverzeichnis deutlich zu ersehen – auf Friedelind Wagners Buch »Nacht über Bayreuth« (S. 41), das – wie auch Franz Stassens Erinnerungen – für Eva Humperdincks Arbeit nicht herangezogen wurde. Möglicherweise verwechselte Friedelind Wagner, was den ursprünglichen Schauspieler-Beruf des ausgezeichneten Beckmesser-Darstellers der Jahre 1924 und 1925 angeht, Schultz mit dem Bayreuther Beckmesser der Festspiele von 1888, Fritz Friedrichs, dem allerdings der vierzehnjährige Siegfried Wagner (1883) schwerlich, und schon gar nicht in einer Dresdner Bar, die Empfehlung erteilt haben kann, singen zu lernen. Laut Kutsch/Riemens’ »Großem Sängerlexikon« (Ergänzungsband I) begann Heinrich Schultz seine »Karriere als Solist am Hoftheater von Weimar« im Jahre 1906, und ist tatsächlich »auch immer wieder in Sprechrollen hervorgetreten«.
Eva Humperdincks Irrtümer über eine stattgefundene Uraufführung von Rainulf und Adelasia und ihr Fragezeichen nach dem Uraufführungsdatum des in Partitur niemals vollendeten Walamund hätten sich hingegen durch Nachschlagen im Anhang der Biographie »Genie im Schatten« vermeiden lassen.
Humperdincks Vorwurf, Pachl bezichtige in seiner Biographie Cosima zu Unrecht der Humorlosigkeit, konterte eine promovierte Wagner-Autorin mit der humorvollen Prophezeiung: »Warten wir auf Schwester Evamaris’ nächstes Buch: ‚Lachen mit Cosima'!« Eva Humperdinck Sr. M. Evamaris: »Zwei Söhne: Siegfried Wagner als Regisseur der Werke seines Vaters Richard Wagner, 1904 – 1930, und sein Regie-Assistent Wolfram Humperdinck, 1924 – 1925 – 1927«, Görres Verlag, Koblenz 2001, 296 S.; ISBN 3-935690-00-2 |