| Interdiskursive As-Sociation am Beispiel des Werdandi-Bundes Im vergangenen Jahr hat der Komponist Karlheinz Stockhausen Entsetzen ausgelöst, als er die Attentate des 11. September 2001 als »Kunst« bezeichnete. Liest man Rolf Parrs Untersuchung zum Werdandi-Bund, so stellt man verblüfft fest, dass Stockhausen, ohne es zu wissen, mit seiner Gleichsetzung von Macht und Kunst gar nichts so Neues formuliert hat, denn im Werdandi-Jahrbuch des Jahres 1913 wird tatsächlich der Krieg als Kunst gepriesen, »das deutsche Heer« als »das vornehmste Kunstwerk des lebenden Deutschtums«. Es gibt offenbar auch auf dem Wege der Verirrungen wenig Neues unter der Sonne.
Rolf Parr, der schon diverse Arbeiten zum Vereinsleben im Deutschland des ausgehenden Kaiserreiches und der Weimarer Republik publiziert hat, richtet in seiner Habilitationsschrift mit Studien zu literarisch-kulturellen Gruppierungen zwischen Vormärz und Weimarer Republik sein zentrales Augenmerk auf den Werdandi-Bund. Seit der Wende zum 20. Jahrhundert waren »die ‚Gegenwart‘ und das ‚Werdende‘ zu Leitbegriffen geworden«, wie Parr, Rilkes Worpswede-Buch zitierend, hervorhebt. Mit Bezug auf die Norne Verdhandi und in lautlicher Deutung des »Werdenden« gründete der Architekt Friedrich Seeßelberg, der sich 1906 mit seinem Buch »Richard Wagner und die Kunst« selbst als Wagners Erbe im Bereich der Bildenden Kunst und Architektur inthronisiert hatte, im Jahre 1907 jenen »neumodisch-altmodischen« Bund, mit gleichermaßen rückwärts gewandten und futuristischen Bestrebungen. Diesem Verein schlossen sich rasch zahlreiche berühmte Persönlichkeiten des Kunst- und Geisteslebens an, Komponisten wie Felix Draeseke, Siegmund von Hausegger, Max Schillings, Hans Pfitzner, Engelbert Humperdinck, Konrad Ansorge, Hans Sommer, Hugo Wolf, die Worpsweder Maler Hans am Ende, Mackensen, Otto Modersohn, Fritz Overbeck und Heinrich Vogeler neben Franz Stassen, Hans Thoma und Max Klinger, die Literaten Wilhelm Busch, Wilhelm Raabe, Detlev von Liliencron, Börries von Münchhausen, Friedrich Lienhard, Ernst von Wildenbruch, Felix Dahn, Ferdinand von Saar, Ferdinand von Sporck, Carl Hauptmann, Julius Hart, Karl Storck, Eduard Stucken, Karl Vollmöller, Richard Voß, Hans von Wolzogen, der Theaterwissenschaftler Arthur Kutscher, und sogar der nachmalige Bundespräsident Theodor Heuss. Weiter waren in die weit gefächerte Organisation eine Reihe von Hochschulprofessoren eingebunden, Architekten wie Richard Riemerschmidt, Paul Schultze-Naumburg und Franz Branzky, Herausgeber und Publizisten wie Ferdinand Avenarius, Richard Batka, Fritz Bley, Kurt Mey und Hugo Oswald, aber auch Bildhauer, Schauspieler und Kunstgewerbler. Das von Parr aufgestellte sozial-historische Projekt der kulturellen Schichtung des Bundes weist auf ein »Rekrutierungsspektrum« des Ehrenbeirates hin, »exponierte Ausnahmepersönlichkeiten (‚Führer‘)« in Theorie, Ausbildung und Praxis gingen einer mittleren Schicht der Intellektuellen und tragenden Unterschichten der Kultur voran. Richard Wagners Idee, die Kunst als Religion zu definieren, wurde ausgeweitet auf Politik, Staat und Naturwissenschaft, die ebenso als Kunst gedeutet wurden wie Bismarck in all seinen Motivationen und in seinem Handeln. Der organisatorisch weit gefächerte Bund gab die Zeitschrift »Werdandi. Monatsschrift für deutsche Kultur und Wesensart« heraus, außerdem ein Jahrbuch, hatte aber trotz großer Mitgliederzahl anfangs mit finanziellen Problemen zu kämpfen. Im Mittelpunkt der Bestrebungen des Werdandi-Kreises stand ein deutsch-völkisches Erneuerungsprogramm. Parr hat dabei »bewahrend-alt (deutsch) und innovativ-modern (individuell-künstlerisch)« als Diskurselemente konstatiert. Für Seeßelberg, der sich als Präsident der neuen Richtung und als Architekt insbesondere auf Äußerungen Richard Wagners in seinem Brief an Franz Liszt über die Goethestiftung stützte, bedeutete hinsichtlich der »beiden im Brief Wagners an Liszt beschriebenen Integrationskonzepte von Oper (Dichtung plus Musik), und Architektur (Malerei plus Plastik)« der studierte Architekt, Dichterkomponist, Regisseur und Bühnenbildner Siegfried Wagner »in persona ein kleines Integrationsprojekt«. Vermutlich wurde Siegfried Wagner durch den Illustrator seiner Werke, Franz Stassen, den zweiten Vorsitzenden von Werdandi, für den neuen Bund gekeilt. Seeßelberg hatte in seinem Aufsatz »Volk und Kunst« seine Zuversicht auf ein Jahrhundert »des Idealismus und der Seele« geäußert: »Wenn das vorherige Jahrhundert das des Verstandes (…) gewesen ist, so können die gegenwärtigen offensichtlichen Umschaltungserscheinungen durchaus nur in ein Jahrhundert hinausführen, in dem Fühlen und Empfinden wieder vorherrschend werden sollen«. Eine solche Tendenz, die auch in Siegfried Wagners 40-Märchen-Collage An Allem ist Hütchen Schuld ! deutlich wird, ließ Siegfried Wagner wohl kurzzeitig mit den Zielen von Werdandi konform gehen. Jedoch Parr konstatiert: »Siegfried Wagner trat allerdings im Werdandi-Bund nicht weiter in Erscheinung.« Spätestens die Petition an den »Hohen Deutschen Reichstag« gegen die lateinische Schrift zugunsten der deutschen Fraktur im Jahre 1911 hätte Siegfried Wagners Abkehr vom Bund zur Folge gehabt, denn Siegfried Wagner bevorzugte die lateinische Schrift, so wie er (dies geht aus den Erinnerungen des Bühnenbildners Kurt Söhnlein hervor) die Farbe Braun leidenschaftlich hasste. Bereits das 1. Werdandi-Heft im Jahre 1908 hatte erklärt, der Bund kämpfe »in erster Linie der materialistischen Weltauffassung (…), die unser Leben in einen Kampf aller gegen alle um äußere Vorteile und Genüsse aufzulösen strebt und immer mehr nur solche Werte kennt, die unsere seichten Einmaleinsgehirne in Mark und Pfennige umrechnen können.« (Werdandi, Heft 1, 1908) Dem gegenüber erstrebenswert schien dem Werdandi-Bund in seinen Publikationen das völkische Wesen, wobei die gewachsene, bodenständige Gemeinschaft als Gegensatz zur gewordenen, zivilisatorischen Gesellschaft erklärt wurde. Gleichwohl finden sich zwar in einem von Parr veröffentlichten Brief Seeßelbergs, nicht aber in den Werdandi-Publikationen explizit antisemitische Tendenzen. Durch den Ausbruch des Weltkrieges wurden 1914 die Aktivitäten des Werdandi-Bundes eingestellt. Seeßelbergs Versuch, den Verein 1921 zu reaktivieren, scheiterte, und nach 1933 »ließ der Nationalsozialismus lästige Konkurrenz gar nicht erst aufkommen« (Parr). Seeßelberg, der als Architekt in seinen Vorlesungen »immer wieder die arische und germanische Mythologie« beschworen hatte, während er andererseits das Flachdach und moderne Baustoffe »wie Teerpappe, Wellblech und Eisenrahmen« proklamierte, wurde im Dritten Reich als »alter Reaktionär« eingestuft und die Aufnahme in die NSDAP verweigert. Er verstarb 1956 im Alter von 95 Jahren. Geradezu spannend lesen sich die von Parr aufgezeigten »Diskurstaktiken antimoderner Modernität«, Seeßelbergs Nähe zum Bauhaus und die geradezu »futuristisch anmutende ‚Halle des Werdandi-Bundes auf der Bauaustellung in Malmö‘.« Über 150 Seiten Dokumente und Briefe zum Werdandi-Bund schließen sich an, aber auch Materialien und Dokumente zu den Stuttgarter Künstlergesellschaften »Die Glocke« (1843 von Franz Dingelstedt gegründet) und »Das strahlende Bergwerk«, die Parr für seine Untersuchungen interdiskursiv ebenso herangezogen hat, wie den Kleiderseller-Kreis, die »Gesellschaft der Charonfreunde« und die Literarisch-künstlerische Vereinigung »Sturm«. Mit den »Kurzbiographien zur Trägerschaft des Bundes« enthält das Buch außerdem ein wichtiges Nachschlagewerk. Aufschlussreich erscheinen Parrs Hinweise auf Doppelmitgliedschaften prominenter Mitglieder des Werdandi-Bundes im Dürerbund und im Heimatschutzbund, in der Gobineau-Gesellschaft und im »Alldeutschen Verband«, sowie sein Hinweis auf vergleichbare Tendenzen beim »Wandervogel«. Leider sind Parr auch einige Irrtümer unterlaufen. So verwechselt er offenbar Wieland mit Siegfried Wagner, wenn er behauptet, Franz Stassen habe Siegfried Wagner »bis in die Zwanziger Jahre hinein Zeichenunterricht« erteilt (S. 65), allerdings müsste diese Aussage, auf Wieland Wagner, bezogen »Dreißiger Jahre« lauten; im Kapitel »Kurzbiographien« wird der Maler und Zeichner dann tatsächlich als Lehrer Wieland Wagners ausgewiesen (S. 345). Parrs Behauptung, Stassen habe Bühnenbilder für die Bayreuther Festspiele entworfen, ist ebenso wenig haltbar, wie der Name »Vendranini« für Richard Wagners Sterbehaus in Venedig (Palazzo Vendramin). Und während das Titelblatt von Friedrich Seeßelbergs »Volk und Kunst« eindeutig Richard Wagners »Die Walküre« mit dem Schwert Nothung im Eschenstamm zeigt (Seeßelberg sieht sich eben als den Helden, für den dieses Erbe bestimmt ist), deutet Parr den Baum der Illustration als »deutsche Eiche«. Einige Verwirrung stiftet dann auch das Personenverzeichnis, etwa wenn 1908 beim Wiener Werdandi-Kreis ein »Wagner« als Sprecher erwähnt wird, womit wohl der Architekt Otto Wagner gemeint ist, während er im Personenverzeichnis als Richard Wagner gedeutet wird, oder wenn Georg Niehrenheim, Mitarbeiter der Zeitschrift Werdandi, im Personenverzeichnis zu Otto Nierenheim wird. Trotz der Einschränkungen eine inhaltlich wichtige und methodisch überzeugende Arbeit. Peter P. Pachl
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