| | | | Dokumentenfund im United States Holocaust Memorial Museum Ende November 2001 entdeckte Peter W. Landé, Mitarbeiter am Holocaust Memorial Museum in Washington, D.C., USA, einen Teil der Korrespondenz Siegfried Wagners mit Dr. Benjamin Falk Felix Salomon, seinerzeit Rabbiner in Bayreuth, sowie weitere Dokumente aus den Jahren 1924/25 im Archiv seines Instituts. Er nahm daraufhin sogleich – über unsere Internetadresse – Kontakt mit mir auf und übersandte Kopien der Briefe, die 1939 als »Akte des Rabbinats Bayreuth, 'Kampf des Judentums gegen antisemitischen und nationalsozialistischen Einfluss auf das Haus Wanfried [sic!] in Bayreuth' (Schriftwechsel zwischen Siegfried Wagner und dem Rabbiner Salomon)« ins Sicherheitshauptamt nach Berlin gelangt waren. Auf meine Bitte um genauere Angaben zur Herkunft der Briefe teilte Peter W. Landé mir am 12. Dezember 2001 folgendes mit: als Teil einer großen – mehr als 100.000 Seiten umfassenden – Sammlung von Gestapo-Material werden sie im Moskauer Osobyi Archiv verwahrt. Vor wenigen Jahren erst wurden diese Unterlagen vom Holocaust Memorial Museum gefilmt und katalogisiert; unklar ist allerdings, ob in Moskau Originale oder gleichfalls nur Kopien erhalten sind. Auch die Provenienz des Briefwechsels liegt im Dunkeln: möglicherweise stammt er aus dem Besitz Dr. Salomons, doch er beinhaltet auch Briefe an andere Personen. Es ist nicht zu erwarten, dass sich noch mehr solcher Schriftstücke in Washington finden werden – wohl aber vielleicht in Moskau. Schon bei der ersten Durchsicht des Materials stellte sich heraus, dass der allgemeine Kontext des Briefwechsels zwar bereits bekannt und – zumindest teilweise – auch dokumentiert war, die einzelnen Briefe jedoch noch nicht. Prof. Dr. Pachl hat aus den – stellenweise unleserlichen – Kopien der z. T. handschriftlich geführten Korrespondenz Typoskripte erstellt und Erläuterungen zu den hier nun erstmals zugänglich gemachten Dokumenten formuliert; orthographische Eigentümlichkeiten wurden weitestgehend, Hervorhebungen unverändert beibehalten. Der Schriftverkehr scheint lückenhaft und es fehlen die erwähnten Anlagen; zudem haben wir auf die Veröffentlichung eines Briefes verzichtet, den der jüdische Bankier Siegfried Müller, Hannover, am 19. Juli 1924 an Dr. Benjamin Falk Felix Salomon schrieb. Er hatte von dem vorliegenden Briefwechsel »Kenntnis erhalten« und wollte die Argumentation des Empfängers unterstützen; als Vater eines freiwillig eingerückten und 1916 gefallenen Fliegeroffiziers, der in einem im Feld verfaßten patriotischen Gedicht Richard Wagners Musik als »deutscher denn die Wacht am Rhein« deklarierte, glaubte er, die nationale Gesinnung der deutschen Juden herausstreichen und damit auf den moderat gestimmten Siegfried Wagner einwirken zu können. – So fremd und fern uns inzwischen diese Art der Auseinandersetzung auch anmuten mag, so essentiell war ihre Bedeutung offenbar zur damaligen Zeit. Denn dass Personen wie dieser Bankier Müller in Hannover oder die Vorsitzende des Richard Wagner-Verbands deutscher Frauen in Dresden, Mey, überhaupt vom Inhalt der Korrespondenz erfuhren und argumentativ daran teilhaben wollten, verweist auf die beträchtliche Aufmerksamkeit, die die »Judenfrage« in Zusammenhang mit »Bayreuth« in weiten Kreisen erregte. Aus heutiger Sicht kann man freilich nicht anders als hier schon die schrecklichen Konturen des späteren geschichtlichen Verlaufs wahrzunehmen. Achim Bahr
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| Vorwort Siegfried Wagner hat im Jahre 1921, als der Redakteur der Deutschen Zeitung, Alfred Püringer, die Forderung aufgestellt hatte, ab der Wiedereröffnung der Bayreuther Festspiele im Sommer 1924 keine Juden mehr ins Festspielhaus zu lassen, mit einem offenen Brief massiv und umfassend gekontert: »Sehr geehrter Herr Püringer!
In Beantwortung Ihres Briefes, den ich bei meiner Rückkehr hier vorgefunden habe, muss ich Ihnen sagen, dass ich ganz und gar nicht Ihrer Ansicht bin. Unter den Juden haben wir sehr viele treue, ehrliche und selbstlose Anhänger. die uns zahlreiche Beweise ihrer Freundschaft gegeben haben. Sie wollen, dass wir all diesen Menschen die Türen verschließen, sie nur aus dem Grund, dass sie Juden sind, zurückweisen. Ist das menschlich? Ist das christlich? Ist das deutsch? Nein! Wenn wir uns so verhalten wollten, müssten wir Deutsche zunächst einmal ganz andere Menschen werden, und unser Gewissen müsste so rein sein wie ein Gebirgsbach. Aber das ist bei uns gar nicht der Fall. Das Leben aller großen Deutschen beweist, dass sie vom deutschen Volk mit Gemeinheit, Gleichgültigkeit, Bosheit und Dummheit behandelt worden sind. (…)
Wenn die Juden gewillt sind, uns zu helfen, so ist das doppelt verdienstlich, weil mein Vater sie in seinen Schriften angegriffen und beleidigt hat. Sie hatten daher allen Grund, Bayreuth zu hassen, und doch verehren viele von ihnen, trotz den Angriffen meines Vaters, seine Kunst mit echter Begeisterung (…). Und wenn unter hunderttausend Juden nur ein einziger wäre, der mit ganzem Herzen und aus ganzer Seele meines Vaters Kunst verehrte, würde ich mich schämen, ihm den Rücken zuzukehren, nur weil er ein Jude ist. Auf unserem Festspielhügel wollen wir positive Arbeit leisten, keine negative. Ob ein Mensch Chinese, Neger, Amerikaner, Indianer oder Jude ist, das ist uns völlig gleich gültig. Aber wir könnten von den Juden lernen, zusammenzuhalten und einander zu helfen. Mit Neid und Bewunderung sehe ich, wie die Juden ihren Künstlern beistehen, wie sie den Weg für sie ebnen. Wenn ich Jude wäre, würden meine Opern in allen Theatern aufgeführt werden. Wie die Dinge aber nun liegen, müssen wir warten, bis wir tot sind. (…)
Sollen wir nun zu all unseren übrigen schlechten Eigenschaften auch noch Intoleranz hinzufügen und Menschen, die guten Willens sind, zurückweisen? Wollen Sie wirklich leugnen, dass es unter den Juden Menschen gibt, deren Begeisterung für Bayreuth echt ist? Es sind Menschen, die ich nicht beleidigen will und darf. Ich bin in der Lage, Ihnen zu beweisen, dass Sie Unrecht haben und kann Ihnen sogar die Namen vieler angeben. Bei der Auswahl unserer Künstler haben wir die Rassenfrage nie in Betracht gezogen. Wir haben uns nur von der Stimme, dem Talent und der Erscheinung bei der Besetzung einer Rolle leiten lassen, und das ist ein Prinzip, das wir auch in Zukunft befolgen werden. Ich hoffe, dass Sie mich verstehen werden. Bayreuth soll eine wahrhafte Stätte des F r i e d e n s sein.
Siegfried Wagner«
Die hier getätigten Äußerungen Siegfried Wagners, die auch in der Deutschen Zeitung abgedruckt wurden, erweisen aus deutscher Sicht beinahe die selbe Hellsicht wie Arnold Schönbergs Brief vom 4. Mai 1923 an Wassily Kandinsky, nachdem er von Alma Mahler von einer angeblich antisemitischen Haltung Kandinskys und des Bauhauses erfahren hatte: »Die Juden machen Geschäfte als Kaufleute. Wenn sie aber der Konkurrenz unbequem werden, werden sie angegriffen; aber nicht als Kaufleute, sondern als Juden. Als was sollen sie sich dann verteidigen?
Aber ich bin überzeugt, dass sie sich sogar nur als Kaufleute verteidigen, und die Verteidigung als Jude nur scheinbar ist. D.h., dass ihre arischen Angreifer sich als Angegriffene ebenso verteidigen, wenn auch mit einigen anderen Wörtern und unter Aufwendung anderer (sympathischerer???) Formen von Heuchelei; und, dass es den Juden gar nicht darauf ankommt, die christliche Konkurrenz zu schlagen, sondern jede! Und da es den arischen auch ebenso um jede zu tun ist; und dass jede Verbindung, die zum Ziel führt, zwischen ihnen denkbar ist, und jeder andere Gegensatz. Heute ist es die Rasse; ein andermal ich weiß nicht was.«
(Arnold Schönberg: Briefe. Ausgewählt und herausgegeben von Erwin Stein, Mainz 1958)
Ähnliche Sätze wie in Siegfried Wagners Püringer-Brief finden sich insbesondere in seinen Briefen an Dr. Bruno Weill, beispielsweise als 1926 der Verdacht laut wurde, der von Otto Daube gegründete »Bayreuther Bund der Deutschen Jugend« habe antisemitische Tendenzen. Diese Aussagen Siegfried Wagners bemühten sich zu klären, aber sie verhärteten auch die Fronten – insbesondere in seiner eigenen Familie. Und auch hier, im eigenen Familienkreis, gab es immer wieder Repressalien, insbesondere durch Cosima Wagners selbst erwählten (Schwieger-)Sohn Houston Stewart Chamberlain.
Erpressungen, aufgrund von Siegfried Wagners – nach damaliger Gesetzgebung kriminellem – erotischem Lebenswandel, gab es offenbar auch im eigenen Familienkreis.
Erschwerend hinzu kommt die ständige Indoktrination in der Familie und in »Bayreuther« Kreisen, die ja auch – bei überdeutlicher, eigener Fremdstellung gegenüber Siegfried Wagners Werken – noch bis in die Siebzigerjahre (!) des vergangenen Jahrhunderts hinein behaupteten, die jüdische Presse und jüdische Theaterdirektoren seien daran Schuld, dass Siegfried Wagners Opern nicht häufiger gespielt würden. Hätte nur einer dieser Meinungsmacher die Partituren wirklich gelesen, so hätte er feststellen müssen, dass diese Werke weder unter dem Begriff »deutsche Märchen- und Sagenwelt« zu subsumieren, noch nationalistisch ausgerichtet sind.
Das Schreiben des Rabbi Dr. Salomon vom 26. Juni 1924 legt somit, durch seinen Hinweis auf Chamberlain, Siegfried Wagners Schwestern Daniela und Eva, sowie auf seine eigene Gattin, den Finger exakt auf die wunde Stelle des Festspielleiters.
In seinem offenen Brief an Püringer hatte sich Siegfried Wagner deutlich von der antisemitischen Haltung seines Vaters distanziert. In die Zange genommen, dreht sich die stets auf Harmonie ausgerichtete Zwillingspersönlichkeit Siegfried Wagners jedoch bei der Frage, in welchem Falle er der durch seine Familie fortgesetzten Linie des Wagnerschen Antisemitismus zustimme, arg im Kreise. Da Siegfried Wagners Faible für Offenbach bekannt wurde und da seine Bühnenwerke Meyerbeers »Großer Oper« formal näher stehen als dem Musikdrama Richard Wagners, bleibt es unseliger Weise ausgerechnet Heinrich Heine, den er als jüdischen Spötter abwertet. Vermutlich jedoch erfolgte diese Aussage mit Hintersinn: schließlich war der Wagnerforschung die Bedeutung Heinrich Heines für das Entstehen von »Fliegendem Holländer« und »Tannhäuser« ebenso bekannt wie Richard Wagners Heine-Vertonung »Les dieux Grenadiers«. Gerade die Berufung auf Heine führt die Argumentation also ad absurdum.
Der von Friedelind Wagner (»Nacht über Bayreuth«) überlieferte, auf die nationalsozialistische Begeisterung seiner Frau bezogene Ausspruch Siegfried Wagners, »Winnie vernichtet alles, was ich so verzweifelt aufzubauen versuche«, sollte sich im kläglichen wirtschaftlichen Ergebnis seiner Amerika-Reise, die Anfang 1924 das Ziel hatte, Gelder für die Wiedereröffnung der Bayreuther Festspiele zu akquirieren, allzu deutlich widerspiegeln.
Siegfried Wagner blieb seiner liberalen, kosmopolitischen Haltung treu und verdeutlichte seinen politischen Standpunkt noch durch die Publikation seines Librettos Das Flüchlein, das Jeder mitbekam. Und nach dem Tode seiner Mutter Cosima, als sich die politischen Fronten in Deutschland weiter verschärften, machte er gemäß eigener Aussage offen in »Philosemitismus« und bekannte beispielsweise: »Ich muss gestehen, dass sich eigentlich mit Juden viel besser arbeiten lässt! Sie sind viel intensiver und ehrgeiziger bei der Arbeit; und wenn es mal sitzt, dann sitzt es, wie bei Habich und Elschner!« (Schreiben an Evelyn Faltis, 23.5.1930; Bayerische Staatsbibliothek) Peter P. Pachl
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Bayreuth den 12. Juni 24 Hochgeehrter Herr Rabbiner.
Da ich in den letzten Tagen wiederholt anonyme Artikel zugesandt bekam, in denen meinem Hause vorgeworfen wird, dass wir einerseits zu Ludendorf-Hitler halten, andererseits in juedischen Kreisen verkehren, so liegt mir daran, Ihnen als dem Haupte der hiesigen israelitischen Kultusgemeinde unseren Standpunkt klar darzulegen.
Wir sind gegen den Marxistischen Geist, weil wir in ihm die Ursache unseres ganzen Elends sehen. Gegen die gut national gesinnten Juden haben wir gar nichts. Wir sind seit Jahren mit juedischen Familien befreundet. Einer mir bekannten Juedin in Berlin, Frau Professor Bie, schrieb ich nach der Revolution woertlich: »Wie peinlich muss es allen gutgesinnten Juden sein, dass es lauter Stammesgenossen von ihnen sind, die dieses Revolutionselend ueber Deutschland gebracht haben.« Ich bin jedem meiner juedischen Bekannten gegenueber ganz offen und dadurch kann ich mit gutem Gewissen mit ihnen verkehren, und ich kenne viele marxistische Juden, denen der marxistische Geist grund zuwider ist.
Der Deutsche ist kein Anti-Mensch. Der Antisemitismus wuerde nie entstanden sein, wenn nicht von jenen genannten Elementen der Antigermanismus in solcher Weise betrieben worden waere. Nehmen Sie doch den Fall an: im alten Reiche Israel wuerde ein fremdes Volk eingewandert sein, die Juden haetten ihm Buergerrecht gegeben, haetten ihn teilnehmen lassen an Allem. Was wuerden die Juden nun gesagt haben, wenn sie merkten, dass die Eingewanderten ihre eigene Religion, ihren Priesterstand, ihr Heer, ihre sonstigen Institutionen verhoehnten und untergruben? Sie haetten sich doch zur Wehr gesetzt. Dass ich unter den Aufsaetzen meines Vaters Schritt und Tritt zu leiden habe, nehme ich den Juden gar nicht uebel; das ist begreiflich. Umso mehr freut es mich konstatieren zu koennen, dass ich auch unter Juden ehrliche Foerderer meines Schaffens habe.
In Amerika kam ich oft mit juedischen Kreisen in Beruehrung. Es interessierte mich dabei zu beobachten, dass man mir und meiner Frau ausserordentlich freundlich begegnete. Wenn aber die Frage: Bayreuther Festspiele auftauchte, wurde man ablehnend. Eine Dame, die von einer Dame gefragt wurde, ob sie auch fuer Bayreuth etwas stiften wollte, antwortete: »Koennen Sie Ihren juedischen Vater vergessen? Ich nicht.« Eine andre prominente Persoenlichkeit sagte meiner Frau, es herrsche juedischerseits ein stiller Boykott gegen Bayreuth. Ich wiederhole, dass ich das ganz begreiflich finde, und dass wir es doppelt anerkennen, wenn Juden fuer meinen Vater eintreten (Porges, Dohm, Davidson, Karpath etc.)
Das Zusammenhalten der Juden ist allgemein anerkannt und verdiente Nachahmung. Ich wollte, es saehe bei uns Deutschen auch so aus. Gestern sagte ich zu einem Bekannten: »Wenn die Bayreuther Sache eine juedische waere, wuerden uns Millionen von Juden zufliessen.« So aber!!!! Waeren wir Deutschen einiger, waere es ja auch nie moeglich gewesen, dass der marxistische Geist sich so verbreitete. In anderen Laendern sind doch die Juden nicht antinational.
Es ist mir oft der Vorwurf gemacht worden, dass ich unter den Kuenstlern Juden engagiert habe. Ich habe darauf erwidert: wenn sie tuechtig sind, wenn sie sich zur Verkoerperung einer Rolle eignen, warum denn nicht? – – Soll ich paepstlicher sein als der Papst? Mein Vater gab Hermann Levi den Parsifal zu dirigieren. Den Chor leitete Porges, den Klavierauszug machte Josef Rubinstein. Sie sehen daraus, dass mein Vater auch im Leben kein[en] Antisemitismus trieb, dass er aber gegen jenen Geist kaempfte, den ich den Heineschen nennen moechte, den Geist der Zersetzung und der Verhoehnung. Kann man das uns Deutschen uebel nehmen?
Was i c h fuer ein Unglueck fuer das deutsche Volk halte, ist die Mischung der juedischen mit der germanische Rasse. Das bisherige Resultat hat ja gezeigt, dass meistens Wesen daraus hervorgehen, die weder Fisch noch Fleisch sind. Ich habe es jedenfalls viel lieber mit einem reinrassigen Juden zu tun, wie mit einem dieser Halbnaturen.!!! – – – –
Wenn meine Zeit augenblicklich nicht so knapp waere, wuerde ich gerne eingehender mich Ihnen aeussern. Sie koennen diesen Brief in ihren Kreisen verbreiten, ganz nach Ihrem eigenen Ermessen. Von einer Veroeffentlichung in einer Zeitung moechte ich Sie aber bitten Abstand zu nehmen. In aehnlichem Sinne schrieb ich vor einigen Jahren an Dr. Springer, Stettin.
[Durchschrift]
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Bayreuth, den 26. Juni 1924 Herrn Siegfried Wagner B a y r e u t h . Hochgeehrter Herr!
Ihr Schreiben vom 12. Juni habe ich mit großem Interesse zur Kenntnis genommen und will Ihnen mit der gleichen Aufrichtigkeit, mit welcher Sie mir Ihre Ansicht mitgeteilt haben, erwidern.
Ich bin freilich nicht berufen, namens der deutschen Juden Erklärungen abzugeben; wenn ich Ihnen aber meine persönliche Auffassung mitteilen darf, so soll das nachfolgend in aller Offenheit geschehen.
Der Name Richard Wagner gehört der ganzen Kulturwelt an und besonders dem ganzen deutschen Volk, zu dem auch wir deutschen Juden mit vollem Herzen rechnen. Sie selbst nannten die Namen von Hermann Levi und Porges, der bekannten Interpreten der Wagnerschen Musik. Vielleicht darf ich auch auf eine andere Tatsache hinweisen, die weniger an die Außenwelt tritt: Man pflegt in vielen jüdischen Familien gute Musik und das Werk Ihres heimgegangenen Vaters hat auch in diesem Kreise eine treue, sichere Heimstätte gefunden. Wenn man die Menschen in deutschen Landen danach scheiden will, ob sie Achtung vor hoher Kunst besitzen, ob sie – um mit den Worten der Meistersinger zu reden – »ihre deutschen Meister ehren«, so können die deutschen Juden dem Urteil ruhig entgegensehen.
In den letzten Jahren hat aber eine Richtung stark an Boden gewonnen, die die Menschen nicht nach ihrem inneren Gehalt, nach ihrem geistigen und sittlichen Streben bewerten will, sondern nach ihrer »Blütigkeit«, ihrer »Rasse« und wie diese Worte sonst lauten. Die Angehörigen der sogenannten arischen Rasse werden in den Himmel erhoben, die der jüdischen als Ausbund alles Schlechten gebrandmarkt. Ich beklage diese Denkweise aufs Tiefste, nicht nur als Jude, denn Unrecht leiden ist nicht das Schlimmste und für uns Juden nichts Ungewohntes, sondern mehr noch als Deutscher, der in jener Selbstberäucherung das Gegenteil der uns sonst so nötigen Selbsterkenntnis und Selbstbesinnung erblickt, und nicht zuletzt als Geistlicher, der sich des Bibelwortes erinnert, dass Gott jeden Menschen in seinem Ebenbild erschaffen hat.
Die politischen Träger dieser Bewegung sind in Deutschland die völkischen Verbände und Parteien. Ihre Agitation ist organisch mit der schwersten Herabwürdigung und Beschimpfung von Judentum und Juden verbunden. Die deutschen Juden sollen auf eine Stellung herabgedrückt werden, die etwa der des Niggers in Amerika entspricht. Ob diese antisemitische Hetze Selbstzweck ist oder nur Mittel zum Zweck, um die Massen zu gewinnen, macht keinen Unterschied; wenn nur Mittel zum Zweck, dann um so verwerflicher.
Und wie steht das Haus Wagner zu diesen Dingen?
Ihr Schreiben legt diese Frage nahe und ich muss deshalb mit aller Offenheit sagen, dass weite Kreise gerade in Ihrem Hause einen Stützpunkt dieser völkischen Bewegung erblicken. Herr Chamberlain ist der typische Vertreter der antisemitischen Rassentheorie. Angehörige Ihrer Familie tragen das Hakenkreuz. Ihre Familie soll – wie meines Wissens auch durch die Presse ging – die völkischen Parteien mit reichen Mitteln unterstützen. Kann es da Wunder nehmen, wenn aufrechte Männer und Frauen jüdischen Glaubens im In- und Ausland sich der Wagnerschen Sache gegenüber Zurückhaltung auferlegen und nicht Mittel zur Verfügung stellen wollen, von denen sie fürchten müssen, dass sie gar indirekt der völkischen Bewegung zufließen?
Ihr Schreiben hält sich, wie ich dankbarst anerkenne, von extrem antisemitischen Gedankengängen frei. Wenn ich aber frage, was Sie mit Ihren Ausführungen bezwecken und annehme, dass Sie damit Verständnis für Ihre Anschauungen finden wollen, so will ich zwar, von der Aufrichtigkeit Ihrer Gedanken überzeugt, mich hierfür gerne zur Verfügung stellen, aber ich sehe dabei zu meinem Bedauern, wie wenig Verständnis Sie selbst dem Judentum und dem Denken der deutschen Juden entgegenbringen.
Glauben Sie nicht, dass Menschen, die seit ungezählten Generationen in deutscher Heimat wurzeln, Familien, deren Söhne für unser deutsches Vaterland gefallen sind, die von Ihnen betonte Unterscheidung zwischen Deutschen und Juden als untragbar empfinden müssen? Seit fast 2000 Jahren sind Juden in Deutschland ansässig und haben sich unbestreitbaren Anteil an der deutschen Kultur erworben. Darum muss ich aufs Allerentschiedenste dem widersprechen, was Sie mit dem angenommenen Fall der Einwanderung eines fremden Volkes im alten Reiche Israel als Ihre Auffassung über die Juden in Deutschland kundgeben. Niemals haben die deutschen Juden die »Religion, den Priesterstand, das Heer und die sonstigen Institutionen« Deutschlands verhöhnt und untergraben. Sollen der Spott und der Hohn, der uns bei Heine entgegentritt, jüdischer Geist sein?
Der Geist der Bibel ist es nicht: die ernste und erhebende Sprache der Propheten und der Psalmen ist eine andere. Das, was von gewisser Seite jüdischer Geist genannt wird, ist in Wahrheit, wie mit Recht gesagt wurde, der Geist derer, die mit ihrem Judentum zerfallen und meist von ihm abgefallen sind. Sie nennen dann den »Marxismus«, den »Internationalismus«, als wären dies gewissermaßen Eigenarten der deutschen Juden. Ich kann versichern, dass Sie im Irrtum sind. Soziales Denken, Friede und Versöhnung und Gotteskindschaft aller, in die der Schöpfer seine göttliche Seele gesenkt hat, das predigt das Judentum. Diese edelsten Glaubensgüter wollen wir nicht preisgeben; das Judentum will und wird stets ihr treuer Hüter sein, aber mit politischem Marxismus und Radikalismus hat das nichts zu tun. Die materialistische Geschichts- und Weltauffassung hat keine geistige Grundlage im Judentum. Karl Marx hat sich als Judengegner in seinen Schriften bekannt; Angehörige der politischen radikalen Parteien finden sich unter den deutschen Juden in geringer Zahl; darüber dürfen auch die Namen jüdischen Klanges unter den Führern, die überdies längst mit dem Judentum gebrochen haben, nicht hinwegtäuschen. Im Gegenteil, nach meiner Erfahrung und gewissenhafter Überzeugung sind unsere altansässigen deutschen Juden ein konservatives Element, ebensosehr wie die englischen Juden, aus deren Mitte der konservative Führer Disraeli hervorgegangen war. Die Gefahr bei uns ist vielmehr nur die, dass jene unverantwortliche antisemitische Bewegung staatstreue konservative Kreise erst künstlich in den Radikalismus hineindrückt. Sie weisen darauf hin, dass die Juden anderer Länder nicht antinational seien. Soll etwa der hieraus zu ziehende Schluß Geltung haben, dass die Juden in Deutschland auch nur in einer nennenswerten Anzahl antinational sind? In Gesinnung und Handlung waren die deutschen Juden zu allen Zeiten national. Sind nicht die deutschen Juden in den Grenzprovinzen (Oberschlesien) restlos für das Deutschtum eingetreten? Und sind die Dorten und Genossen etwa Juden?
Sie sind sich gewiß nicht bewußt, wie schwer Ihre Andeutungen und Vorwürfe empfunden werden müssen, die Sie sicher aus eigener Überzeugung ansprechen, aber nicht aus eigener Kenntnis, sondern die Sie sich im Wesentlichen wohl aus der Lektüre einseitig eingestellter Autoren gebildet haben. Ich aber glaube das Eine vorauszuhaben: ich kenne die Juden und ihr Denken.
Zur weiteren Darlegung der von mir vorgetragenen Anschauungen gestatte ich mir, einige Broschüren beizulegen. Auf Wunsch bin ich gerne bereit, Ihnen weiteres Material zur Verfügung zu stellen.
Ich komme auf die Gedanken vom Eingang dieses Briefes zurück.
Auch wir deutschen Juden verehren das Werk Richard Wagners und wir empfinden es schmerzlich, dass man uns diese Verehrung zu stören droht.
D a s Haus Wagner, das nur der Pflege seiner erhabenen Aufgabe im Leben der deutschen Künste sich widmet, dem alle Deutschen willkommen sind, die der Kunst mit reinem Herzen nahen, das sich nicht in den Dienst der Parteien des Tages stellt, d a s wird über allen Parteien stehen und keine Gegner finden.
[keine Unterschrift, da Durchschrift]
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| Richard Wagner-Verband deutscher Frauen Ortsgruppe Dresden | z. Z. Bayreuth, Friedrichstr. 45 I |
Sehr geehrter Herr Doktor!
Soeben wurde mir Ihr Artikel gebracht, den ich mit größtem Interesse und mit großer Freude gelesen habe. Haben Sie allerherzlichsten Dank für die ausgleichenden, versöhnenden Worte: Sie fühlen in unseres Meisters Sinne, wahrhaft deutsch! Wir müssen alles tun, um unserem Siegfried Wagner die Steine aus dem Weg zu räumen, denn wir Deutschen müssen stolz sein, dass wir ihn unser Eigen nennen dürfen. Ich bin fest davon überzeugt, dass es im ganzen Deutschland niemand gibt, der in so selbstloser, uneigennütziger Weise unsere deutsche Kulturstätte Bayreuth so verwaltet und weiter aufbaut, wie er. Wenn Sie mir doch auch in Dresden helfen könnten, sehr verehrter Herr Doktor, Ihren Artikel zu verbreiten: dort gibt es unter Ihren Glaubensgenossen so tief gekränkte Menschen, denen man garnicht beikommen kann; z.B. Frau Justizrat Bondi, eine der gütigsten Frauen, trat aus meinem Verbande, dem ich vorstehe, und der niemals etwas mit Politik zu tun gehabt hat, aus. Ich selbst habe in Dresden treue Freunde unter ihren Glaubensgenossen.
Wenn es meine Zeit erlauben würde, würde ich Ihnen einen Besuch machen, jedoch ich muss am 21. schon wieder fortfahren; Frau Schwabacher, Friedrichstr. 5, wird Ihnen aber sagen, wer ich bin. So Gott will, sehen wir uns in zwei Jahren einmal hier.
Mit hochachtungsvollem Danke und echtem Bayreuther Gruße ergebenst Frau Kurt Mey aus Dresden – 7 Nürnbergerstr. 14.II.
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| Siegfried Wagner Bayreuth | Bayreuth, den |
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Hochgeehrter Herr Rabbiner!
Verzeihen Sie, wenn ich Sie wieder mit einer Zusendung belästige. Aber es liegt mir daran, dass Sie von dem Inhalt der beigelegten Briefe Kenntnis nehmen. Von meiner Antwort können Sie ganz nach Ihrem Ermessen Gebrauch machen (wie das letzte Mal.)
Es liegt mir aber daran, die von jeher gepflegten friedlich-freundlichen Beziehungen zu den unserer Kunst wohlgesinnten Juden weiter zu pflegen. Die Misswollenden, seien sie welcher Nationalität sie wollen, zu belehren oder zu gewinnen, dürfte ein vergebliches zweckloses Bemühen sein. Zur ächten Kunst kommt man durch das Herz, nur selten durch den Verstand. Letztere Art von Menschen werden vielen Schwankungen unterworfen sein, während Erstere unbeirrbar fest bleibt.
Herzen gibt es nun Gottlob überall, bei allen Völkern! Darum sollen Solche uns gleich willkommen sein!
Mit dem Ausdruck vorzüglicher Hochachtung, bin ich, hochgeehrter Herr Rabbiner, Ihr ergebener Siegfried Wagner Bayreuth 22. Dec 1924 |
| Hochgeehrter Herr Rabbiner.
Anbei wiederum ein Brief an Herrn Blumenau zur gefaelligen Kenntnisnahme.
Darf ich um gelegentliche Zurueckerstattung des Briefes von Herrn Blumenau an mich bitten.
Bayreuth den 28. November Dez. 24
Der betreffende Passus in der D.M.Z. lautet:
Jetzt wird uns von sehr achtbarer Seite berichtet, dass der R.D.O. vom Hause Wahnfried z[u]r Erhaltung seiner Zeitung eine groessere Unterstuet[z]ung erhalten habe. Wer die Beziehungen des Hauses Wahnfried zum Deutschen Buehnenverein, aber auch zu den Fuehrer [sic!] der nationalsozialistischen Bewegung kennt, wird sich aus dieser Mitteilung seinen Vers selber machen koennen.
[Durchschrift]
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| Bayreuth, den 8. 1. 25 Hochgeehrter Herr!
In der letzten Zeit war ich wiederholt verreist, sodass ich erst heute zum Schreiben komme. Ich bitte darum die Verzögerung freundlichst zu entschuldigen.
Für Ihre v. Zeilen & die liebenswürdige Übersendung des Briefwechsels, den ich anbei zurücksende, spreche ich Ihnen meinen verbindlichsten Dank aus. Dass ich alles, was Bayreuth betrifft, mit großem Interesse verfolge, bedarf wohl erst keiner Versicherung.
Auf die Einzelheiten Ihrer Auseinandersetzung mit Herrn Blumenau möchte ich nur auf Wunsch eingehen. Allerdings darf ich nicht verhehlen, dass auf Grund mancher Vorgänge bei den letzten Festspielen der Eindruck bei vielen entstanden ist, dass gewisse völkische Kreise Bayreuth für ihre Zwecke mißbrauchen wollen. Ich freue mich aufrichtig, aus Ihren Zeilen zu ersehen, dass Sie selbst dies nicht billigen & bereits Schritte zur Abstellung getan haben.
Ihrem Wunsche entsprechend bin ich bestrebt von Ihren Mitteilungen mir nahestehenden Glaubensgenossen Kenntnis zu geben. Ich halte es aber für meine Pflicht, Ihnen zu sagen, dass mir gestern gelegentlich einer Unterredung mit Freunden in Nürnberg beiliegende Notiz aus dem Fränkischen Kurier entgegengehalten wurde. Sie wollen daraus ersehen, wie sehr das Haus Wagner & seine Angehörigen im Lichte der Öffentlichkeit stehen.
Die Übersendung Ihres Briefwechsels darf ich wohl als ein Zeichen des Vertrauens betrachten. Ich bin stets der Meinung, das[s] persönliche Aussprache Unklarheiten beseitigen kann. Mit besonderem Interesse lese ich dass Ihnen sehr daran liegt, die freundlichen Beziehungen zu den der Wagnerschen Kunst wohlgesinnten Juden weiter zu pflegen. Es dürfte wohl nur wenige deutsche Juden geben, die ihr übelwollen. Wenn, wie Sie so wahr sagen, echte Kunst durch das Herz kommt, dann herrscht unter meinen Glaubensgenossen, denen Herz & Gemüt allseitig zugesprochen wird, echte Begeisterung.
Mit dem Ausdruck vorzüglicher Hochachtung
[keine Unterschrift, da Durchschrift] |
| Hochgeehrter Herr Rabbiner,
es wurde mir gestern mitgeteilt, dass in hiesigen jüdischen Kreisen Erregung darüber besteht, ob Hitler zu Generalproben eingeladen worden ist, und dass man im bejahenden Falle entschlossen sei, Schorr zu bestimmen, den Wotan nicht zu singen. Was daran wahr ist, weiß ich nicht. Es wird viel geredet, besonders über Wahnfried!
Jedenfalls kann ich Ihnen mitteilen, dass eine Einladung nicht ergangen ist und dass ich an dem festhalte, was ich sowohl Ihnen, wie Dr. Weil und Herrn Blumenau geschrieben habe.
Zu den Festspielen kann sich Plätze nehmen, wer will, ob Hitler, ob Harden!
Unsre Einladung zu den Generalproben werden Sie wohl erhalten haben! Ihr sehr ergebener Siegfried Wagner 29. Juni 1925 |
| Bayreuth, 2. Juli 1925 Sehr geehrter Herr!
In höflicher Beantwortung Ihres werten Schreibens vom 29. Juni beehre ich mich Ihnen mitzuteilen, dass Sie ziemlich falsch unterrichtet sein müssen. Von einer Erregung in hiesigen jüdischen Kreisen, die mir ja gar nicht entgehen könnte, ist mir auch nicht das geringste bekannt. Worin sollte auch diese Erregung begründet sein, da hier niemand etwas von einer Einladung Hitlers zu den Generalproben weiß? Auf einen solchen Gedanken, Schorr zur Zurücknahme seiner Zusage bestimmen zu wollen, konnte niemand aus den hiesigen jüdischen Kreisen kommen, da – wenn überhaupt – nur den Allerwenigsten bekannt sein dürfte, dass Schorr Jude ist.
Es scheint fast, dass man Sie mit Absicht falsch informiert. Aus unseren Kreisen geschieht vielmehr alles, um die Stimmung für die Festspiele günstig zu beeinflussen.
Für die liebenswürdige Einladung zu den Generalproben danke ich Ihnen ergebenst, es wird mir eine Freude sein, ihr Folge leisten zu können. Da es zweifelhaft ist, ob ich persönlich allen Vorstellungen werde beiwohnen können, wird meine Frau eventuell von einigen Karten Gebrauch machen. Sollte das nach dem Aufdruck »persönlich, nicht übertragbar« nicht zulässig sein, dann darf ich noch um freundliche Benachrichtigung bitten.
Mit vorzüglicher Hochachtung Ihr ergebener Dr. Salomon |
| eing. 4.7.1925 S.h. Herrn Rabbiner Dr. Salomon Bayreuth
Hochverehrter Herr Rabbiner!
Über die 2 Plätze bitte ich Sie nach Ihrem Ermessen zu verfügen. Sollte etwa der Thür-Wart Schwierigkeit machen, so zeigen Sie ihm am besten diese Zeilen vor.
Es freute mich, aus Ihren Zeilen zu ersehen, dass die Sache Schorr nur ein »Gewaaf« war, wie es auf echt bayreutherisch heißt! |
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