| Marienburg und Festspielhaus Der Schmied von Marienburg heißt die dreizehnte, wiederum stark autobiographisch gefärbte Oper, die am 16. Dezember 1923 am Stadttheater Rostock uraufgeführt wurde. In der Handlung geht es, wie so häufig bei Siegfried Wagner, um die Frage, ob die gerade geltenden Gesetze noch Gültigkeit besitzen oder ob es nicht jenseits von Doktrin und Ordnung ein Recht des Einzelnen auf individuelle Freiheit und persönliche Entfaltung gibt, das über allen Normen steht.
Die am 18. Februar 1920 vollendete Ouvertüre manifestiert die Ausgangssituation der Handlung: das fest am Bestehenden klammernde, morsche Gesinnungsgefüge der Ordensritter-Doktrin, die zur „Vernichtung des deutschen Ordensheeres bei Tannenberg im Jahre 1410" führt.
Walhall und Festspielhaus wurden ja nicht nur von der Bayreuth-Propaganda der Zwanzigerjahre, sondern sogar noch in Patrice Chéreaus Jahrhundert-Inszenierung des »Ring« gleichgesetzt. Dass ausgerechnet Heinz Tietjen mit dem Orchester der Bayreuther Festspiele im Jahre 1936 die Ouvertüre erstmals ungekürzt auf vier Seiten von 78er-Schellackplatten aufgenommen hat, scheint die Deutung nur zu bestätigen, Siegfried Wagner habe in seinem Opus 13 die Marienburg als Analogon zum Bayreuther Festspielhaus verstanden. Es macht jedoch Sinn, in dieser Aufnahme auf fast versteckte Gegenbilder zum bestehenden System zu achten, nicht auf die feindliche Bedrohung, sondern auf jene freundlichen Stimmen in der Orchester-Polyphonie, die – im Gegensatz zur Tietjen-Einspielung – in Werner Andreas Alberts Interpretation deutlich herausgearbeitet werden und gut zu hören sind. Da meldet sich nicht nur der Zweifel des Schmiedes Muthart am systemkonformen Handeln: denn der Schmied von Marienburg lebt zwar in der Gemeinschaft der Ordensritter, aber er folgt nicht deren Doktrin, sondern seinem eigenen, natürlichen Empfinden.
In der Bühnengestalt des Schmiedes Muthart hat Siegfried Wagner einmal mehr sich selbst zu einer Dramatis Persona gemacht; in Opus 13 zeigt er sich als Geschickes-Schmied des Festspielhauses, der allzu gerne dem System und der obwaltenden (nationalistischen) Denkweise entfliehen würde, der aber an das Familienunternehmen gefesselt ist und sich dem nur durch seinen Tod entziehen kann. Folglich ist es nahe liegend, in der Mutter des Schmiedes, in Frau Madaldrut ein Abbild der „Frau Cosima" zu sehen. Und tatsächlich scheint zumindest Cosima Wagners Bigotterie in die Operngestalt eingeflossen zu sein. In der sechsten Szene des ersten Aktes hält Frau Madaldrut ihrem Sohn, der auf die Ungerechtigkeit des Himmels schimpft, den Mund zu und deutet die Niederlage der Ordensritter dahingehend, dass in der Marienburg etwas geschehen sein müsse, was Gottes Zorn erregt habe.
Der Orden der Marienburg wird von Siegfried Wagner keineswegs als eine positive Macht gezeichnet, im Gegenteil: marode und morsch ist ihr System, das beweist die Handlung dieser Oper. Das wird auch durch die Anklage des Willekin im zweiten Akt deutlich. Der verwitwete Bürger hasst die Ordensritter aus ganz persönlichen Gründen, denn seine Frau war von einem Ordensritter verführt und geschwängert worden und ist bei der Geburt der außerehelichen Tochter verstorben.
Seine (Stief-) Tochter Friedelind, die in der ersten Szene des ersten Aktes, bei einem verbotenen Liebesgelage von ihm erwischt und anschließend ins Haus eingesperrt worden war, hat sich zum Einsiedler in den Wald geflüchtet. Der väterliche Freund soll ihr raten und helfen. Sie verrät ihm, dass – entgegen dem strikten Keuschheitsgelübde der Ordensritter – der junge Ritter Alfred eine leidenschaftliche Beziehung mit ihr hat. Friedelind berichtet dem Einsiedler über ihre grundsätzlichen Probleme mit dem Vater und seiner Lieblosigkeit. Die Mutter, die bei ihrer Geburt gestorben ist, hatte offenbar ein Geheimnis, von dem Grete, die Magd, Friedelind berichtet hat. Offenbar ist jemand anderer ihr leiblicher Vater; Friedelind hofft inständig, ihre Mutter habe sich schuldig gemacht. In Es-Dur jubelt die junge Frau ihre – der geltenden Moral inadäquate, dem Weltbild Siegfried Wagners entsprechende – Meinung hinaus: „Alles ist heilig, was das was Herz gebietend will !" Peter P. Pachl
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