| Zur Vorgeschichte der Opernhandlung Der Schauplatz des Geschehens ist der Sitz des Hochmeisters des Deutschen Ritterordens, die Marienburg an der Nogat, im späteren Westpreußen, im Jahre 1410. Damit bildet Der Schmied von Marienburg in gewisser Hinsicht eine Ausnahme im Opernschaffen des Komponisten Siegfried Wagner, denn in keinem anderen Bühnenwerk lässt sich das Geschehen erstens an eine reale historische Begebenheit knüpfen, die auf den Tag genau bestimmt ist. Zweitens ist der Ablauf in eine topographisch exakt definierte Örtlichkeit gebunden, die drittens heute noch als solche vorhanden ist, so dass auf diese Weise jede Einzelheit des Bühnengeschehens auch in natura nachvollzogen werden kann.
Zum Zeitpunkt der Handlung der Oper hatte der Staat des Deutschen Ritterordens bereits den Zenit seiner Macht und seiner Ausdehnung überschritten und befand sich in weiten Bereichen in einer Defensivposition, was auch in der Oper deutlich zum Ausdruck kommt, denn Siegfried Wagner schildert den Ordensstaat als ein verkrustetes System, das anscheinend nicht reformierbar ist und dessen tatsächliches Ende bevorsteht.
Wie kamen die Ritter des Deutschen Ordens in das Weichselgebiet? Polen verstand sich in den ersten Jahrhunderten des zweiten nachchristlichen Jahrtausends als Vorreiter des Christentums im Ostseeraum. Die nördlichen baltischen Regionen, wie auch das Gebiet des späteren Pommern waren zu Beginn des 13. Jahrhunderts weitgehend christianisiert. Doch befand sich dazwischen noch ein etwa 300 km breiter Streifen etwa zwischen dem heutigen Danzig und dem nördlichen Litauen, der nicht christianisiert war und nicht den neuen Glauben der Missionare annehmen wollte, die ihren Eifer sehr oft mit dem Tode bezahlten. Dort lebte das baltische Volk der Pruzzen.
Den wiederholten polnischen Versuchen, militärisch die Pruzzen niederzuschlagen, antworteten diese mit Einmärschen tief in polnisches Gebiet hinein bis in das Gebiet des späteren Warschau. Die polnischen Heere waren den fanatisch kämpfenden Pruzzen aufgrund innerer Streitigkeiten zwischen den einzelnen Teilfürstentümern nicht gewachsen und sahen sich außerstande, nicht nur die Pruzzen nicht christianisieren zu können, sondern sie selbst auf Dauer von einer Invasion polnischen Gebietes abzuhalten. Man benötigte Hilfe von außen. So bat 1225 der polnische Fürst Konrad von Masovien den Deutschen Ritterorden um Hilfe.
Der Deutsche Ritterorden war knappe vierzig Jahre zuvor im heiligen Land als kämpfender Mönchsorden entstanden (zusammen mit den Templern und den Johannitern), der erstens die Pilger der Kreuzzüge auf ihrer gefahrvollen Reise schützen sollte und zweitens karitative Aufgaben im heiligen Land erfüllen sollte. Schnell wuchs sein Ruhm als eine Vereinigung tapferster und gottesfürchtigster Kämpfer. Hochmeister des Deutschen Ordens war zu dieser Zeit Hermann von Salza (um 1180 bis 1239), der als einer der fähigsten politischen Köpfe des Mittelalters gilt, da es ihm gelang, die Interessen zwischen Papst und Kaiser immer wieder anzugleichen, und damit in Mitteleuropa größere Auseinandersetzungen zu vermeiden.
| | | | | | Hermann von Salza, Statue auf der Marienburg |
| Wenn es dem Orden gelingen sollte, tatsächlich die Pruzzen zu christianisieren und niederzuwerfen, sollte er dafür alle jene pruzzischen Gebiete zum Besitz bekommen, in denen seine Arbeit erfolgreich war. Das wurde in verschiedenen Verträgen mit Kaiser und Papst abgesichert. So erschien im Winter 1230 dann eine kleine Gruppe von Ordensleuten erstmals im Weichselgebiet, um die Region in Augenschein zu nehmen Zusammen mit sieben Ordensbrüdern kam Hermann Balk, ein dem Hermann von Salza direkt Unterstehender, in die Region des Weichselknies, wo 1233 die Stadt Thorn als erste Gründung des Deutschen Ritterordens entstand. Die Tätigkeit des Ordens begann sehr erfolgreich. Die Pruzzen wurden nach und nach nach Nordosten zurückgedrängt. Eine Fülle von Städten entstand, Marienwerder, Elbing und 1255 auch Königsberg. Zwar gab es wiederholt pruzzische Aufstände, die zum Teil auch mit Siegen der Pruzzen endeten, doch gegen 1280 war das Gebiet des späteren Ostpreußen weitgehend erobert, die Pruzzen größtenteils zum Christentum bekehrt und auch mit den deutschen Siedlern, die seit fünfzig Jahren mit ins Land strömten, verschmolzen. Es war dies einer der seltenen Fälle der Geschichte, wo die Sieger für ihr neugewonnenes Land diesen den Namen der Besiegten (Pruzzen-Preußen) gaben. Der geistliche Staat Preußen war entstanden. Dieser Embryo des späteren Königreichs Preußen war eines der ungewöhnlichsten Gebilde der Geschichte.
Mit dem Fall Akkons 1291 ging das Heilige Land an die Araber verloren. Der Ordenshochmeister verlegte seinen Sitz zunächst nach Venedig und 1309 auf die gut dreißig Jahre davor entstandene Marienburg, die nun prachtvoll erweitert wurde, da der Orden seine einzige Aufgabe nun hier im Pruzzenland hatte und der Hochmeister natürlich eine angemessene repräsentative Burg benötigte. Das 14. Jahrhundert zeigt besonders in seiner zweiten Hälfte unter dem Hochmeister Winrich von Kniprode den Ordensstaat auf der Höhe seiner Macht. Knapp hundert Städte waren gegründet worden, über tausend Dörfer waren entstanden. Die deutsche Ostkolonisation war annähernd vollendet.
Doch die Blüte des neuen Staates war den umgebenden Ländern unangenehm geworden. Zwar hatten die Polen die Ordensritter hunderfünfzig Jahre zuvor ins Land geholt, doch zu keiner Zeit waren sie deren Freunde. Und nun hatte sich der Ordensstaat wie ein Riegel zwischen Polen und die Ostsee gelegt und Polen damit direkt den Seezugang verweigert. Zusätzlich hatte der Orden seine Aufgabe erfüllt – die Pruzzen waren christianisiert und kolonisiert – eigentlich hätten die Ritter wieder verschwinden können, der Mohr hatte seine Schuldigkeit getan. Doch es bestand ein durch zwei Bullen mit Kaiser und Papst abgesicherter Staatsverband. Und der musste irgendwie weg.
Der Orden war sich dennoch bewusst, daß seine einzige Daseinsberechtigung in der Christianisierung eventuell noch nicht unterworfener Nachbarvölker war. So unternahm man alljährlich Versuche, auch Litauen zu christianisieren, was aber nicht von den kleinsten Erfolgen gekrönt war, da die Litauer ihrerseits nun immer wieder ins Ordensland eindrangen. Fatal erwies sich dabei die Vereinigung des Königreichs Polen mit Litauen im Jahre 1386, was für die Polen selbst der Anlass war, ihrerseits die Christianisierung Litauens einzuleiten.
| | | | | | Jan Matejko, Schlacht bei Grunwald, 426 x 987 cm (Ausschnitt), 1878, Muzeum Narodowet Warschau |
| Der Orden wollte sich hierbei keineswegs aus dem Felde schlagen lassen und so kam es zwanzig Jahre lang immer wieder zu kleineren Scharmützeln zwischen Litauern und den Ordensrittern, was Polens Zorn natürlich verstärkte und die Feindschaft zwischen beiden immer klarer hervortreten ließ. In vielen Regionen des Ordensstaats zettelten die Litauer ihrerseits Aufstände an, was letztendlich zur Kriegserklärung an die Heere der vereinigten Polen und Litauer führte. So kam es schließlich am 14. Juli 1410 zu jener gewaltigen Schlacht von Tannenberg, die Polen nennen sie Schlacht von Grunwald. Obwohl der Orden zahlenmäßig weit unterlegen war, wagte er trotzdem den Kampf. Das Ordensheer wurde fast vollständig vernichtet, der Hochmeister fiel. Die Reste der Ritter zogen sich in die Marienburg zurück, die nun von den Feinden mehrere Wochen belagert wurde. Doch eine Seuche im Lager der Polen und Litauer ließ sie letztendlich die Belagerung abbrechen. Der Orden war gerettet, musste im Ersten Frieden von Thorn 1411 jedoch kleinere Gebiete abtreten, vor allem aber endlose Konventionalstrafe bezahlen. Das war der Anfang vom Ende des Ordensstaats, der aber noch hundertfünfzehn Jahre bestehen sollte. Hundertfünfzehn Jahre, die überwiegend von Kampf und Niederlage geprägt sein sollten. Am Ende wurde der geistliche Staat unter seinem letzten Hochmeister, dem Hohenzollernfürsten Albrecht, 1525 in ein weltliches Herzogtum umgewandelt, das 1618 mit einem anderen hohenzollernschen Territorium, dem Kurfürstentum Brandenburg zusammengelegt wurde. Aus ihm entstand 1701 das Königreich Preußen, aus diesem 1871 das Deutsche Reich.
Am Vorabend der Schlacht von Tannenberg spielt Siegfried Wagners op. 13, Der Schmied von Marienburg. Gunnar Strunz
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