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Es raschelt im Heu !

Die großen Hitler-Biographien scheinen geschrieben – viele neue Dokumente lassen sich selbst für findige Historiker in diesem mehr als abgegrasten Forschungsgebiet nicht erwarten. Da erscheint Machtans Buch über »Hitlers Geheimnis« und der »Skandal!« verheißende Untertitel weckt große Erwartungen – eingelöst wird davon in dieser Untersuchung nichts.
 

Hitlers Geheimnis

 

Umso trauriger, weil die Person des Autors, des Bremer Professors für Neuere Geschichte, sich für wissenschaftlich fundiertes Herangehen an den zentralen historischen Komplex deutscher Geschichte verbürgen sollte. Weit gefehlt! Machtan beginnt mit einer These und bürstet dann bekannte Dokumente gegen den Strich, arbeitet mit Auslassungen und höchst zweifelhaften Quellen und kommt dabei in immer schlammigeres Fahrwasser, in eine unwissenschaftliche Argumentation, die das Buch zu lesen zu einem geradezu ärgerlichen Unterfangen macht. Dabei ergeht gegen jeden Leser, der diese »aus einem Punkte heraus« verstandene Hitlerbiographie nicht goutiert, das Verdikt des Autors, der sich beklagt: »Wer etwas Neues über Hitler sagt, dem droht Ungemach, wenn er sich nicht nach mehreren Seiten hin absichert. Es gilt, Tabuzonen, Fallstricke und Sprachregelungen zu beachten, natürlich auch die richtige Gesinnung und Haltung zu zeigen.« Nein! Es gilt, mit Quellenkritik und historischem Weitblick an eine der zentralen historischen Konstellationen, an das Trauma unserer Republik heranzugehen.
 
Ein essentielles Dokument für Machtan sind die sogenannten »Mend«-Dokumente, Erinnerungen eines Kriegskameraden Hitlers, die Historikern längstens bekannt sind. Den Zeugen wählte Machtan allerdings schlecht – ein mehrfach bestrafter Krimineller, der sich in wenig vertrauenerweckender Fabulierkunst gefällt und der Gerüchte und Tratsch kolportiert. Der von Machtan als wesentlich erachtete Absatz aus diesem Protokoll lautet: »Es war 1915, wir lagen damals in der Brauerei Le Fébre bei Fournes. Wir hatten Heulager. Hitler lag mit 'Schmidl', seiner männlichen Hure, nachts zusammen. Wir hörten ein Rascheln im Heu. Darauf knipste einer seine elektrische Taschenlampe an und brummte: 'Da schaut einmal die zwei schwulen Brüder'. Ich selbst interessierte mich für die Sache nicht weiter.«
 
Das Rascheln im Heu als wegweisende Argumentationsschiene reicht nicht aus – schon gar nicht, wenn Machtan anderenorts seinen Zeugen als jemanden anführt, der ja kaum in der Lage [war], einen fehlerfreien Satz zu schreiben«.
 
So arbeitet sich Machtan durch Hitlers Jugendjahre, folgt dem Erfolglosen nach Wien und München und spürt Männerfreundschaften, homophile und homosexuelle Strukturen auf – alle anderen Männer sind für ihn dann logischerweise homophob. Die Wahllosigkeit, mit der er solch völlig unterschiedliche Ansätze menschlicher Beziehungen verquickt, offenbart sein Fischen im Trüben. Die Einzelfälle zu analysieren, würde zu weit führen, scheint doch Hitler nach Machtans Meinung geradezu ein Netz homosexuell orientierter Politiker um sich gewunden zu haben. Dabei werden Familienväter, ausgesprochene Frauenfreunde, Junggesellen, im Homosexuellenmilieu verkehrende Männer oder auch beiden Gehschlechtern zugeneigte Männer, ja sogar Frauen wie Eva Braun oder Leni Riefenstahl quasi gleichermaßen Machtans Argumentation einverleibt – doch sich mit den Einzelfällen zu beschäftigen würde zu weit führen und ist letztlich auch weniger ein Feld der Wissenschaft als ein schmuddelsuchender Gang durch private Sphären.
 
Als singuläres Beispiel kann hier Machtans Kommentar zu der Konstellation Siegfried Wagners zu Adolf Hitler stehen: Das bekannte Wort von der »Liebes-Kraft«, die Siegfried Wagner in Hitlers Augen bemerkt haben will, und die häufigen Besuche Hitlers in Wahnfried müssen zusammen mit der bekannten homosexuellen Neigung Siegfried Wagners hier als Argument für eine im Unklaren gelassene aber doch irgendwie erotische Beziehung zwischen beiden ausreichen. Dass das Zitat aus dem Jahr 1924 und nicht aus der Reflexion des ersten Hitlerbesuches stammt, wie Machtan meint, sei ergänzt. Im Ganzen schrieb Siegfried Wagner damals über seinen Eindruck von Mussolini und benutzte Hitler als Gegenbild zu dem Italiener: »Alles Wille, Kraft, fast Brutalität. Fanatisches Auge, aber keine Liebeskraft darin wie bei Hitler und Ludendorff. Romane und Germane!«
 
Dass Hitler dann nicht nur wenig über die Person Siegfried Wagners zu sagen hatte – umso mehr zu der Winifreds! – dass er auch nach dem Tod des Ehemannes mit der Bayreuther Festspielleiterin intensiven Kontakt hielt und sie auch gerne unter vier Augen traf, dass sie ihn beeinflussen und instrumentalisieren konnte und gar als potentielle Ehefrau des »Führers« gehandelt wurde – all dies blendet Machtan gerne aus, da es nicht ins Bild passte.
 
Dass Hitler lebenslang Schwierigkeiten mit all seinen zwischenmenschlichen Bindungen hatte und einen extremen Spagat zwischen Vergötterung und Gesellschaft einerseits und Distanz und Einsamkeit andererseits ausübte, steht außer Zweifel. Zweifellos auch, dass man über die Biographie und die zwischenmenschlichen Strukturen des Diktators besser den Kern des Bösen erahnt – doch Machtan hat mit seinem Buch das Gegenteil bewirkt. Hitlers Sexualität, zugleich aber die Homosexualität als solche wird als widerliche, im kriminellen Milieu und obskuren Männerbündnissen praktizierte, durch Scheinehen und gesellschaftliche Konstrukte kaschierte »Abnorm« geschildert. Der Wissenschaft hat er damit zu keinen neuen Erkenntnissen, seinen Lesern nicht zu fundiertem Urteil verholfen – den Homosexuellen aber zu einem »Albtraum für die Szene«, so das Berliner Schwulenmagazin »Siegessäule«. Ein verzichtbares Buch.


Sabine Busch-Frank

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