| Urheberschutzfrist läuft mit Beginn des Jahres 2001 aus Am 4. August 2000 wird Siegfried Wagner frei. Nicht wirklich frei, einige Schatten, die auf ihm als Persönlichkeit, als Mensch, als Künstler lasteten oder Zwänge, die auf ihn – vor allem von der eigenen Familie – und selbst auf sein Nachleben gelegt wurden, werden auch dann noch nicht entschwunden sein. Aber doch wird sich einiges ändern, wenn Siegfried Wagners Werke mit Beginn des Kalenderjahres 2001 nicht mehr der Tantiemisierung unterliegen.
Am 4. August 1930, also vor 70 Jahren, starb Siegfried Wagner, der sich gerade für das väterliche Werk aufopferte, indem er eine in vieler Hinsicht unkonventionelle »Tannhäuser«-Inszenierung ablieferte, in die jedoch – nach seinem Tod – von der Witwe entscheidende Eingriffe vorgenommen wurden.
Der 1869 in Tribschen bei Luzern geborene Siegfried Wagner hatte es schwerer als andere Komponisten seiner Epoche, wie Richard Strauss, Franz Schreker, Alexander Zemlinsky oder Hans Pfitzner. Diese vermochten auf ihre Weise mit dem Schatten Richard Wagners fertig zu werden, für Siegfried Wagner hingegen war dieser Schatten immerhin der seines leiblichen Vaters, für dessen Werk er sich obendrein als Festspielleiter und Dirigent einzusetzen hatte – und sich tatsächlich regelrecht aufopferte. Und dies tat er durchaus zeitnah, allen technischen Errungenschaften aufgeschlossen, in der Personenregie Max Reinhardt ebenbürtig, und ob seiner zahlreichen szenischen Neuerungen durchaus heftig umstritten.
Aber die Optik des Theaters ist kurzlebig. Was uns lebendiger bleibt, ist die Musik. Auch davon war im Falle Siegfried Wagner lange Zeit nichts zu hören – obgleich er 18 Opern, also mehr als der Vater, dichtete und komponierte, deren größter Teil zu seinen Lebzeiten mit wechselndem Erfolg gespielt wurde.
Weder inhaltlich noch thematisch entsprachen diese Opern dem, was sich ein Publikum vom Wagner-Sohn erwartete, und so hatte Siegfried zwar nicht mit dem Drachen, aber als schaffender Künstler doch gleich auf zwei Fronten zu kämpfen: gegen die Wagnerianer, die ihren »Meister« besser zu verstehen glaubten als dessen Sprössling, und gegen die erbitterten Wagnergegner, die in Wagner junior stets nur Wagner den Jüngeren erblickten.
Dabei hatte Siegfried Wagner eine Vorliebe für Künstlerpersönlichkeiten, die nicht den deutschnationalen Richtlinien Bayreuths, vertreten etwa durch Cosimas selbsterwählten Schwiegersohn Houston Stewart Chamberlain, entsprachen. Und seine Bühnenwerke mit ihren jugendstilhaften Titeln zeigen geistige Verwandtschaft mit Oscar Wilde, Stefan George, Gerhart Hauptmann und sogar mit Bertolt Brecht. Denn hinter scheinbar so harmlosen Titeln wie Bruder Lustig und Das Flüchlein, das Jeder mitbekam verbergen sich brisante Themen: In Bruder Lustig geht es unter anderem um Kindesmisshandlung und Steuerhinterziehung und hinter dem Flüchlein, das Jeder mitbekam verbirgt sich eine Polit-Story aus dem Deutschland der Zwanzigerjahre mit der erstaunlichen Warnung auf das drohende Verhängnis eines Hitler-Deutschland.
| | | »Grab« statt »Gruft« |
| Anno 2000, im Jahr von Siegfried Wagners 70. Todestag, stehen wir, was Arbeitslosigkeit, Perspektivenverlust und damit einhergehende radikale Umtriebe angeht, vor ähnlichen politischen Problemen wie 70 Jahre zuvor, als Siegfried Wagner der Öffentlichkeit sein Flüchlein vor Augen gehalten hatte.
Wo immer Opern von Siegfried Wagner zur Wiederaufführung gelangen, und das waren in den vergangenen zehn Jahren immerhin sechs Opern in sieben Inszenierungen, stellten Publikum und Presse bestürzend aktuelle Bezüge fest. Aber mit Themen wie Gewalt gegenüber Fremden und Außenseitern wollten die Bayreuther Gralshüter nichts zu tun haben. Und die Tatsache, dass Siegfried Wagner von den Sängern, die für ein Engagement bei den Bayreuther Festspielen vorsingen wollten, Verdi-Arien verlangte, ging den Wagnerianern denn doch zu weit.
Siegfried Wagners Vorliebe für die italienische Oper ist ebenso auf seine zahlreichen Reisen in südliche Länder zurückzuführen wie auf seine langjährige Freundin, die Sängerin de Nuovina, die auch in Massenets Memoiren eine Rolle spielt. Fraglos sind in Siegfried Wagners Musik mehr Verdi- und Massenet-Einflüsse nachzuweisen als ‚wagnerische Klänge. Die sonst nicht gerade immer einige Wagner-Familie glaubte jedenfalls gut daran zu tun, die Werke des Liszt-Enkels und Wagner-Sohnes nach dem Tode des Komponisten im Jahre 1930 teils ganz verschwinden, teils in jener Schublade verwahrt zu lassen, in die der Komponist sie einmal selbst mit den Worten gesteckt hatte: »Ich lege eine Partitur nach der anderen in das Schubfach. Wenn ich einmal tot bin, wird man sie hervorholen.«
Die Zeit des Hervorholens ist seit dem Tod der Witwe, allerdings erst zögerlich, angebrochen. Zu viele Schatten, familiärer und gesellschaftspolitischer Art, standen dem sehr lange und stehen dem teilweise noch immer im Wege.
Von den Werken, die der Komponist selbst auf Schallplatte eingespielt hat, ist nur die Ouvertüre zu seinem Erstlingserfolg Der Bärenhäuter erhalten geblieben. Aber in den letzten Jahren kamen sechs seiner Opern konzertant zur Wiederaufführung und die letzte Oper erlebte gar erst 1984 in Kiel ihre Uraufführung. Bei den Rudolstädter Festspielen bildete in den Jahren 1992 bis 1995 die szenische Wiederbefragung des Oeuvres von Siegfried Wagner den Mittelpunkt. Gleichzeitig erschienen Gesamtaufnahmen der Opern Der Bärenhäuter, Schwarzschwanenreich und Banadietrich bei Marco Polo auf CD, von der postumen Uraufführung der Oper Wahnopfer existiert ein Querschnitt auf CD. Das Label Koch/Schwann veröffentlichte eine Einspielung von Ouvertüren und sinfonischen Werken des Komponisten. Und bei cpo erschien auf sieben CDs eine Edition sämtlicher Ouvertüren, Vor- und Zwischenspiele, sowie der sinfonischen Kompositionen Siegfried Wagners. Die Fortsetzung dieser Edition, Recitals mit Szenen aus Opern für jeweils eine Stimmlage, erfolgt derzeit mit dem Kölner Rundfunk-Sinfonie-Orchester.
Bereits erschienen ist eine CD mit der Mezzosopranistin Iris Vermillion, dem Kölner Rundfunk-Sinfonie-Orchester und dem Kölner Rundfunkchor unter der Leitung von Werner Andreas Albert, mit Mezzo- und Altszenen aus den Opern Herzog Wildfang, Bruder Lustig, Schwarzschwanenreich, Der Friedensengel, Der Schmied von Marienburg und – als Uraufführungen – auch zwei Ausschnitte aus Rainulf und Adelasia sowie einer kurzen Szene aus Die heilige Linde. Als nächstes folgen CDs mit dem Bariton Ks. Roman Trekel und der Sopranistin Dagmar Schellenberger.
Werner Andreas Albert, der auch Präsident der Internationalen Siegfried Wagner Gesellschaft e.V. und Leiter des Bayerischen Landesjugendorchesters ist, realisierte im Juni 1999 eine konzertante Aufführung der Oper Sternengebot mit anschließender BR- und CD-Produktion, die noch in diesem Jahre – wie auch ein Mitschnitt der Hagener Produktion Bruder Lustig – bei Marco Polo erscheinen wird.
Siegfried Wagners bislang unaufgeführtes Opus 15, die dreiaktige Oper Die heilige Linde, erlebt ihre konzertante Uraufführung mit dem Kölner Rundfunk-Sinfonie-Orchester, international gefragten Solisten und dem Kölner Rundfunkchor am 17. Oktober 2001 unter der musikalischen Leitung von Werner Andreas Albert in der Kölner Philharmonie. Peter P. Pachl
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