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Sehr persönliche Erinnerungen an Winifred Wagner

Internationale Siegfried Wagner Gesellschaft e.V., Bayreuth

 

Peter P. Pachl über sein Vorbild zur Ellermutter

In meiner jüngsten Inszenierung, Siegfried Wagners An Allem ist Hütchen Schuld ! in Hagen, stößt die Höllenszene des zweiten Aktes auf besonders viel Zuspruch beim Publikum, denn die Ellermutter, des Teufels Großmutter, ist eine kurios gezeichnete »alte Vettel«. Verärgert über die
Die - kettenrauchende - Ellermutter in Peter P. Pachls Hagener Inszenierung von »An Allem ist Hütchen schuld!« (1997; Foto: Dietrich Dettmann)

Kettenrauchende Ellermutter

Missstände in der Hölle, ist sie deren stille Herrin, die ziemlich sinnlos bedacht ist, für Sauberkeit und Ordnung zu sorgen, zu wischen und den Frack ihres Enkels zu stopfen. Als der junge Frieder sie um Hilfe bittet – er braucht die Lösung dreier Fragen, deren Antwort nur der Teufel wissen kann –, betrachtet sie ihn als willkommenes Objekt ihrer senilen erotischen Bedürfnisse, versteckt ihn unter ihrem Rock und hilft ihm tatsächlich, die Aufgaben zu lösen. Die Antworten notiert sich Frieder mit einem ihrer Zigarettenstummel, denn die Ellermutter ist Kettenraucherin, die auch beim Singen die Zigarette im Mundwinkel lässt. Kenner der Bayreuth-Szene erkannten die Darstellung der Ellermutter als ein Abbild der alten Winifred Wagner.

Die hatte mir, als einem jungen, noch »unschuldigen« Musikgymnasiasten, erzählt, Siegfried Wagners Opern wären doch in dieser Zeit sinnlos, deshalb bekämen die Theater von ihr auch keine Aufführungserlaubnis. Das erzählte sie kalt lachend, mit der ewig brennenden Zigarette im Mundwinkel, die sanft verglimmte, bis sie von der alten Herrin von Bayreuth im letzten Moment mit einem kräftigen Zug zu Ende geraucht und im Aschenbecher ausgedrückt wurde, nur um von einer neuen Zigarette im Mundwinkel abgelöst zu werden. Kurioserweise versuchte ich, der Pennäler, der Witwe des Komponisten die Bedeutung von dessen wohl bedeutendster Märchenoper zu verdeutlichen. »Märchen«, war die Antwort, »da müssen doch heute wenigstens Mondraketen vorkommen!« Offenbar hatte sich das Argument der Raketen für eine heutige Aufführung von Siegfried Wagners Collage von über 40 Märchen bei mir nachhaltig eingeprägt, denn in unserer Hagener Aufführung war die Höllenzentrale – neben dem Apfel, mit dem alles angefangen hatte, und einem großen Modell des Aids-Virus – bestückt mit sechs Raketen. Diese Missiles bewegen sich später, wenn Frieder seine Flötenweise bläst, um so den Teufel und dessen Generäle durch Tanzen außer Gefecht zu setzen, ebenfalls im Rhythmus der Musik hin und her. Die Ellermutter aber zeigt Frieder den Ausgang aus der Hölle, nicht ohne sich dafür von ihm die erwünschten Zärtlichkeiten zu ertrotzen, und der konstatiert, die Ellermutter habe »ein Herz im ruß'gen Leib«.

Auch der Pennäler war durchaus fasziniert vom Charme der alten Dame im Siegfried-Wagner-Haus, wenngleich ihn der kühl-berechnende Blick ihrer Augen befremdete. Solange sie mich für einen jungen Enthusiasten hielt, der im Zuge der Richard-Wagner-Begeisterung auch Interesse an den Werken ihres – wie sich mir später erweisen sollte ungeliebten – Mannes bekundete, forderte sie mich auf, sie doch bei meinem nächsten Bayreuth-Aufenthalt wieder zu besuchen. Dann erzählte ich ihr, was ich mir inzwischen an Klavierauszügen der Opern Siegfried Wagners erarbeitet hätte. Ich gab meiner Freude Ausdruck, ich hätte gehört, in den USA sollte demnächst eine Schallplatte mit dem Vorspiel zu Siegfried Wagners Oper Der Schmied von Marienburg erscheinen. »Das dürfen die doch gar nicht!«, war die mich verwirrende Replik. Ob sie es denn nicht begrüßen würde, dass man Siegfried Wagners Musik hören könne. »Nein, das dürfen die nicht«, blieb ihre Meinung dazu. Aber immerhin, sie hätte ein paar alte Tonbänder mit Musik ihres Gatten, die wollte sie mir heraussuchen. Sie gab sie mir dann sogar mit – aber beim Auspacken stellte ich fest, dass es keine Tonträger waren, sondern eine Filmspule – und darauf dirigierte Richard Strauss. Eine Verwechslung, wie sich dann herausstellte. Die Tonbänder erhielt ich dann doch noch und durfte sie sogar überspielen: es handelte sich um künstlerisch im höchsten Grade ungenügende Interpretationen eines Kurorchesters in Bad Orb aus den 50er Jahren. Immerhin hörte ich, wenn auch diese Aufnahmen mir wohl zugedacht waren, um mein Interesse an Siegfried Wagner erkalten zu lassen, das Vorspiel zu Sonnenflammen und das Scherzo Und wenn die Welt voll Teufel wär. Noch vor dem Abitur stand mein Entschluss fest, Musikwissenschaft zu studieren und wissenschaftlich über Siegfried Wagner zu arbeiten. »Wo denn?« »In München!« »Da ist doch so ein alter Judd!« »Der Ordinarius ist ein Grieche, Thrasybulos Georgiades«, war meine Antwort. Mit der Wiederholung des Statements »Naja, ein alter Judd!« wollte Winifred Wagner mir offenbar den Wind aus den Segeln nehmen.

Warum sie angesichts ihrer Einflüsse, aus denen sie bei jedem Zusammensein in ihrem Salon kein Hehl machte, sich nicht für Aufführungen der Werke ihres Mannes einsetze, wollte ich ein andermal geradeheraus von ihr wissen. »Es gibt nichts Schrecklicheres als Witwen, die sich überall für die Werke ihrer verstorbenen Männer starkmachen. Und außerdem schadet das Bayreuth. Denn als mein Mann noch lebte, haben oft zweitklassige Dirigenten seine Werke dirigiert und sich davon versprochen, auch in Bayreuth dirigieren zu können. Das führt zu Abhängigkeiten, die man um jeden Preis vermeiden muss. Außerdem passen die Opern nicht in diese Zeit. Wenn ein Intendant eine von den Opern meines Mannes aufführen will, sage ich ihm immer: ‚Sie tun sich und uns damit keinen Gefallen! Bis jetzt hat es dann noch jeder seingelassen.« Und dann setzte wieder Winifred Wagners erschreckend eiskaltes Lachen ein, die Zigarette wurde ausgedrückt und eine neue in den Mundwinkel gesteckt und entzündet.

Unmissverständlich war damit wieder einmal das Thema Siegfried Wagner abgehakt, und alle weiteren Fragen sollten nur noch Bayreuth und Richard Wagner betreffen. Aber ich ließ nicht locker, bat sie wiederholt um Notendrucke, und diese Wünsche erfüllte sie mir auch. Zu diesem Zeitpunkt waren nämlich die Partituren, Klavierauszüge und Orchestermateralien aller gedruckten Werke Siegfried Wagners, die ursprünglich im Festspielhaus eingelagert waren, in einem eigenen Raum des Siegfried-Wagner-Hauses untergebracht. Wiederholt durfte ich Blicke auf die Tonnen jenes Musikmaterials werfen, das zu dieser Zeit nicht gespielt werden durfte. Winifred Wagner wollte und konnte meinem jugendlichen Drang, diese Musik zu hören, kaum wehren, und gestattete immerhin, dass wir in einem Schulkonzert des Musikgymnasiums der Regensburger Domspatzen (das ich besuchte) das Konzertstück für Flöte mit Klavierbegleitung zur Aufführung brachten. Aber als ich versuchte, eine Aufführung von Siegfried Wagners Sinfonischer Dichtung Glück durch das Sinfonische Orchester der Stadt Regensburg zu realisieren, erhielt ich von ihr ein Telegramm: »Zum Glück habe ich keine Noten«, das war ein treffender Aphorismus ohne Wahrheitsgehalt. Später wurde sie deutlicher: »Ich werde auch weiterhin jeden Ihrer Versuche, das Werk meines Mannes zur Aufführung zu bringen, zu verhindern wissen.« Dass sie von den Festspielaufführungen der frühen siebziger Jahre in Bayreuth nicht viel hielt, brachte sie dabei klar zum Ausdruck. Eine Ausnahme bildete die »Ring«-Inszenierung ihres Sohnes Wolfgang.

Im Sommer 1972 in Bayreuth hatte ich den Anstoß zur Gründung der »Internationalen Siegfried Wagner Gesellschaft e.V.« gegeben, um Theatern und Rundfunkanstalten gegenüber eine Lobby für das Werk des Wagner-Sohns und Liszt-Enkels zu schaffen. Abgesehen davon, dass den Wagners in Bayreuth jede Ablenkung vom Gedanken »Richard Wagner in Bayreuth« unwillkommen war und daher Briefe an die Richard-Wagner-Verbände versandt wurden, niemand solle diesem neuen Verein beitreten, der von Bayreuther Seite unerwünscht sei, störte sich Winifred Wagner am Wort »lnternational«. Ins Siegfried-Wagner-Haus, zu Winifred Wagner, wurde ich hinfort nicht mehr eingeladen. Meinen Informationsdrang musste ich nunmehr bei Gertrud Strobel, der Archivarin des Wahnfried-Archivs, stillen, an die mich Winifred Wagner bereits früher verwiesen hatte, als ich in die Originalpartituren Einsicht nehmen wollte. Aber es gab auch Tabubereiche, oft musste Gertrud Strobel nachfragen, ob sie mir das Gewünschte zeigen durfte, und wiederholt schüttelte sie verneinend das Haupt. Es gab damals auch keinerlei geschriebene Verzeichnisse der Bestände des Archivs, alles war nur im Kopf der »Ur-Wala«, wie Gertrud Strobel von den Forschern gern tituliert wurde.

Erst als meine Dissertation über Siegfried Wagner als Buch erschienen war, erhielt ich – am 2. Oktober 1979 – wieder einen Brief Winifred Wagners, in dem sie bezeichnenderweise nur zu einem Randthema meiner Arbeit Stellung nahm, meine naheliegende Theorie, Siegfried Wagner habe mit der Opernfigur des Räuberhauptmanns Wolf in seinem letzten Werk Das Flüchlein, das Jeder mitbekam Adolf Hitler zu einer dramatis persona gestaltet, untermauerte sie mit den Worten, »Der ‚Spitzname Wolf war nicht nur in Wahnfried gebräuchlich, sondern in Parteikreisen allgemein – daher auch die Bezeichnung ‚Wolfsschanze (Kriegsbunker) etc.«

Winifred Wagner begegnete ich im Mai 1977 in Wiesbaden wieder, wo ich am Staatstheater als Dramaturg für die von mir initiierten Siegfried-Wagner-Tage mit zwei konzertanten Aufführungen der Oper Sternengebot verantwortlich zeichnete. Wie auch zwei Jahre später, bei den nächsten Siegfried-Wagner-Tagen in Wiesbaden mit der Aufführung der Sonnenflammen. Zu dieser Zeit hatte aber bereits Tochter Friedelind die Präsidentschaft der Internationalen Siegfried Wagner Gesellschaft übernommen und gar ihre Mutter wider Willen zur Ehrenpräsidentin erklärt. Als Winifred Wagner 1980 starb, hatte sie ihre Ansichten in puncto Siegfried Wagner und ihre Einschätzung seiner Werke jedoch nicht geändert.
 


Quelle: Festspielnachrichten Bayreuth 1997 (mit freundlicher Genehmigung des Autors)
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