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Onomatopoetik und -poesie

Internationale Siegfried Wagner Gesellschaft e.V., Bayreuth

 

Namen als Schlüssel der Interpretation

Bei der Wahl der Namen für seine Opernfiguren ging es Siegfried Wagner einerseits darum, Namen zu suchen, die für die Opernliteratur Novitäten darstellten, die andererseits aber Assoziationsketten ermöglichen, die wiederum Rückschlüsse und Hilfestellungen zur Deutung der Opernfiguren selbst sind – so auch in Siegfried Wagners Der Kobold.



Verena, die Wahrhaftige

Das Duden-Lexikon der Vornamen gibt an, Herkunft und Bedeutung des Vornamens Verena seien ungeklärt. Dem besonders in der Schweiz üblichen Vornamen begegnete Siegfried Wagner sehr früh, in Gestalt seines Kindermädchens Vreneli. Richard Wagner hatte Verena Weitmann, eine Beschließerin des Hotels Schweizerhof in Luzern, 1859 kennen gelernt und sie anschließend in München in seine Dienste genommen; auch in Tribschen stellte er die inzwischen mit Jakob Stocker verehelichte Verena, inklusive ihrem Ehemann, wieder ein. Der denkbare Bezug von der Hotelangestellten zur Wirtshaustocher ist ein sehr äußerlicher. Vielmehr erkannte der Komponist in diesem Namen die Verwandtschaft zu Vera (aus dem Russischen, Glaube bedeutend, vergleiche auch Wera in Opus 8, Der Heidenkönig) und die Rückführung auf die lateinische Bedeutung wahrhaft. Als wahrhaftig und der Wahrheit auf den Grund gehend erweist sich die junge, leidgeprüfte Heldin Verena in dieser Opernhandlung.

Der Name ihrer Mutter Gertrud setzt sich zusammen aus dem Althochdeutschen Ger (d. i. Speer) und Trud (d. i. Kraft, Stärke). Die Wirtin ist ja eine starke, alleinstehende und dadurch auch sehr harte Frau. Der Komponist kombiniert mit dieser Namenswahl aber auch zwei Begriffe, die für Mordwaffe und für Obsession stehen. Gertrud hat ihr Kind umgebracht, und diese Tat lastet als Albdruck auf Verena.

 


Seelchen und Galgenmännchen

Seelchen ist der Name des als Säugling von Gertrud mit zwei Messern ermordeten, noch ungetauften, also namenlosen Kindes von Verena. Das Bild der zwei Messer assoziiert aber auch Abtreibungsinstrumente; es bleibt offen, ob Gertrud das ungewollte Kind der minderjährigen Tochter abgetrieben oder im Keller ihres Wirtshauses getötet hat. Die Beschäftigung mit der personifizierten Seele auf der Opernbühne reicht zurück bis in die Anfänge des Musiktheaters, etwa mit Emilio Cavalieris »Rappresentazione di Anima e di Corpo« (»Das Spiel von Seele und Leib«, Rom 1600) oder die erste erhaltene deutsche Oper »Seelewig«, aus der Feder des Kulmbacher Komponisten Sigmund Theophil Staden (gedruckt 1644 in Nürnberg).

Galgenmännchen ist der Name eines Kobolds, der – wie das Wortspiel der anderen Kobolde »dein Vater der Galgen, deine Mutter das Gras« es umschreibt – aus dem in der Erde aufgegangenen Samen eines Gehenkten stammt. Der Volksmund hatte auch der Alraunenwurzel eine solche Entstehung zugeschrieben. Und Alraun taucht auch als Name in der Schar der Kobolde auf, wie die drückende Albtraum-Personifizierung Mar (vgl. Siegfried Wagners op. 18, Das Flüchlein, das Jeder mitbekam, wo die Gute Frau für den Räuberhauptmann Wolf in die Rolle der Mar schlüpft). Ein weiterer Name in der Schar der Kobolde ist Trud (vgl. die schieche Trude in Siegfried Wagners op. 11, An Allem ist Hütchen Schuld !), wohl nicht zufällig Bestandteil des Namens von Verenas Mutter. Aber neben Federchen, Blinker, Stiefelchen und Flinker spielt auch der Kobold Hütchen mit, benannt nach seinem unsichtbar machenden roten Hut, eine Rolle; dieser Kobold wird in Siegfried Wagners Opus 11 zur Titelfigur und zum Movens der Handlung (als Metapher für Ratio und Unbewusstes).

 


Friedrich, Behüter des Friedens

Verenas Freund heißt im Prosaentwurf noch Heinrich, ein Name, den der Komponist dann auf den Protagonisten seines Opus 4, Bruder Lustig übertragen hat. In der Dichtung von Opus 3 wird daraus Friedrich. Dieser Name setzt sich zusammen aus dem auch im Vornamen des Komponisten anzutreffenden Fried (d. i. Schutz vor Waffengewalt, Friede) sowie rich (d. i. reich). Nun ist Friedrich als fahrender Schauspieler keineswegs reich an materiellen Gütern, aber begütert durch die Zuneigung von Frauen jeden Alters und jeder Herkunft. Gleichwohl bleibt er ungebunden, ein Junggeselle – wie der Komponist zum Zeitpunkt der Entstehung der Oper. Insbesondere der von seinen Kollegen gebrauchte Spitzname »Fridi« weist klanglich überdeutlich hin auf die Verwandtschaft zu »Fidi«, dem Spitznamen des Komponisten.

 


Symbolik der Schauspieltruppe

Trutz ist der Leiter der fahrenden Schauspieltruppe, die am Schlosshof kurzzeitig zu »Histrionen«, zu Darstellern historischer und mythischer Stoffe werden. Sein Name bedeutet Gegenwehr und Widerstand, und tatsächlich erweist sich Trutz im Verlauf der Handlung des II. Aktes als unangepasst und geradlinig, als ein aufrechter, wenn auch erfolgloser Widerstandskämpfer.

Die Namensgebung seines Berufskollegen Fink hingegen verweist auf das unbeschwerte, fröhliche Wesen dieses Mitakteurs. Dass sein Name der eines Vogels ist, spannt den Bogen zu Verenas schauspielerischer Kostprobe mit dem »Vogellied« und zu Finks Kommentar »Wenn du so singst, läuft uns ja das Publikum davon!«

Kümmel, der vierte im Bunde, trägt einen Namen, der historisch als Übername für Gewürzkrämer aufzufinden ist. Siegfried Wagner wählt den Namen der Basspartie der Schauspieler also als bodenständige Würze, aber auch wegen der von Kümmel selbst angesprochenen Lautverwandtschaft zu »Lümmel«, was im Volksmund den Knabenpenis, aber auch das erigierte Glied des erwachsenen Mannes bezeichnet, wie etwa in Wolfgang Amadeus Mozarts Briefen an Constanze. Hiervon erst leitet sich der Begriff eines jungen Mannes insgesamt als Lümmel her, wie er etwa in »Angelo, Marquis von Mazzini, oder das verliebte Kind. Dem Französischen frei nachgebildet vom Verfasser der Abentheuer des Herrn von Lümmel« zum Ausdruck kommt. In dem 1899 in Leipzig erschienenen, fragmentarischen Roman pendelt der Held, »von einer koketten Baronin in die Geheimnisse der Liebe eingeführt, zwischen ihr und einem Pariser Freudenmädchen« und bricht »dann zu neuen, noch wollüstigeren« Abenteuern auf. (Zitiert nach dem Bilderlexikon der Erotik: Wien 1928 – 1932, Bd. 2, S. 58).

 


Käthe, zwischen Reinheit und Männerverschleiß

Der Name von Trutzens Frau und der Mutter seiner Kinder, Käthe, ist eine Kurzform von Katharina, was sich vom Griechischen die Reine herleitet. Aber Käthe ist nicht so rein, wie der Name den Anschein hat, denn auch sie hat ihre »Tête«, ihre Eigenart –  und auch sie hat ein ungewolltes Kind (vermutlich von einem anderen Mann) abgetrieben oder umgebracht. Die Namenswahl verweist möglicherweise auf Luthers »Käthe«, seine Frau Katharina von Bora. Denn genau so unmöglich wie die Ehe zwischen dem Mönch und der Nonne, musste Trutz, dem ständig fahrenden Schauspieler, die Ehe mit seiner Käthe erscheinen, die er nur einmal pro Jahr zu Gesicht bekommt. Denkbar für die Namenswahl wäre auch der Bezug zur männerverschleißenden Zarin Katharina – so wie das Lied der Schauspieler im dritten Akt ja auch Trutz' Potenz mit der eines Sultan Saladin vergleicht.

 


Ekhart der Mahner

Siegfried Wagners eigenwillige Schreibweise Ekhart schafft Distanz zur wörtlichen Übersetzung des Namens, der mit der harten Spitze. Die Sagengestalt des »getreuen Eckart« schildern die Klassiker als Mahner, Warner und Helfer. So taucht er wiederholt in Bechsteins Deutschem Sagenbuch auf, etwa in »Der treue Eckart« und »Frau Holle und der treue Eckart«, in Johann Wolfgang von Goethes Gedicht »Der getreue Eckart« und in der gleichnamigen Romanze von Ludwig Tieck. Im übertragenen Sinne gebraucht Friedrich Rückert den Namen in seinem Gedicht »Die vier Namen«, bezogen auf den Dichter Ernst Moritz Arndt, dessen Text »Fahnenschwur« Siegfried Wagner als Chorwerk vertont hat. Ebenso im übertragenen Sinne gebraucht Clemens von Brentano den Namen im Gedicht »Görres« und später auch Richard Dehmel in »Erlösungen«. In Siegfried Wagners Opus 3 erscheint Ekhart als überdauerndes Urbild, das hier in abgewandelter Form zitatengleich in die Rolle von Verenas väterlichem Freund (und leiblichen Vater?) schlüpft. Den Bogen zum getreuen Eckart schafft Siegfried Wagner am Ende des II. Aktes, wenn Verena den seltsamen Freund (und möglichen leiblichen Vater?) selbst als »Treu-Ekhart« bezeichnet. Im III. Akt der Oper bezeichnet Ekhart sich selbst als »Leid-Deuter«. Als Ratgeber des Königs Arbogast taucht Ekhart in Siegfried Wagners Opus 15, Die heilige Linde, erneut auf; diese Dramatis Persona besitzt in ihrer Philosophie dann auch Bezüge zum spätmittelalterlichen Mystiker Meister Eckehart.

 


Graf und Gräfin

Französisiert sind die Namen bei Hofe. Der Graf und die Gräfin, wie auch der Geck und die anderen Personen des Adels, tragen bewusst keine Namen. Anhand des Namens der Zofe Jeannette wird aufgezeigt, wie hier Verenas Freundin aus Kindertagen »Nanni« – also eigentlich Johanna – zur gewitzten und in »Les amoureux« erfahrenen Jeannette wurde. Der Name wurde im 19. Jahrhundert durch Schillers »Johanna von Orleans« (»Jeanne d'Arc«) geläufig. Im Gegensatz zu dieser Dramenfigur klassifizieren die Schauspieler Jeannette jedoch als Spirifankerl, als ein Teufelshuhn.

Jeannettes männliches Pendant ist ihr Freund bei Hofe, der nicht zu Unrecht eifersüchtige Diener Jean.

Der Name des höfischen Dieners Knorz leitet sich vom Mittelhochdeutschen Knorzen (d.i. Balgen) her. Der spätere Mordbrenner und -Stecher trägt seinen Namen also wohl schon mit Bezug auf Verenas Tod am Ende der Oper.

 


Oper in der Oper

Schließlich gilt es noch die Namen des Stücks im Stück, der fragmentarisch erklingenden Oper in der Oper mit dem Titel »Eukaleia, die geraubte Nymphe – oder die Macht des Gesangs« zu betrachten: Hierbei greift Siegfried Wagner zurück auf die unzähligen, anlässlich höfischer Feste aus bekannten mythischen Versatzstücken schnell verfassten Dramen. Eukaleia, der Name der Nymphe, ist augenscheinlich eine Erfindung aus der griechischen Vorsilbe eu (d. i. gut) und Kaleia (Schönheit). Die Gräfin, die den Teil ihrer Partie im Kostüm der Eukaleia verbringt, verkörpert im Spiel die Rolle der guten Schönheit – aber effektiv ist sie nur das Zweitere. Als Eukaleia wird sie – wie im Leben – von vielen Männern begehrt, gefesselt und geliebt. Der Naturdämon Satyros, ein antikes Mischwesen zwischen Ziegenbock und Mensch, ist eine derb-drastische Figur im Gefolge des Gottes Dionysos, der lüstern jeder Frau nachstellt. Hierin nicht unähnlich ist er dem Faun, ursprünglich ein altrömischer Gott der Fruchtbarkeit, später häufig als griechischer Pan dargestellt, ein bockfüßiger, lüsterner Gesell.

Eros, Sohn des Kriegsgottes Ares und der Göttin der Schönheit, Aphrodite, ist der Gott der Liebe. Zumeist wird er als nacktes kleines Kind oder junger Knabe dargestellt, der mit Flügeln die Welt durcheilt und mit Pfeil und Bogen Menschen und Götter verwundet und verliebt macht. Friedrich spielt also auf der gräflichen Bühne auch jene Rolle, die er im wirklichen Leben einnimmt, indem er alle Frauen in sich verliebt macht. Wie Eros ist er im vorgerückten Alter auf der Entwicklungsstufe eines Kindes stehen geblieben. 

Heliodorus ist als mythische Figur eine Erfindung Siegfried Wagners, gebildet aus den griechischen Worten Helios (d. i. Sonne) und Doreion (d. i. Geschenk), also das personifizierte Sonnengeschenk in Stellvertreterfunktion des Sonnengottes Helios. Der müsste nach den Regeln des Hofes eigentlich vom Grafen selbst gespielt werden, der aber hält sich dem allegorischen Bühnentreiben fern, da er actus in concreto vorzieht. Die Wahl des Namens nimmt aber auch Bezug auf jenen griechischen Erzähler des 3. Jahrhunderts, der den meistgelesenen Roman des Altertums verfasst hat, die »Aithiopika«. Aufgrund seiner Reinheit in sittlichen Dingen wurde Heliodoros den Byzantinern zur Lektüre empfohlen, und im 16. und 17. Jahrhundert hatte seine fabulierlustige, exkursreiche Kunst großen Einfluss auf die Entwicklung des Barockromans.


Peter P. Pachl


Quelle: Programmheft zur Aufführung der kobold am Stadttheater Fürth 2005 (mit freundlicher Genehmigung des Autors)
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