| Heinrich, Heinz und Henry Heinrich ist nicht nur der Name des männlichen Protagonisten in Siegfried Wagners Opus 4, ein Heinrich spielt auch in seiner nachfolgenden Oper Sternengebot eine Rolle. Angesichts der enormen Bandbreite von Namensfindungen und Namensneuschöpfungen in den Bühnenwerken Siegfried Wagners scheint ein solches Vorgehen verwunderlich und des Nachgehens wert.
»Herr Heinrich saß am Vogelherd« heißt es in der insbesondere durch Carl Loewes Vertonung bekannten Ballade von der Erhebung Heinrich I. zum Deutschen Kaiser. Nun war Siegfried Wagner bekanntermaßen ein Gegner der insbesondere in Italien praktizierten Tötung von Singvögeln. Herr Heinrich tritt uns in Richard Wagners »Lohengrin« als Bassist, als gestandener Mann König Heinrich, entgegen.
Zur Zeit der Komposition des Bruder Lustig bereits hatte Siegfried Wagner den historischen Heinrich I. bereits als Opernfigur konzipiert, als »der junge Heinz« in seinem Opus 5, Sternengebot. Dem steht feindlich gegenüber der Salierherzog Konrad, so wie in Bruder Lustig Konrad, der Ehemann der Walburg, Heinrichs Gegenspieler ist. Der junge Heinz in der Handlung von Sternengebot, ein unbedarft sympathischer Junge, ist in Tenorlage gesetzt. Für Heinrichs Leben setzt sich Helferich unter Verzicht auf sein eigenes Glück ein, dessen Wohl gilt ihm mehr als das seiner eigenen Geliebten, für Heinz' Rettung mordet er, geht freiwillig in den Kerker und auf den Kreuzzug. Heinz hat – daran lässt dessen Wortwahl keinen Zweifel – ein biographisches Vorbild in Siegfried Wagners nächster Umgebung. Kurz vor Ende der Oper gebraucht der junge Heinz das in Siegfried Wagners Freundeskreis geradezu »geflügelte« Wort, »Ach, seid ihr Leute!«, wobei es sich um die geringfügige Abwandlung des von Henry Thode häufig gebrauchten Ausdrucks »Ihr Leute seid …« handelt.
Henry Thode, von seinen Freunden und in Wahnfried schlicht »Heinz«, genannt, war der Schwager Siegfried Wagners, dem dieser den Spitznamen »Gold« verlieh.
Seine Frau Daniela, Tochter Cosimas aus ihrer ersten Ehe mit dem Dirigenten Hans von Bülow, war laut Friedelind Wagner »ungeküsst«. Diese Formulierung ist eine Umschreibung für die rein platonische, »weiße Ehe«, die Daniela mit Henry Thode geführt hat. Henry Thode war aber keineswegs impotent oder grundsätzlich den Frauen abgeneigt, wie etwa daraus hervorgeht, dass er mit der Tänzerin Isadora Duncan in dem vor den Toren der Stadt Bayreuth gelegenen Haus Philippsruh wilde Orgien gefeiert haben soll. So jedenfalls berichtet es die skandalumwitterte Tänzerin selbst in ihren Memoiren.
Warum aber – fragt man sich – hat Henry Thode Daniela von Bülow geheiratet. Bei dieser juristischen Einverleibung in die Wagner-Großfamilie erinnert man sich daran, dass Cosima ihren Liebhaber Houston Stewart Chamberlain ihrer Tochter Eva zum Mann gegeben hat. Auch die Verheiratung Henry Thodes lässt an eine Scheinheirat, an eine Ersatzehe, denken.
Offensichtlich dünkte Cosima der aufstrebende Henry – oder auch Heinrich oder Heinz, wie Thode in Wahnfried auf »gut Deutsch« genannt wurde – im Gegensatz zu manch anderen, intimen Freunden ihres Sohnes – durchaus als standesgemäß; schließlich verstand es Thode, seine kunstgeschichtlichen Vorträge regelmäßig auf das Thema Richard Wagner hinzulenken.
Henry Thode war zwölf Jahre älter als Siegfried: er wurde am 13. Januar 1857 in Dresden als Sohn eines Bankiers und einer Pfarrerstochter geboren. Thode promovierte 1880 in Wien im Fach Kunstgeschichte, habilitierte sich in Bonn und begann 1886/87 seine Vorlesungen als Privatdozent. Am 3. Juli 1886 wurde er mit Daniela von Bülow vermählt. Fotos dieses Sommers zeigen aber kein Doppelporträt der Jungvermählten, sondern Fotos der (familiären) Gemeinschaft von Thode und Siegfried Wagner. Seinem Jugendfreund Max Lehrs gegenüber formulierte es Henry Thode so: »Einer Familie wie der fortan anzugehören, ist das größte Glück, was einem Menschen wiederfahren kann – es ist eben das Haus eines der größten Genies, die je auf Erden existiert, und es steht mit der unbegreiflichen Größe und Weite der Anschauungen hoch, hoch über allem Tagestreiben des Lebens, das man im Umgange mit dieser großartigsten aller Frauen (gemeint ist Cosima, d.Hrsg.) vergisst wie etwas, das nicht die Mühe eines Blickes lohnt.« Winfried Schüler, der diesen im Bayreuther Nationalarchiv erhaltenen Brief zitiert, attestiert Thode eine angeborene »Neigung zum Außenseitertum« und eine »eigenwillige Natur«, eine »sorgsam bedächtige Pflege seiner Individualität«. Nach knapp zwei Jahren musste Thode im Herbst 1891 das von ihm geleitete Städelsche Kulturinstitut in Franfurt wegen unüberbrückbarer Differenzen mit der Museumsverwaltung wieder aufgeben. 1893 wurde er – durch Vermittlung Wahnfrieds mit Protektion des Großherzogs – Ordinarius für Kunstgeschichte in Heidelberg. Als sich Henry Thodes Verbindung mit Daniela als zerrüttet und selbst als »weiße Ehe« unhaltbar erwies, demissionierte er Anfang 1911 von der Universität Heidelberg und zog sich für den Rest seines Lebens in eine Villa an Gardasee zurück. Am 7. Juli 1914 heiratete er in zweiter Ehe die aus Kopenhagen stammende Violinvirtuosin Hertha Tegner. Siegfried, der sich gern am Gardasee aufhielt, komponierte ein Jahr später sein Violinkonzert, das – basierend auf Themen der Oper An Allem ist Hütchen Schuld ! – die Paarfindung programmatisch thematisiert. Henry Thode starb am 9. November 1920 Kopenhagen. Peter P. Pachl
Quelle: Programmheft Bruder Lustig, Theater Hagen 2000 (mit freundlicher Genehmigung des Autors)
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