| Zur Sprachlichkeit von op. 16 Den Text zum Wahnopfer beendete Siegfried Wagner im Jahre 1925. Im selben Jahr komponierte er auch das Vorspiel. Aber erst 1928 setzte er sich wieder an die Partitur – die Musik zu seinem opus 16 blieb unvollendet. Deutschland 1925. Die Narben des ersten Weltkrieges sind noch nicht verheilt. Literaten, Komponisten, Maler … sie alle kämpfen mit den Nachwehen. Programme fehlen. Bewegungen zerfallen. Aber immerhin konnte man im Jahre 1925 im Theater schon wieder lachen, als Carl Zuckmeyers Lustspiel »Der fröhliche Weinberg« im Berliner Theater am Schiffbauerdamm seine Uraufführung erlebte. Auf der politischen Bühne wurde Paul von Hindenburg als Reichspräsident gewählt; der Kampf um die Annahme des Youngplanes – er regelte die Reparationsleistungen Deutschlands nach dem ersten Weltkrieg – entbrannte. 1925 ist auch das Erscheinungsjahr von Hitlers »Mein Kampf«. Damit breitet sich ein Sprachgebrauch aus, für den das Sprechen in Klischees und Schablonen typisch ist. Bestimmte Wörter und phraseologische Wendungen werden aufgegriffen und im täglichen Sprachgebrauch über Gebühr strapaziert. Auf der Opernbühne schockiert Alban Berg mit seinem atonal geballten »Wozzeck«; Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal leben mit ihren Werken weiterhin in der Welt des Mythologischen und Allegorischen. Aufschrei auf der einen – Flucht vor der Zeit auf der anderen Seite. »Weltentscheidendes muss sich erfüllen« (l. Akt, 7. Szene Wahnopfer). Siegfried Wagner läßt die Handlung seiner Oper Wahnopfer am Ende des vierten Jahrhunderts im westgostischen Reich spielen. Um die Stadt vor Feinden zu schützen, hat Argimund, ein Baumeister, den Auftrag erhalten, ein Tor zu errichten. Zweimal schon stürzte das Tor ihm ein, … Erwacht ist mit Recht im Volk der Verdacht, nicht ehrlich meint es der Meister mit ihm!
Damit ist die Ausgangssituation schnell skizziert, und der Zuschauer/Zuhörer merkt noch in der relativ kurzen Szene des 1. Aktes, dass politische Intrige die ehrgeizigen Pläne des jungen Architekten zunichte macht. Das Verständnis am Fortlauf der Handlung wird allerdings dadurch erschwert, dass nach der überaus gelungenen Exposition verschiedene Handlungsstränge das Geschehen bestimmen. Diese inhaltlich wie auch sprachlich zu entflechten ist keine leichte Aufgabe. Man lernt Ingunthis, eine junge Ziehmutter, kennen. Bei ihrem ersten Auftritt tanzt sie, so die Regieanweisung, »mit dem Kindchen im Kreise herum« und singt: »Heiaha, heia, hei! Nun bist du getauft, du kleines Knäblein. Jetzt sei ein braver Christ! Nun kann kein Teufel dir nah'n und kannst keinen bösen Schaden empfah'n.« Ein gewisse Rührseligkeit kann ich diesem Auftritt wahrlich nicht absprechen. Welche Welten liegen zwischen diesem Auftritt und dem der Marie mit ihrem Kind in »Wozzeck« von Alban Berg! Ingunthis liebt Argimund. Deshalb wird sie vom Haupt der Intriganten, dem »bösen Baumeister« Gesalich, aufgesucht, der ihr suggeriert, das Tor werde halten, wenn ein Knäblein, lebend ins Gemäuer versenkt, den Hass der Dämonen von uns lenkt.
Um den Liebsten zu erretten, willigt Ingunthis ein: »Meine Angst ist's um Argimund.« Denn: »Die Weissagung spricht ja nicht von des Kindes Tod, es soll nur ein paar Stunden im Gemäuer liegen. Geister zu versöhnen, würde das genügen.« Wohl ist Ingunthis dabei freilich nicht: »Mir ist so furchtbar bang«. Ähnliches hört man ja auch von der Agathe in Webers »Der Freischütz«, als sie von Max erfährt, dass er noch einmal fort muss – in die Wolfsschlucht: »Mir ist so bang …« Das klingt einfacher, schlichter. Bei Siegfried Wagner dagegen kann ich mich mitunter des Eindruckes nicht erwehren, dass er Wendungen, die eigentlich klar und aussagekräftig sind, durch Adjektive verstärkt, die durch ihre Aufgesetztheit der Aussage ihre Wirkung nehmen. Vieles ist: furchtbar, schlimm, grauenhaft, sündig, verstockt, böse, verhasst … Zurück zur Handlung – 2. Akt. Das Besondere ist, dass bereits in der 1. Szene des 2. Aktes die handschriftliche Partitur beendet ist. Und der Konflikt scheint dennoch gelöst zu sein. Argimund ist »von schwerer Schuld befreit«. Das Tor steht. Der letzte Versuch Gesalichs, Argimund zu diffamieren, scheitert. Eriulf, der getreue Freund, hat statt des Kindes eine Puppe eingemauert. »Reichlich lohne der Himmel deine Treue! Reichlich belohn' der Himmel deine Tat.« Der Prosaentwurf freilich enthält die bittre Wahrheit: Das Pflegekind der Ingunthis ist tot. So endet das in Rudolstadt in Szene gesetzte Fragment mit Selbstzerstörung. Im Libretto der Oper heißt es in einer Ensembleszene kurz vor Schluss: Lasst es uns allen Lehre sein, die wir leicht dem Wahn erliegen, dass wir uns von ihm befrein, ihn kräftiglich besiegen … Dem Wahne falle keiner mehr zum Opfer.
Bayreuth, 20. Oktober 1925.
Was für ein Appell! Wie viele fielen Jahre später einem Wahn zum Opfer! Künstlerische Aufrichtigkeit oder gar Sorglosigkeit kann man Siegfried Wagner nicht absprechen. Gewiss, er stabreimelt auch im Wahnopfer nach Art des Hauses. Trivales ist unüberhörbar. »Da stand ich in meiner gräflichen Würde, hätt' gern getauscht mit Fischern und Hirten.« Ein Beispiel von vielen! Aber: Es ist auch nicht zu übersehen, dass übersteigertes Pathos und Schwülstigkeit in einigen Szenen des Wahnopfer als künstlerisches Gestaltungsmittel groteske Wirkung durchaus beabsichtigen. So etwa im 1. Akt, 7. Szene, der Begegnung der Jungfer Eulalia mit Dr. (Sigisar) Agapanthus (übrigens eine der wenigen Figuren bei Siegfried Wagner, die Vor- und Nachnamen besitzen). Ein Handlungsstrang, der auf den ersten Blick mit dem eigentlichen Bühnengeschehen wenig zu tun hat, dennoch aber von Bedeutung ist. Eulalia, eine merkwürdige Alte, immer zur unpassenden Zeit am unpassenden Ort, sieht sich als Mutter eines die Stadt rettenden Helden erkoren. Bei dem Wunderdoktor Apapanthus holt sie sich Rat. Zwischen beiden kommt es zu einen köstlichen verbalen Schlagabtausch. (Nicht unerwähnt soll bleiben, dass Siegfried Wagner seinen besonders kantigen Figuren Phraseologien in den Mund legt, die ihm aus eigenem Erleben bekannt sind.) Ironisierend greift er den Ruf seiner Zeitgenossen nach dem starken Manne auf: EULALIA: Die Zeit schreit … Sie schreit in Qual! Memmen überschwemmen diese Lande. Memmen kommen, Taten-Segen. Memmen stemmen sich dagegen, Memmen schlemmen, feige Bande! AGAPANTHUS: Grauenhaft, verfluchte Memmen!
Unüberhörbare Kritik an den Zuständen in Deutschland. Will man es Siegfried Wagner anlasten, dass er nur konstatierte, jedoch keine Lösungen anbot?! Andere vermochten es auch nicht. Oder ist es Argimunds Abkehr von der Stadt in der letzten Szene des Librettos, die recht utopische Vorstellungen enthält und teilweise das relativiert, was vorher als durchaus positiv gewertet wurde?! Visionär taucht in Argimunds Vorstellungen »ein gewaltig Gebäude, sternbesät, von stämmigem Untergrund getragen …« auf. Visionär auch das Gebilde vom »gesegnet Land«. Ein schwer zu realisierendes Wunschdenken. Doch zum Schluss – schlicht und ergreifend: »Ingunthis, reiche mir die Hand!« Kein Feuerzauber. Sondern Partnerschaft, die, wird sie praktiziert, Trennendes zu überwinden hilft. Entscheidend ist, dass sich der Dichterkomponist im Wahnopfer ernsthaft und kritisch mit Erscheinungen und Zuständen seiner Zeit auseinandersetzte. Mit einer Musik, die kein atonaler Aufschrei ist; mit einem Stoff, der eine Bündelung von längst Vergangenem und beklemmend Aktuellem ist; mit einer Sprache, die anspricht, wenn sie klar und verständlich ist, die ironisiert, wenn sie gewollt pathetisch ist, jedoch befremdet und irritiert, wenn sie sich zu massiv antiquierter, künstlicher und verquollener Wortbilder bedient. Christoph Suhre
Quelle: Mitteilungsblätter der Internationalen Siegfried Wagner Gesellschaft e.V., Bayreuth, XXV 1997 (mit freundlicher Genehmigung des Autors; leicht gekürzt)
|