| Namen als Schlüssel der Interpretation Wie stets in seinen musikdramatischen Werken, so arbeitet Siegfried Wagner auch in seinem opus 4 mit Onomapoetik und -poesie. Namenlos und im Gegensatz zum Opernerstling Der Bärenhäuter auf ihre Berufsfunktionen beschränkt sind die Würdenträger Bürgermeister, Priester und Herold, aber auch die Verlängerung der Exekutive, der Bursche. Michel
Der Bürgermeister wird mit dem Vornamen Michel angesprochen, einem Namen, der im Mittelalter besonders beliebt war und durch Lautgleichheit im Alt- und Mittelhochdeutschen auch »groß« bedeutete. Er leitet sich her vom Erzengel Michael, der als Satansbezwinger im frühen Mittelalter in der christlichen Nachfolge des germanischen Gottes Wodan verehrt und zum Schutzpatron der Deutschen wurde, bis der Name Michel bald zum Spottnamen für den Deutschen mutierte. Siegfried Wagner, der diesen Spottnamen auch in seinem Chorwerk Wer liebt uns ? einsetzt, klassifiziert das skrupellose Stadtoberhaupt in Bruder Lustig somit als typischen Deutschen. |
| Konrad
Der Name Konrad ist im Mittelalter der beliebteste Name neben dem Kaisernamen Heinrich, was sich bis heute in der Redewendung »Hinz und Kunz«, d. h. »jedermann« widerspiegelt. |
| Heinrich
Leitet sich der Kaisername Heinrich von Heimrich, also »Herrscher im Heim« ab, so trägt diesen Namen in Bruder Lustig als ein absoluter Gegensatz der heimatlos auf der Flucht Befindliche. Über die Hintergründe zu dieser Namensgebung vergleiche den Artikel »Heinrich in Wahnfried«. |
| Otto
Der Kaisername Otto leitet sich vom alt-sächsischen od = »Gut, Besitz« her, er deutet hin auf Reichtum, verstärkt noch durch das Attribut von Macht und Ehre, »mit dem Bart«. |
| Moppel Der im Personenindex nicht genannte, weil stumme Heiratsvermittler trägt den Namen Moppel, der sich vom Moppeln, der Tätigkeit des Verknüpfens herleitet (»doppelt gemoppelt«). |
| Walburg
Spannender erscheint die Namensgebung des Komponisten für seine weiblichen Protagonisten: In einer Oper, in der Hexenkünste so eine entscheidende Rolle spielen, ist der Namen der weiblichen Hauptrolle, der Walburg, wohl nicht von ungefähr auch ein Namensbestandteil des höchsten Hexenfestes, der Walpurgisnacht, die vom 30. April auf 1. Mal gefeiert wird. (Die Nominierung dieser Nacht rührt her von der Beisetzung der Reliquien der heiligen Walburg in Eichstätt, am 1. Mai 871.) Der seit dem Alt-hochdeutschen gebräuchliche weibliche Vorname setzt sich zusammen aus Walten, gleich Herrschen, und Burg. In der Oper steht er für Walburgs eigenständiges Handeln, für ihr Single-Dasein, das in der Pflege von Haus und kranker Mutter begründet ist. |
| Rüle
Bei dem Namen ihrer Gegenspielerin Rüle hingegen scheint es sich um eine Eigenschöpfung Siegfried Wagners zu handeln, denn die Onomastik kennt nur den männlichen Namen Rul und seine Koseform Rulle, vermutlich zurückgehend auf den Namen Rudolf, im Hessischen existiert »Rühle« jedoch als Ortsname. Die Namensgebung scheint also auf Rüles männliche Komponente hinzuweisen. |
| Urme
Ganz und gar eigenständig ist der Name Urme, möglicherweise als Kurzform von Urmetze, Ur-Prostitutierte oder Mutter der Prostituierten, im Bezug auf die kupplerischen Tätigkeiten dieser Frau. |
| Haupt- und Staatsaktion
Im Mittelalter wurden Gastspiele fahrender Theatertruppen häufig als »Haupt- und Staatsaktion« angekündigt, einem Synonym für die Haupthandlung (»Staatsaktion«), im Gegensatz zu der ganz selbstverständlichen und beim Volke besonders, wenn nicht gar einzig beliebten Nebenaktion, der Harlekinade.
Der Individualhandlung der ersten beiden Akte von Siegfried Wagners im Mittelalter angesiedelter Oper Bruder Lustig folgt – für die psychologische Entwicklung der handelnden Personen der ersten beiden Akte unwichtig und beinahe überflüssig – die von politischen Aktionen erfüllte Handlung des dritten Aktes: In der Kontroverse zwischen kommunaler und stattlicher Obrigkeit obsiegt die staatliche Obrigkeit, allerdings – wie im Straßentheater des Mittelalters üblich – mit Hilfe von dem Hanswurst. In den Haupt- und Staatsaktionen hieß der, je nach Region, Kaspar oder Harlekin, Pickelhering oder Bruder Lustig. |
| Peter P. Pachl
Quelle: Programmheft Bruder Lustig, Theater Hagen 2000 (mit freundlicher Genehmigung des Autors)
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