Siegfried Wagner im Urteil von Zeitgenossen:
Es hat wenig Sinn und ist übrigens für die Ziele dieses Buches auch gar nicht von Belang, die ganze jämmerlich impotente Gefolgschaft Wagners hier zu verewigen, Sie hat sich selbst umgebracht durch ihr hochgeschraubtes Pathos, mit dem sie die »teutsche Götterwelt« endgültig erledigte, durch ihre technische Unfähigkeit und durch die Dummheit, mit der sie Wagners Riesenwerk für sich ausschlachten zu können glaubte. Von ihren in ödester »Wagnerei« versandeten Produktionen ist heute nichts mehr lebendig. Besonders tragisch ist der Fall Siegfried Wagners. Hier ist der Sohn am Ruhm des Vaters zugrunde gegangen, er ist, wie nur je ein echter Wagnerianer, dem Zauber des Bayreuther Meisters derart erlegen, daß es für ihn anscheinend keinen Ausweg mehr gibt. Als er seinerzeit (1898) mit seiner ersten Oper »Der Bärenhäuter« hervortrat, glaubte man, in ihm eine besondere Begabung für das Volkstümliche und Humoristische begrüßen zu können, wenn sich auch damals schon eine starke Abhängigkeit von den Werken seines Vaters zeigte, Was bei einem Erstlingswerk selbstverständlich erschien, erwies sich dann in der großen Zahl der folgenden Opern als immer verhängnisvoller. Anstatt sein hübsches, wenn auch bescheidenes Talent in den ihm gemäßen Bahnen zur Entwicklung kommen zu lassen, schraubte sich Siegfried künstlich zum verkrampften, tragischen Pathos herauf. Er, dessen Begabung, für eine volkstümliche Spieloper sicherlich ausreichen würde, mußte durchaus »Musikdramen« schreiben; er versuchte sich in einer Form, die er innerlich gar nicht ausfüllen konnte, die seinem Wesen völlig widersprach, und es blieb ihm nur der eine Ausweg, nämlich bei dem väterlichen Erbe umfangreiche Anleihen aufzunehmen. So bringt er sich um jeden selbständigen Gedanken. Alles, mag es nun Rezitativ, Ensemble oder Chor sein, geht unter in einer hohlen, unfruchtbaren Nachahmung Richard Wagners. Der Orchestersatz ist vollgestopft mit billigen Füllstimmen, die Erfindung humpelt mühsam von einem Takt zum anderen, und das Ergebnis ist natürlich eine zusammengeflickte, ungelüftete und muffige Musik, die an Stillosigkeit nicht überboten werden kann.
Walter Schrenk: Richard Strauss und die neue Musik, Berlin 1924, S. 24f