Siegfried Wagners Programm seiner Symphonischen Dichtung GLÜCK!
Fortuna, die holde Göttin, vernimmt aus der Tiefe das Sehnen der Menschheit
nach ihr. Dem Würdigsten Segen zu spenden gewillt, fliegt sie zur Erde hinab. »Was nennst
Du Glück?« ruft sie Einem zu. »Glück ist Macht und Gold, Ehrgeiz und Ruhm!«
Das Haupt schüttelnd, wendet sie sich ab und sucht weiter. In einem Stübchen behaglich
sitzend, zeigt sich ihr ein Philister. »Was nennst Du Glück?« fragt sie weiter.
Seine Antwort ist: »Wenn ich meine Ruhe habe, mich nicht ärgern und nicht freuen
brauche. Mein Pfeifchen genügt mir, und ein bischen Schadenfreude!« Verächtlich
lächelnd schließt Fortuna die Türe. Da fühlt sie sich am Leibe erfasst: in
taumelnder Liebeslust will ein Jüngling sie mit sich reissen. Nur mühevoll
entwindet sie sich dem bacchantischen Treiben, und drohend ruft sie den Übermütigen zu:
»Weh Euch Verwegenen! Meinen Segen habt ihr verscherzt!« – Noch findet sie Den
nicht, an den sie ihre Glücksgaben verteilen will. Denn was sie jetzt erschaut,
erfüllt sie mit Grauen: bleiche Mienen, wirre Augen, aus denen ein nicht
zu befriedigendes Sehnen nach Glück flackert: das weislich Verborgene wollen
sie erforschen, von Toten wollen sie Kunde erlangen, Zukünftiges zu erfahren.
Fortuna wendet sich scheu ab: »O armselige Menschheit, nennst Du das Glück?«
Schon will sie nach ihren lichten Höhen zurückkehren; da vernimmt sie einen frohen
Ruf. Streiter erblickt sie auf feurigen Rossen in die Weit reiten. Sie ruft:
»Ihr munteren Burschen! Wohin des Weges?« »Wir ziehen zum Kampf! Der Feind will
uns das Heiltum rauben! Das soll ihm nicht gelingen!« – »Heil Euch! Ihr seid die Rechten!«
jauchzt die Göttin. »Wer sich selbst vergessend für Ideale lebt und streitet,
dem wird mein Segen zuteil: Der Liebe wahres Glück!«
Orthographie und Umbruch des handschriftlichen Originals.