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Sonnenflammen als Fortsetzung von Sternengebot ?

Internationale Siegfried Wagner Gesellschaft e.V., Bayreuth

 

Gemeinsamkeiten zweier Opern

In Sternengebot (1906) zieht Helferich, ein Ritter aus dem Lahngau, zum Kampf, »nach Osten hin, gegen Heidentum«. Die Kreuzfahrt erscheint ihm angebracht als Sühne für den Tod an Herbert, der Helferich, den vermeintlichen Nebenbuhler, zum Duell gefordert hatte und dabei von ihm getötet wurde. Helferichs Geliebte Agnes erklärt am Schluß der Oper, dass sie überall und immer nur Helferich lieben, auf ihn warten werde. Die Vereinigung über Raum und Zeit hinweg fängt der Dichterkomponist mit dem Bild des Regenbogens ein:

    Grad' dort, wo es am düstersten starrt,
    Strahlen der Farben duftige Wogen!
    Himmelsbrücke, Liebesband!

Die Handlung von Sonnenflammen (1912) erscheint in manchen Punkten als das Ideenspiel einer negativen Fortsetzung. Zwar sind geschichtlich fast 300 Jahre verstrichen (Sternengebot spielt im zehnten, Sonnenflammen zu Beginn des 13. Jahrhunderts) und der Ritter auf Kreuzfahrt stammt diesmal aus Franken. Doch auch er war aufgebrochen, um eine »Schuld zu sühnen«, auch er hatte den Gatten einer (wirklichen) Geliebten im Duell getötet. Auch auf ihn wartet in der Heimat eine Frau (die in Sonnenflammen bereits sein Weib ist).

 


Symbolik

Die musikdramatischen Werke Siegfried Wagners mit Ausnahme der Märchenopern An Allem ist Hütchen Schuld ! und Das Flüchlein, das Jeder mitbekam – sind keinem Gattungsbegriff zugeordnet; die Bezeichnung Symbolistische Oper wird erstmals für die (konzertante) Aufführung des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden angewandt.

Der Sonnwendnacht, mit der die Oper Sternengebot beginnt, dem nächtlichen Gebot der Sterne, ist in Sonnenflammen der glühende, versengende Sonnenglanz der byzantinischen Welt gegenübergestellt. Hier ist der Regenbogen (griechisch: iris) mit dessen Gleichnis Sternengebot geendet hatte, zum Handlungskatalysator geworden, personifiziert in Iris, dem »sumpfentglühten Irrlicht«, der Tochter des Hofnarren Gomella. Onomantie ist auch bei den anderen handelnden Personen möglich: Fridolins Name ist herzuleiten von dem irischen Heiligen, der um 500 in den Vogesen missionierte. Fridolin vermag sein Missionierungs-Gelübde nicht zu erfüllen; er ist kein Draufgänger wie der Kreuzritter Gottfried, dessen Name in bewußtem Gegensatz zu seinem bigotten Handeln steht, das er offen mit »Raufen-Taufen-Saufen« umreißt. Alexios ist der historische Name mehrerer byzantinischer Kaiser. Irene und Eustachia heißen aus dem Griechischen übersetzt »Friede« und die »Ahrenreiche«. Die Kaiserin Irene vermag nicht Frieden zu stiften; vielmehr ist sie eine Frieden-Suchende wie Willfried (!) im Friedensengel (1914). Die Problematik des von Kirche, Gesetz und Gesellschaft verurteilten Selbstmordes, das Thema der Oper Der Friedensengel, wird bei Siegfried Wagner erstmals im zweiten Akt von Sonnenflammen diskutiert. Bereits hier kämpft der Komponist gegen die Engstirnigkeit der Gesellschaft und das Dogma der Kirche: Irene, die dem Kaiser ein schwachsinniges Kind geboren hat und obendrein seit dieser Geburt unfruchtbar ist, sieht keinen Sinn mehr in ihrem Leben. »Soll es nur Einer wagen, die Arme zu verdammen«; die Schuld für Irenes Freitod – mitsamt ihrem Kind – liegt bei anderen. In einem Inbild Fridolins im 3. Akt wird dem byzantinischen Reich mit seinen skurril-makabren Festivitäten das friedliche Frankenland gegenübergestellt. In der nostalgischen Vision von Heimat- und Jugend-Empfinden fehlen im Naturbild einzig die Vögel, da diese zu Siegfried Wagners Sexualsymbolen gehören (vgl. Agnes in Sternengebot I,1 und III,3) und folglich an dieser Stelle deplaziert wären. Folgerichtig finden sie jedoch Erwähnung im Zusammenhang mit der Sehnsucht von Fridolins Frau (Albrechts Erzählung in III):

    O könnt' ich einen Vogel zu ihm senden!
    Einen Boten mit den Wolken.


Duplicität

Die von Siegfried Wagner geforderte Besetzung des Bettlers und des Weissagers mit einunddemselben Bassisten folgt – neben der ökonomischen Erwägung über die qualltativ hohe Besetzung kleiner Rollen – seinem Prinzip der dramatischen Duplicität: vom Bettler werden der Kaiser und Fridolin im 1. Akt verflucht, vom Wahrsager erfahren im dritten Akt beide ihr nahendes Ende. Auch im zweiten Akt ist das Prinzip der Duplicität zu beobachten: Alexios überreicht Irene (die zu seiner Rechten sitzt) voller Spott eine abgeschnittene Locke Fridolins; Iris (zur Linken des Kaisers), die unbemerkt ebenfalls eine Locke aufgehoben hat, legt diese später (in III) dem Toten auf das Haupt.

Beim »Schmeichelstündchen« huldigt Gomella dem Kaiser mit dem Wunsch, Lamien und Erinnyen mögen ihn segnen. Auf dem anschließenden Fest nagen an Alexios Skrupel aufgrund des Todes der Kaiserin. Die bis dahin verdrängte Tatsache seiner Schuld an Irenes Tod kehrt traumatisch wieder: wie eine Lamia (ein weiblicher Vampyr), die den Kaiser mit sich in die Fluten des Vergessens ziehen will.


Sonnen-Flammen

In der Konzertfassung der Szene der Iris aus dem zweiten Akt heißt es:

    Doch er (Fridolin) –, des Gelübdes Mahnung hört er nicht.
    (…)
    Blind seines Willens ungestümen Trieben folgend,
    Entzündet von dieser Sonne Flammen, die ihn versengen will.

Iris meint damit die morgenländische Sonne als pars pro toto für Byzanz. Sie warnt Fridolin im ersten Akt der Oper:

    Die Sonne, die hier strahlt,
    ihr glühendes Sengen verträgst du nicht.
    Die Sonne hier sprühet Flammen rot,
    Lodernd entzündend sind sie dein Tod.

Als Sonne von Byzanz läßt sich Kaiser Alexios verehren. Er ist für Fridolin der vernichtende Nebenbuhler um die Huld der von beiden bedrängten Iris. Doch Alexios selbst fürchtet die »blutfingrig grinsende Eos«; der Morgenröte gibt er böse Vorbedeutung, als er vom Tod seiner Frau erfährt – an einem Tag, der seinen eigenen Untergang bringen wird.

Fridolin erkennt, dass ihn von seiner Heimat »ein Glühen getrennt. Wie der Falter hin zur Flamme fliegt, so trieb's mich hin zur fremden Sonne.«

Am Ende des ersten Aktes glaubt Iris aus dem Dunkel des Gebüsches Fridolins Augen auf sich gerichtet zu sehen. Die Siegfried-Wagner-Literatur ist sich uneins, ob es sich hierbei wirklich um Fridolins oder um Eustachias Augen handelt. Unabhängig von der Inszenierungs-Lösung dieser Szene sind die Augen aus dem Gebüsch primär ein Inbild der Angst und der Ungewißheit. Die Augen von Iris erscheinen am Ende der Oper als Sinnbild des Titels. Sterbend bekennt Fridolin, auf Iris' Augen deutend:

    D i e  Sonne – ihre Flammen –
    sie haben mich versengt.

 
Biographisches

Sternengebot wurde bei der konzertanten Wiesbadener Erstaufführung 1977 als »verstecktes Künstlerdrama« rezipiert. Auch Sonnenflammen entbehrt nicht biographischer Züge. Der Wagner-Biograph Carl Friedrich Glasenapp führt das Rosenöl, das in Sonnenflammen eine wichtige Funktion hat, zurück auf Richard Wagners Vorliebe für »zarte Wohlgerüche und insbesondere für diesen Duft (…), der mit seiner sanften Ausströmung jede seiner Niederlassungen, ob daheim in Bayreuth, in Neapel, Palermo oder Venedig durchdrang.«

Das »verdammte Rosenöl« hat der Hofnarr Gomella beim Diebstahl versehentlich umgestoßen, der Geruch hat ihn verraten und ist nun – seiner Meinung nach Schuld an all den Verwicklungen. Neben der umgekehrten Vorliebe, dem Haß auf das Rosenöl, scheinen einige Wesenszüge Richard Wagners in die Figur Gomella, den geschickten Rhetoriker und Schauspieler (– man denke an das Wort Nietzsches über Wagner als Schauspieler !) eingeflossen zu sein, der den byzantinischen Weltuntergang überlebt und dessen »Geist der Welt erhalten bleibt«. In dem erwähnten »Schmeichelstündchen« für den Monarchen lobt er den Herrscher mit dem Stabreim:

    Aller Wurmstichigen Wonne,
    Aller List-, Lust-, und Laster-Lüsternen lockende Leuchte.

Siegfried Wagners achte Oper trägt, anders als die ersten sechs Werke, keine Widmung. Und doch huldigt hier der Komponist einem Freund, der – ungenannt – als Ideal eines Helden von Iris besungen wird und Siegfried Wagners Maxime erfüllt: »Wer sich selbst vergessend für Ideale lebt und streitet, dem wird mein Segen zuteil: Der Liebe wahres Glück!« (Fortuna in der symphonischen Dichtung Glück). Es ist der englische Komponist Clement Harris, der 1897 als Freiheitskämpfer für Griechenland ein eigenes Heer angeworben hatte und bei Pente Pigadia im Kampf gegen die Türken fiel. Harris hatte Siegfried Wagner 1892 auf einer Weltreise darin bestärkt, »der Architektur Valet zu sagen und mich ganz der Musik zu widmen.« Der Tote wurde in seinem idealistischen Handeln mit Lord Byron verglichen und diverse Künstler ehrten sein Andenken. Stefan George widmete Harris das Gedicht Pente Pigadia in »Der siebente Ring«.


Symbolik in der Musik

Mit dem früheren Schaffen Siegfried Wagners ist Sonnenflammen durch Motive verknüpft, die in der abwechslungsreichen Handlung Erwähnung finden. So wird unter anderem die Hölle aus dem Bärenhäuter, das Herrschermotiv aus Herzog Wildfang, das Draufgängertum des Banadietrich und – wie bereits in Sternengebot – das Motiv übersinnlicher Kräfte aus der Andreasnacht des Bruder Lustig zitiert.

Symbolismus auch in der Musik: Die gleichsam duftende Chiffrierung des Rosenöls, ein zweitaktiges Motiv, durchzieht mit dem Narren Gomella das Werk. Wie später Rainulf und Adelasia (1922) und Die heilige Linde (1927) bietet das Sujet von Sonnenflammen dem Komponisten die Möglichkeit, scharfe Gegensätze zwischen Heimat (Franken sowie Kreuzrittertum) und südländischen Gebräuchen musikalisch zu schildern und dabei eine Verbindung von nachromantischen und impressionistischen Klängen zu schaffen. Drei Takte vor dem Schlußakkord (in B-Ddur) erklingt noch einmal das Motiv der Kreuzfahrer: es bedeutet weder eine Lösung noch musikalisch gesehen den Sieg der Diatonik: Die Kreuzfahrer bringen neue Gewalt und Zerstörung. Sie sind keine echte Alternative zur hohlen Pracht des byzantimschen Reiches. Das Ende von Sonnenflammen ist tragisch – ohne Hoffnung oder Erlösung.


Sinnlosigkeit

Alexios' sinnlose Sorge um einen Thronfolger, das sinnlose Bemühen, seinen Thron gegen Angriffe von innen und außen zu festigen, die Sinnlosigkeit der Kriege (Kreuzzüge), die Morbidezza, die Feste, bei denen man sich auf Kosten anderer amüsiert, insbesondere aber die Destruktion und Dekadenz, die Angst vor dem Weltuntergang, liegen in der Entstehungszeit des Werkes begründet.

Iris' Liebe zu einem Traumbild, die sich erst verwirklichen kann, wenn der Mann, auf den diese Traumliebe projiziert wird, tot ist, erscheint als Vorwegnahme der Malerin Carlotta in der populären (1913 bis 1915 entstandenen) Oper »Die Gezeichneten« von Franz Schreker.

Sucht man – neben kleineren Aussagen, wie dem Recht über das eigene Leben – nach einer Grundaussage der Sonnenflammen, so ist es wohl die Erkenntnis, dass ein Übel nicht durch ein anderes beseitigt werden kann – denn die bloße Ablösung bedeutet keine Lösung.


Peter P. Pachl


Quelle: Programmheft
Sonnenflammen, Wiesbaden 1979 (mit freundlicher Genehmigung des Autors)
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