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Zur Neuausgabe von Siegfried Wagners Erinnerungen

Um politische Korrektheit bemüht ist die im Europäischen Verlag der Wissenschaften Peter Lang rechtzeitig zum 75. Todestag Siegfried Wagners erschienene Neuausgabe seiner Erinnerungen. Herausgeber Bernd Zegowitz, der über »Richard Wagners unvertonte Opern« promoviert hat, stellt diese Neuausgabe in die Reihe der »autobiographischen Zeugnisse der Eltern (Richard und Cosima), der Kinder (Friedelind und Wolfgang), der Enkelkinder (Gottfried und Nike) Siegfrieds«, womit der Herausgeber »die Familiengeschichte der Wagners aus erster Hand lückenlos dokumentiert« glaubt.
 

Siegfried Wagner: Erinnerungen

 

Im Gegensatz zu der im Jahre 1943 von der Witwe Siegfried Wagners veranlassten, retuschierten Neuauflage folgt der neue Textabdruck der Erstausgabe, die 1923 im Verlag J. Engelhorns Nachfolger in Stuttgart erschienen ist.  Im knapp 30-seitigen Nachwort geht der Herausgeber zunächst der Frage nach, wieso Siegfried Wagner in einem Brief Franz Stassen mitgeteilt hat, »ein amerikanischer Verlag« habe ihn aufgefordert, seine Erinnerungen zu verfassen, während sowohl Winifred Wagner in der Zweitauflage, als auch der Verleger Dr. Adolf Spemann in seinen Memoiren berichten, Spemann habe »Siegfried Wagner gebeten, sein Leben für ihn aufzuzeichnen« – aber der Herausgeber findet keine schlüssige Erklärung für diesen Widerspruch.
 
Zegowitz’ Vergleich des »Reisetagebuchs« der Ostasienreise aus dem Jahre 1892 und der partiellen Veröffentlichung dieses Tagebuchs in den Erinnerungen fällt nicht ganz so tiefschürfend und erhellend aus wie die Arbeit Dorothea Renckhoffs, die als Fußnote Erwähnung findet, wie auch Ion Zottos’ Arbeit über Clement Harris. Beides sind Beiträge, die im »Siegfried Wagner-Kompendium 1«, dem Kongressbericht des ersten internationalen wissenschaftlichen Symposions zu Siegfried Wagner, 2001 in Köln, beim Centaurus Verlag erschienen sind.
 
Seine Opern erwähnt Siegfried Wagner in seinen Erinnerungen bekanntlich kaum – wohl weil diese seine eigentlichen Tagebücher und Memoiren sind. Der Herausgeber hat sich mit den Bühnenwerken Siegfried Wagners weder in Text noch in Musik auseinandergesetzt, was zu Fehlurteilen führen muss, wie etwa der Klassifizierung als »volkstümlich-humoristische Opern«, und dies auch noch mit Bezug auf Bruder Lustig (S. 100). Einfachheitshalber verschanzt sich Zegowitz hinter Jens Malte Fischers Fehlwertung einer »freundliche(n) Bühnengebrauchsmusik«. 
 
Richtig erkennt Zegowitz, dass die Auswahl der Personen, die in den Erinnerungen Erwähnung findet, »fast ausschließlich im Hinblick auf die Adressaten« erfolgt ist. Er betont, dass  Siegfried Wagner ein harmonisiertes Familienbild seiner Eltern gemalt hat, lässt aber unerwähnt, dass Siegfried durch die Erwähnung eines von Cosima am Sterbetag Richard Wagners zertrümmerten Türflügels und ihres Klavierspiels von Schuberts »Lob der Tränen« als Erster wichtige Indizien zu jenem Ehestreit geliefert hat, der heute als Auslöser der tödlichen Herzattacke Richard Wagners gilt. Zegowitz behauptet, Brigitte Hamann habe in ihrem Buch »Winifred Wagner oder Hitlers Bayreuth« die »Gerüchte um einen unehelichen Sohn Siegfrieds, den er mit einer Bayreuther Pfarrersgattin gezeugt haben und der als Korrepetitor und musikalischer Assistent im Team der Festspiele untergebracht worden sein sollte, (…) widerlegen können.« Liest man jedoch bei Hamann nach, so beruft sich die Autorin in einer Fußnote auf eine Nichte Walter Aigns, die der Vaterschaft Siegfried Wagners widersprochen hat. Offenbar ist dieser Nachgeborenen der Fehltritt ihrer weiblichen Vorfahrin noch heute ein Dorn im Auge, weshalb sie von der Autorin – wohl um den Preis der Einsichtnahme in Dokumente zur Spruchkammer bei der Entnazifizierung Winifred Wagners (für die ursprünglich ebenfalls ein Mitglied der Familie Aign zuständig war) – die Negation der Abkommenschaft Aigns von Siegfried Wagner erwirkt hat. Jedoch sucht der Leser bei Brigitte Hamann vergeblich nach irgendeinem Nachweis oder einem Gegenargument; von einem »Widerlegen«, wie Zegowitz meint, kann also keine Rede sein.
 
Im Dritten Reich, wo Siegfried Wagners Opernstoffe auf besondere Schwierigkeiten stießen, unternahm der Maler und Bühnenbildner Franz Stassen den Versuch, dem Komponisten Akzeptanz zu schaffen, indem er seinem Intimfreund eine anfängliche Begeisterung für Hitlers Bewegung attestierte. Hiermit hat er Siegfried Wagner einen Bärendienst erwiesen, denn diese Behauptung änderte die Meinung der NS-Machthaber über Siegfried Wagners Opern in keiner Weise; aber Stassens opportunistische Behauptung wurde von späteren Generationen gern herangezogen um Siegfried Wagner pauschalierend der frühen Nazigemeinde zuzuordnen – während Siegfried Wagners Briefe aus der zweiten Hälfte der Zwanzigerjahre und insbesondere seine späten Opern mehr als deutlich das Gegenteil beweisen. Zegowitz zieht Stassens Aussage allerdings pauschalierend für Siegfried Wagners politische Haltung heran. Kein Wort erfolgt hingegen über die Retusche Winifred Wagners in der Neuauflage der Erinnerungen, bei gleichzeitiger Irreführung des Lesers im Vorwort, es handele sich bei der Edition des Jahres 1943 um »eine neue, unveränderte Auflage«.
 
Wie schon die Ausgabe des Jahres 1943, so enthält auch die Neuedition des Verlags Peter Lang ein Personenregister. Ihr Layout ist ansprechend, und der Umschlag assoziiert farblich sogar die in gelbes Leinen gebundene Erstausgabe.
 
Gleichwohl wäre es im Jahr des 75. Todestages von Siegfried Wagner angebracht gewesen, die bei der Erstausgabe unterdrückten Textpassagen – etwa über Siegfried Wagners Stellung zum Pazifismus – in eine Neuausgabe als Anhang aufzunehmen. Überhaupt scheint eine Edition der Schriften und Dichtungen Siegfried Wagners hoch an der Zeit. Eine Synopse der als Dichtungen veröffentlichten Libretti und des tatsächlich komponierten Wortlauts der Opernpartituren ist seit einigen Jahren bei der Internationalen Siegfried Wagner Gesellschaft in Arbeit. Zu ergänzen wäre die geplante Publikation dringend durch eine Edition der Schriften des Festspielleiters und Komponisten, darunter auch einige Aufsätze, die bis heute unveröffentlicht im Bayreuther Nationalarchiv schlummern.


Peter P. Pachl
 


 

Siegfried Wagner: Erinnerungen. Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Bernd Zegowitz. Peter Lang, Europäischer Verlag der Wissenschaften, Frankfurt / Main 2005. ISBN 3-631-53848-0, 127 S., € 16.80

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