Lebensstationen Wie schon die beiden älteren Schwestern Isolde und Eva wird auch Siegfried Wagner – das dritte gemeinsame Kind von Cosima von Bülow, geb. Liszt, und Richard Wagner – am 6. Juni 1869 in Tribschen bei Luzern außerehelich geboren; ein paar Tage später, am 15. Juni, bittet Siegfrieds Mutter ihren rechtmäßigen Ehegatten Hans von Bülow um Scheidung, damit sie im darauf folgenden Jahr, am 25. August 1870, Wagner heiraten kann. Erst danach wird der Sohn auf den Namen Siegfried Helferich Richard getauft.
1874 zieht die Familie, zu der auch die beiden Bülow-Töchter – Siegfrieds Halbschwestern – Daniela und Blandine gehören, in Haus Wahnfried in Bayreuth ein. Nach dem Tod Richard Wagners am 13. Februar 1883 führt Cosima – wie vorgesehen – die (nach 1876 und 1882) dritten Bayreuther Festspiele durch. 1884 leidet Siegfried Wagner an einer mysteriösen Krankheit, die ihn für längere Zeit vom Schulbesuch abhält; seine Neigung zur Architektur spiegelt sich schon früh in zahlreichen Skizzen, die er während der wiederholten Italienreisen der Familie anfertigt.
Im Juni 1886 stirbt zunächst König Ludwig II., Siegfrieds Taufpate, unter ungeklärten Umständen im Starnberger See, und während der Festspiele am 31. Juli auch Siegfrieds Großvater Franz Liszt; für dessen Grabstätte auf dem Bayreuther Stadtfriedhof entwirft er eine Kapelle im Stil der italienischen Frührenaissance, die aber nicht realisiert wird. 1889 besteht Siegfried die Abiturprüfungen am Bayreuther Gymnasium und beginnt seine musikalische Ausbildung bei Engelbert Humperdinck. In Frankfurt verliebt er sich in Clement Harris, der am Hochschen Konservatorium studiert; und unternimmt mit ihm 1892 eine sechsmonatige Ostasienreise, während der er ein ausführliches Tagebuch führt, Zeichnungen und Aquarelle anfertigt – die Winifred Wagner posthum 1937 als Privatdruck veröffentlicht – und den Entschluss fasst, Musiker zu werden.
Mit Ausschnitten u. a. aus »Der Freischütz« und »Rienzi« gibt Siegfried Wagner 1893 sein Dirigentendebut im Bayreuther Markgräflichen Opernhaus und setzt seine Studien bei Julius Kniese fort. Im darauf folgenden Jahr beendet er die Symphonische Dichtung Sehnsucht nach Friedrich Schiller, in der bereits viele Motive enthalten sind, die er in späteren Opern wiederverwendet; das Werk wird unter seiner Leitung an seinem 26. Geburtstag (6. Juni 1895) in der Londoner Queens Hall uraufgeführt. Im Rahmen der Festspiele 1896 leitet Siegfried die Hauptprobe und den 4. Zyklus des »Ring des Nibelungen«, der erstmals seit 1876 wieder in Bayreuth aufgeführt wird; auch an der Inszenierung arbeitet er mit. 1899 wird seine erste Oper, Der Bärenhäuter, am Königlichen Hof- und Nationaltheater München uraufgeführt. Das Werk wird alsbald von vielen weiteren Bühnen im In- und Ausland übernommen und avanciert mit mehr als 177 Aufführungen an ca. 35 Theatern in den Jahren 1899/1900 zur meistgespielten Oper überhaupt. Der am 9. Juni 1901 von Marie Aign, der Frau des Bayreuther Pfarrers Karl Wilhelm Aign, geborene Sohn Walter bezeichnet sich später als außereheliches Kind Siegfried Wagners und arbeitet u. a. bei den Festspielen mit.
1903 begibt sich Siegfried Wagner häufig auf Reisen und schließt in Florenz die Komposition von Der Kobold ab. Cosima Wagner erleidet Ende des Jahres einen leichten Schlaganfall und zieht sich daraufhin von der Leitung der Festspiele zurück, die Siegfried ab 1908 alleinverantwortlich übernimmt; seitdem tritt er besonders als Regisseur der Bayreuther Festspiele hervor, der zahlreiche Neuerungen einführt und sich weder neuen Stilelementen noch modernen Regiekonzepten und -einflüssen verschließt.
Anlässlich des 100. Geburtstags seines Vaters wird Siegfried Wagner am 22. Mai 1913 Ehrenbürger von Bayreuth. In dem 1914 von Siegfrieds Schwester Isolde Anerkennung als leibliche Tochter Richard Wagners sagt Cosima zu ihren Ungunsten aus. Als vier Wochen später der 1. Weltkrieg beginnt, die Festspiele abgebrochen und die Eintrittskarten erstattet werden müssen, kommt es zu einem Defizit von rund 400.000 Mark. Am 22. September 1915 werden im Saal von Wahnfried Siegfried Wagner und die 28 Jahre jüngere Winifred Marjorie Williams getraut. In ebenso schneller Folge, wie Siegfried Wagner seine Opern komponiert, kommen nun die vier Kinder des Paares zur Welt: Wieland (1917), Friedelind (1918), Wolfgang (1919) und Verena (1920). Auf Veranlassung eines amerikanischen Verlages publiziert Siegfried Wagner 1923 seine Erinnerungen; am 1. Oktober desselben Jahres kommt erstmals Adolf Hitler zu Besuch, dem Siegfried Wagner zunächst wohlwollend, bald darauf ablehnend gegenübersteht.
Anfang 1924 begibt er sich mit Winifred auf eine Konzertreise durch die USA, um Geld für die Bayreuther Festspiele zu sammeln; obwohl nur ca. 8000 Dollar zusammenkommen, werden die Festspiele nach 10jähriger Unterbrechung am 22. Juli mit der überarbeiteten »Meistersinger«-Inszenierung von 1911 eröffnet. Als das Publikum sich nach der Schlussansprache des Hans Sachs erhebt, um das Deutschlandlied zu singen, ist Siegfried Wagner entsetzt und untersagt im nächsten Festspieljahr derartige Darbietungen.
1926 finden in Weimar eine Deutsche Festspielwoche und Siegfried-Wagner-Festpielwoche mit Aufführungen seiner Werke statt. 1927 erscheint der erste Band der Memoiren seiner Großmutter Marie dAgoult, für den er das Vorwort beisteuert. Von seiner 16. Oper, Wahnopfer, in der er noch einmal das Thema des getöteten Kindes aufgreift, beendet er nur die Dichtung vollständig, die Partitur zur Hälfte. 1929, zu seinem 60. Geburtstag, erhält er von Freunden Bayreuths eine Spende von über 100.000 Reichsmark für seine geplante Neuinszenierung des »Tannhäuser« im nächsten Jahr, für den er – gegen zahlreiche Widerstände – mit Arturo Toscanini erstmals einen Ausländer nach Bayreuth verpflichtet.
1930 reist Siegfried Wagner im Februar mit Winifred zu einem Großen Konzert vor 4500 Zuhörern nach Bristol und gibt anschließend ein weiteres in Bournemouth; in Mailand übernimmt Siegfried Wagner Regie und Dirigat des »Ring des Nibelungen«. Während ihrer Abwesenheit stirbt Cosima Wagner am 1. April; nach den Trauerfeierlichkeiten bricht Siegfried Wagner erneut zu weiteren Konzertreisen auf. Am 15. Juni beginnen die Festspielproben; zwei Tage später, in der Probe zum 2. Aufzug von »Götterdämmerung«, erleidet Siegfried Wagner einen Herzinfarkt und wird ins Krankenhaus gebracht. Am 4. August 1930 stirbt Siegfried Wagner. Er wird zwei Tage später unter großer Anteilnahme der Bevölkerung auf dem Bayreuther Stadtfriedhof beigesetzt. Achim Bahr
Quelle: Programmheft zur Aufführung der kobold am Stadttheater Fürth 2005 (mit freundlicher Genehmigung des Autors)
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