Siegfried Wagners ›Bärenhäuter‹: wieder akuell?

Von | 08.11.2025

Zur Rezeption:

ln der Spielzeit 1899/1900 war Siegfried Wagners DER BÄRENHÄUTER im deutschen Sprachraum das meistgespielte Werk des Musiktheaters, das zugleich auch die Aufführungsziffern der Opern Mozarts, Verdis und Richard Wagners überrundete.

Wie war ein solch großer Erfolg dieser Oper möglich?

War es nur die Tatsache, dass der Sohn Wagners und Enkel Franz Liszts, dem Vorschlag des Vaters folgend, ein Werk aus dem deutschen Märchenschatz zur Volksoper gestaltet hat?

Oder traf dieses Werk nicht vielmehr auch inhaltlich den Nerv eines Publikums an der Schwelle zu einem neuen Jahrhundert?

DER BÄRENHÄUTER entwickelte sich zu Siegfried Wagners Dauerbrenner, an dessen Popularität die nachfolgenden Opern dieses Komponisten kaum heranreichten.

Große Dirigenten von Gustav Mahler bis Heinz Tietjen und Sängerpersönlichkeiten von Gunnar Graarud bis Peter Anders interpretierten das Werk. Still wurde es um diese Oper auf den Bühnen erst seit 1953, denn Theater, die den Bärenhäuter spielen wollten, erhielten von der Witwe des Komponisten keine  Aufführungsgenehmigung. Einzig die Ouvertüre kündete im Konzert, im Rundfunk und auf Schallplatte weiterhin von dem einstmals so überaus populären Bühnenwerk.

Zum Werk:

Das Sujet der Oper basiert einerseits auf den Grimmschen Märchen »Des Teufels rußiger Bruder« und »Der Bärenhäuter« und andererseits auf einem zeitlich und lokal fixierten Abschnitt des Dreißigjährigen Krieges, nämlich in den Bayreuther Landen, in den 39er Jahren des 17. Jahrhunderts. Der Soldat Hans Kraft, vom Krieg in seine Heimat zurückgekehrt, wird zum Heimatlosen: Haus und Hof in fremdem Besitz, die Mutter längst verstorben, von den Dorfbewohnern unerkannt und unerwünscht. Hans erfährt sein existentielles Da-Sein als Fremd-Sein und sein gesellschaftliches ln-der-Welt-Sein als Ausgestoßen-Sein. Der Krieg tobt in Hans weiter: zwischen wehmütiger Erinnerung an die heile Welt der Vor-Zeit (»Mutter, gute Mutter, so seh’ ich dich nie mehr!«) und hilflosem Berserkertum gegen die Jetzt-Zeit. Hoffnungslosigkeit und Angst sind Ausdruck der drängenden – verdrängten Frage nach seiner Zukunft, seiner Existenz: »Keilerei und Bauferei, ist die glücklich vorbei, Freundchen, sag! was fängst du an?« Kein anderer als der Teufel des Märchens formuliert diese Frage für den Hans im Pech, der sich danach sehnt, ein Hans im Glück zu sein: »lch dacht’ halt, mir soll’s geh’n wie’s in Märchen oft gescheh’n.«

Und so geschieht’s: Hans schließt den Teufelspakt und lässt sich auf das Fragen in einer ihm sinnlos erscheinenden Welt ein. Es sind dies die Fragen menschlicher Existenz in der schlicht polaren Begrifflichkeit des Märchens nach Gut und Böse, Schuld und Unschuld, Glück und Unglück, Macht und Ohnmacht. Unmerklich gleitet die Handlung von der historisch-gesellschaftlichen hinüber in die märchenhaft-symbolische Ebene, ohne jedoch die reale Handlungsebene ganz zu verlieren. Die Geschichte des Hans, seine Reise ins Innere, auf der er sein existentielles Außenseitertum manifestiert als Bärenhäuter erfährt, wird erzählt, als ob die Geschehnisse sich wirklich so zugetragen hätten. Jedoch ist und bleibt es die phantastisch-märchenhafte Geschichte des Bärenhäuters, eines teuflisch verunstalteten Wesens, das so lange ungewaschen durch die Welt ziehen muss, bis er durch die Liebe eines Mädchens, das ihm drei Jahre lang die Treue hält, von seiner »Verzauberung« erlöst wird; alle innerhalb dieser phantastischen Geschichte stattfindenden Ereignisse sind Symbole für die innere Erfahrung des Hans.

Wagners Oper vom bloß märchenhaften Erzählen. Die Komplexität der symbolischen Sprache exponiert das Märchen im Sinne eines Kunstmärchens dergestalt, dass manifestes (d. i. die Märchenmotivik) und latentes (d. i. die Deutung und Bedeutung der Motive) Geschehen ineinanderfließen. Darüber hinaus aber bleibt als entscheidendes Gestaltungsprinzip festzuhalten, dass die Ebene der symbolischen Handlung in Beziehung gesetzt wird zur historischen Ebene im Handlungsgeschehen, diese eben keine äußerliche Zutat – sogenanntes Kolorit – zur eigentlichen Märchenhandlung darstellt, sondern die Historie verleiht dem Märchen zusätzlichen Bedeutungsgehalt. Die kausale Abfolge der historischen Ereignisse ist bezogen auf die äußeren Ereignisse der manifesten Märchenerzählung. Dieses Beziehungsgeflecht der historischen und symbolischen Ereignisse steht stellvertretend für Geschehnisse, die aufgrund ihrer Assoziationen mit inneren Erlebnissen der handelnden Personen zusammenhängen.

Dem literarischen entspricht das musikalische Gestaltungsprinzip: Die Musik erscheint in ihrem thematischen Einfallsreichtum spätromantisch farbig, bisweilen gar illustrativ, als gelte es, einen Stummfilm zu untermalen. Gleichzeitig aber entfaltet sich im Orchestersatz ein Motivgefüge in rhythmischer und instrumentaler Variation, das neben dem ohrenfälligen romantisierenden Orchesterklang eine zweite Ebene musikalischen Geschehens konstituiert, die assoziativ mit der Erlebniswelt der handelnden Personen korrespondiert. lm Abglanz spätromantischer Bild- und Klangwelt, teils nachahmend, teils zitierend, scheint die episch-musikalische Erzählweise auf, die lnwendiges mit Außerem assoziativ verbindet.

Zur Inszenierung:

Im BÄRENHÄUTER steht der Dreißigjährige Krieg nicht nur als Metapher für das Schreckbild aller Kriege, sondern zugleich als Metapher für eine Generation, die nichts anderes kennengelernt hat und nun mit der Wendung zum Frieden nicht umzugehen weiß, die in alte Verhaltensmuster zurückfällt, oder einen einstmaligen gesellschaftlichen Zustand sich herbeiwünscht, weil man den Problemen der Gegenwart nicht Herr wird.

Die Gesellschaft, verängstigt und gebrandmarkt von zurückliegenden blutigen Ereignissen, von sanktionierter Ungerechtigkeit, von sinnloser Zerstörung und
grauenhafter Vernichtung, steht dem Frieden wie einem unbekannten Gespenst gegenüber. Hoffnung schlägt um in Angst, Angst führt zu neuer Hoffnung, und so fort. Das Schlachtfeld des Krieges verlagert sich in die Köpfe der Menschen. Der Hass gegen den Kriegsfeind wandelt sich in Hass gegen das Fremde im eigenen Land.

Was passiert mit Menschen, die nur Krieg kennengelernt haben? Wie wird man altes Denken los? Wie löst eine Generation, die nur die Situation des Krieges kennt, die Aufgabe, hinfort im Frieden zusammenleben zu müssen?

Die Abrüstung in Ost und West hat – wie in der Oper – beim Militär eine hohe Arbeitslosenquote zur Folge. Wie verhält sich eine auf Konfrontation ausgerichtete Militärmaschinerie in Friedenszeiten?

Unchristliches Verhalten der sich christlich dünkenden Gesellschaft dem Andersartigen oder vermeintlichen Ausländer gegenüber (»Pollack«, aus »Ungarland«, »Schacherjud«, »Heide«) hat bis zum heutigen Tag nichts an Aktualität eingebüßt.

Eines der Zentren dieser Oper ist die Hölle / der Höllenkessel.

Dass die Hölle in erster Linie ein Zustand ist, das weiß auch schon der Komponist, der – nach der musikalisch gewaltigen Höllenfahrt mit Wind und Donner – als Begieangabe vermerkt: »Hans steht an derselben Stelle«. Dennoch soll es auch auf unserer Bühne eine Veränderung geben, welche von dann ab den ganzen Abend präsent ist, die Welt der Verführung als Traumfabrik, eine Welt des schönen Scheins. (Diese Welt wurde im Osten lange mit der Welt des Konsums, des Kapitals, mit dem goldenen Westen gleichgesetzt.) Dass diese Welt doppelbödig ist, das zeigt sich darin, wen sie alles beherbergt, und welche Spukgestalten aus dem ,Teufels‘-Sack neben Gold und Geld auftauchen können.

Wie verwandt sich die Agenten beider Seiten – »Teufel« und »Fremder« (alias Peter Schließer) – sind, offenbart nicht nur deren gleiche Stimmlage, sondern auch die Unlauterkeit ihrer Wettbewerbsmittel. Der »Teufel« kann sich immerhin noch auf die Erfüllung des Vertrages mit Hans Kraft berufen, auch wenn ihm die Legitimation für die Berechtigung zur Exekutive der Vertragsstrafe abzugehen scheint; der »Fremde« erweist sich zweifellos als Falschspieler. Und ob es wirklich eine gute Tat ist, dass er den endlich aus der Abhängigkeit des »Teufels«-Bündnisses befreiten Hans wieder in den Krieg schickt, ist äußerst fraglich.

Allerdings wird Hans durch seinen Sieg zum Helden stilisiert; und Ehre tut ihm not, da sein Sack, den er als »Bärenhäuter« stets mit Beichtümern angefüllt  hatte, nun leer ist.

Hans Kraft geniert sich nicht, seine Schwäche einzugestehen. Aber trotz seiner Tränen verliert er nicht den Männlichkeitswahn (Teufel: »Hans ein Mann, Kraft der Soldat!«). So wird er am Ende zwangsläufig wieder zum Militaristen, zum Untergebenen von Oberst Muffel und Vorgesetzten von Kaspar Wild.

Die Konstellation Luise und ihre Schwestern Lene und Gunda folgt nicht dem Archetyp von Aschenputtel und seinen bösen Schwestern: der junge Trotzkopf Luise wird infolge ihres beherzten Eintretens für den Andersartigen von der Gesellschaft zur Außenseiterin gestempelt. Ein Sonderling, der ständig von Engeln spricht, wird von den anderen für verrückt gehalten.

Nachdem die Menschen mehrfach ihre Würde verloren haben und jeder auf seine Weise durch die Hölle gegangen ist, feiern sie Hans als den neuen Helden und die Verrrückte als seine Braut: ein deftiges Happy-End im Gewande eines üppig ausstaffierten Hochzeitsstaates.

Rupert Lummer, Peter P. Pachl
Quelle: Programmheft DER BÄRENHÄUTER, Theater Rudolstadt 1992