»lch fühle mich hier so glücklich, mir fehlt nur Eins noch: ein ›heiteres‹ Weibchen! – Ja, ja! Such ich, so find ich’s nicht. Das muss kommen, ohne dass man’s ahnt, so wie die Melodie im Innern einem plötzlich erscheint, aus Nebeln tretend die Gestalt.«
Das ist in der Tat das Bekenntnis von einem, der auszog, ein Mädchen zu finden – weil er noch nie eines hatte, und weil man in der Familie bisweilen über diesen Punkt spöttelt. Die Wunsch-Projektion, beides zu haben, den Freund und das Mädchen, ist die Handlung der Oper, hinter deren Titelgestalt sich der Komponist selbst verbirgt. Hans Kraft heißt diese Gestalt, und dieser Name beinhaltet sowohl die Siegfried Wagner abverlangte Männlichkeit (Kraft), als auch das seitens der Bayreuther Kreise von ihm geforderte Deutschtum (Hans). Er ist Soldat, was Siegfried Wagner aufgrund der Ängste seiner Mutter nicht werden durfte, er ist zu Hause »in den Bayreuther Landen«. Als Hans Kraft aus dem Dreißigjährigen Krieg heimkehrt, ist seine Mutter gestorben, und sogar das Grab ist nicht mehr aufzufinden.
Diese Exposition der Handlung, wie auch der Name des Soldaten, kommen in den Vorlagen, Grimms Märchen »Des Teufels rußiger Bruder« und »Der Bärenhäuter«, nicht vor. Siegfried Wagner hebt die starke, aber äußerst problembelastete Mutterbindung in seinem Werk kurzerhand durch den Tod der Mutter auf. Hans Kraft begibt sich in die Dienste des Teufels und hütet dessen Kessel, in denen die Seelen schmoren.
Auch der Fremde, der mit Hans um die Seelen würfelt und im Spiel alle Seelen gewinnt, kommt bei Grimm nicht vor. Er ist aus Wilhelm Hertz’ »Spielmannsbuch«, der Sage »Sankt Peter und der Spielmann«, adaptiert. Bevor er Hans verlässt, verspricht der Fremde: »Fern von dir, deiner gedenkend, Wohnt ein Freund!« Der Teufel kommt zurück, »findet das Schreckliche bestätigt« und bestraft Hans damit, auf ewig »bedeckt mit Schmutz und Kot« durch die Welt ziehen zu müssen – »wenn nicht eines dir erblüht: Dass ein Mädchen dir erglüht!« Das jedoch hält Hans – alias Helferich, alias Siegfried Wagner – vorerst für unmöglich:
Bist du toll? Meinst du, das tät’ ich?
Ha! Fällt mir ein!
Aus dem Unfug wird nichts!
Da Hans zuvor einen Vertrag mit dem Teufel geschlossen hatte, muß er sich nun fügen und sagt »schmerzlich«:
Ach, wie fänd’ ich wohl je
die Maid, die so mich liebt,
dass durch widerlich ekle Gestalt
mein wahr’ Gesicht sie säh’?
Ob er will oder nicht, muss er nun auf Brautschau gehen, und er findet ein »Kind«, ein junges Mädchen, das an ihn glaubt, durch seine äußere Erscheinungsform hindurch sein Wesen erkennt. Als die märchenhafte Zeitspanne von drei Jahren vorbei ist, erhält Hans seine Gestalt zurück. Bevor er aber Luise wiederfindet, erscheint ihm, in einer ganz kurzen Zwischenszene zwischen zwei lebhaften Orchesterstücken, nochmals der Fremde, der ihn auffordert, die Schläfer auf der Plassenburg vor dem drohenden Angriff Wallensteins zu warnen.
Ist es ein Zufall, dass sich Siegfried Wagner zur Einfügung dieser Zwischenszene der Wiederbegegnung mit dem Fremden gerade an jenem Tag entschließt, als er erfährt, dass Clement Harris, mit unbekanntem Ziel, den Freunden auf Nimmerwiedersehen gesagt hat?
Zahlreiche lntendanten, österreichische und russische Gesandte sind vertreten, als am 22. Januar 1899, nach knapp dreiwöchiger Probenzeit, die Uraufführung des BARENHÄUTER am Königlichen Hof- und Nationaltheater München erfolgt. lsolde, Siegfrieds zeichnerisch begabte Schwester, hat es sich nicht nehmen lassen, Figurinen für alle Partien anzufertigen, die dem Kostümbildner des Nationaltheaters, Professor Joseph Flüggen, als Vorbild zur Neuanfertigung gedient haben. Jedoch nur zwei der sechs vorgeschriebenen Bühnenbilder wurden wirklich neu angefertigt, für die meisten Szenenbilder müssen Versatzstücke herhalten, die auch in anderen Schauspielen und Opern ihre Verwendung finden.
Hermann Levi dirigiert aus Gesundheitsgründen nicht selbst, sondern Hofkapellmeister Franz Fischer leitet die ungekürzte, viereinviertelstündige Uraufführung, die mit Heinrich Knote als Hans Kraft, Charlotte Schloß als Luise, Georg Sieglitz als Teufel und Theodor Bertram als Fremden ein sensationeller Erfolg wird. ln schneller Folge schließen sich am 29. Januar das Neue Stadttheater Leipzig, am 25. März das Stadttheater Hamburg, zwei Tage später das K. u. K. Hofoperntheater in Wien, am 7. April das Herzoglich Sächsische Hoftheater Gotha, das Großherzogliche Hoftheater Karlsruhe, Angelo Neumanns Neues Deutsches Theater in Prag und das Opernhaus Frankfurt mit Premieren an. Siebenundsiebzig Aufführungen in der ersten Spielzeit.
ln der Saison darauf folgen weitere fünfundzwanzig Bühnen und machen die Oper zum einsamen Spitzenreiter, zur meistaufgeführten Oper der Spielzeit. Auch im Ausland spielt man den BARENHÄUTER, auf englisch, französisch und ungarisch. Einzelstücke aus der Oper erscheinen in allerlei Arrangements, für Kurkapellen und Kaffeehäuser, den Klavierauszug gibt es für besonders Musikbegeisterte auch ohne die Gesangsstimmen, nur mit überlegtem Text, und in Bayreuth eröffnet gar ein Weinlokal, das den Namen der Oper trägt und sich davon besonderen Umsatz verspricht.
Siegfried Wagner leidet unter dem Rummel, will kein »Modekomponist« sein …
Peter P. Pachl
Quelle: Programmheft DER BÄRENHÄUTER, Theater Rudolstadt 1992
(behutsam redigiert)