| Persönliche Betrachtungen, nicht nur zu Siegfried WagnerMeine sehr verehrten Damen und Herren! Gerne hätte ich Ihnen berichtet: Graz, die europäische Kulturhauptstadt 2003, habe sich – aus alter Verbundenheit zum Hause Wagner – entschlossen, auch Werke Siegfried Wagners ins musikalische Festprogramm zu nehmen. Leider haben die österreichischen Festivals von Wien bis Bregenz Wichtigeres vor: Giacomo Puccini und Guiseppe Verdi sind schließlich im Repertoire des üblichen Opernbetriebes unterrepräsentiert!
Aber seien wir ehrlich, erfährt eigentlich ein anderer Komponist, der natürlich wenig mit Siegfried Wagner zu tun haben scheint, so viel mehr Beachtung als der (bis zum heutigen Tag – die Ausnahme Peter P. Pachl immer mitgedacht) in diversen Veröffentlichungen fast nur als »Sohn Richard Wagners« in Erscheinung tretende Schüler Engelbert Humperdincks? Ich denke an Kurt Weill, der eine Zeit lang ebenfalls diesen Lehrer aufgesucht und doch ein bißchen mehr geschaffen hat als »Die Dreigroschenoper« und »Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny«, diese fast ausschließlich immer wiederkehrenden Stücke. Vielleicht nicht ganz von Ungefähr hat sich gerade ein Urenkel Richard Wagners, Gottfried Wagner, mit diesem Komponisten ausführlich auseinandergesetzt.
Damit sind wir schon mitten in den Beziehungen zwischen der Familie Richard Wagners und der angeblichen »Wagner-Stadt Graz«. Die Großmutter Gottfrieds, Winifred Wagner, hat an den damals in der leidigen »Österreichischen Richard Wagner Gesellschaft« mit Sitz in Graz Tätigen die Empfehlung gerichtet, den jungen Mann, der sich zu Studien in Graz aufhielt, zur Mitarbeit einzuladen. Leider weiß ich nicht einmal, wie er darauf reagiert hätte.
Vermutlich eher sauer, denn zum einen ist er unter der künstlerisch oder wissenschaftlich hervortretenden Nachkommenschaft des Bayreuther Meisters der Einzige, der sich am Nachfolgespiel für die Leitung der Festspiele nicht interessiert zeigt. Zum anderen war in jenen Jahren (zum 100. Geburtstag Siegfried Wagners 1969) in Graz eine Biographie seines Großvaters erschienen, deren Autor, Zdenko von Kraft, der freilich erst später ihre unbewältigte Vergangenheit offen legenden Siegfried-Witwe Winifred nur recht sein konnte, vielmehr von ihr für diese Aufgabe vorgeschlagen wurde. Das vernichtende Urteil der ältesten Tochter Friedelind über dieses Buch dürfte bekannt sein. (Allerdings ließ diese auch an Peter Pachls Siegfried Wagner-Biographie kein gutes Haar!)
Doch was wußten wir jungen Wagnerianer damals schon davon! Natürlich freuten wir uns, mehr über die Familie unseres verehrten Meisters zu erfahren, gar uns durch die – mehrmalige – Anwesenheit seiner Schwiegertochter geehrt zu wissen.
Dass just sie es war, die ein Aufführungsverbot der Werke ihres Gatten bewirkt hatte – wir wußten nichts davon oder waren vielleicht doch nicht ganz so neugierig auf jene Werke, über die ein Chronist, der Siegfried Wagner selbst noch anlässlich eines seiner Graz-Besuche bei einem »gemütlichen Beisammensein mit dem Gast aus dem Frankenland, dem auf Grund seines heiteren Gemüts bald alle Herzen zuflogen«, erleben durfte, urteilt: »Die Welt seiner Opern ist zum größten Teil das Märchen, der Inhalt ist stets tiefsinnig und oft auch humorvoll, die Musik volkstümlich und rein romantisch.«
Die Theaterdirektoren, zumindest Österreichs, waren auch schon vor dem Zweiten Weltkrieg davon nicht zu überzeugen. Als letztes Werk Siegfried Wagners stand hierzulande, ein Jahr vor seinem erwähnten Graz-Besuch, nämlich 1923 in Klagenfurt, die österreichische Erstaufführung – die, wie schon gesagt, ohne Folgen blieb – von schwarzschwanenreich auf dem Programm. Lange davor hatten sich zwei nicht ganz unbedeutende Komponisten als Dirigenten für seine Opern eingesetzt: Gustav Mahler leitete im Februar 1899 an der Wiener Staatsoper den bärenhäuter, Alexander von Zemlinsky in der Spielzeit 1904/1905 den kobold in der Wiener Volksoper. Beide Werke waren um dieselbe Zeit, wie an vielen anderen Theatern auch (schließlich war Siegfried Wagner zur Jahrhundertwende 1899/1900 der meistaufgeführte Opernkomponist überhaupt!), auch in Graz zu hören, der Komponist selbst griff bei einigen Vorstellungen zum Taktstock.
In meinen sehr persönlichen Erinnerungen und Gedanken ging es mir nicht darum, ein paar historische Daten aufzuwärmen, um den Ruhm meiner Heimatstadt als »Wagnerstadt« zu dokumentieren. Richard Wagner selbst war ja nie hier, und wenn ich an eine von einem Häuflein Getreuer besuchte Festaufführung der »Walküre« an einem 13. Februar, also zum Todestag des Komponisten, in den sechziger Jahren denke oder an die Überforderung des Grazer Opernhauses (das heuer dennoch, wenn auch aufgrund einer Verdi-Regie, zum »Opernhaus des Jahres« gekürt wurde!) mit seiner jüngsten »Ring«-Inszenierung, dann kommen mir ohnehin Bedenken. Nur auf die Verhinderer von Aufführungen der Opern Siegfried Wagners wollte ich hinweisen, die es gewiss überall gab und gibt, die aber nicht unbedingt so herzlich wie hier (Wolfgang Wagner etwa ist Ehrenmitglied der Grazer Kunstuniversität) aufgenommen wurden.
Lassen Sie mich dennoch versöhnlich schließen mit einer für den in der Jury Dabeigewesenen erfreulichen Bemerkung, dass der Dirigent des banadietrich bei den Rudolstädter Festspielen 1995, Viesturs Gailis, 1988 erster Preisträger des Dirigentenwettbewerbs »Musik des 20. Jahrhunderts« im steirischen Mürzzuschlag war, und lassen Sie mich an eine Persönlichkeit erinnern, der ich musikalische Einblicke weit über Wagner hinaus verdanke und die heuer ihren 95. Geburtstag gefeiert hätte. Gestatten Sie mir bitte, dass ich an Maximilian Kojetinsky denke, den »Herrn Professor« vieler Bayreuther Festspieljahre, während der er sein enormes musikalisches Wissen an Mitwirkende – als Studienleiter und Aufführungsbesucher – als Gestalter der vormittäglichen Einführungsgespräche – auf launige Art weiterzugeben wußte, und als Grazer Kapellmeister (als diese Bezeichnung noch keine Erniedrigung des Berufsstandes, als die er heutzutage leider oftmals in Verwendung steht, bedeutete) hier auch der Letzte im Einsatz für Siegfried Wagner, wenn auch nur vom Klavier aus.
Er begleitete im Konzert anlässlich der von der Richard Wagner Gesellschaft durchgeführten Präsentation der eingangs erwähnten Biographie Zdenko von Krafts im Redoutensaal des Grazer Schauspielhauses, wo einst auch Siegfried Wagner zu Besuch war, zwei Gesänge aus Der Heidenkönig und Sonnenflammen, sowie den heute noch an der Wiener Staatsoper wirkenden Bariton Gottfried Hornik im Märchen vom dicken, fetten Pfannkuchen, jene Ballade von 1913, mit der sich – so jedenfalls der Literaturwissenschaftler Hans Mayer im Siegfried Wagner-Kapitel seines Richard Wagner-Buches – der Komponist und Librettist seinen »Überdruß und Daseinsekel … im Schatten der alten Damen … aus sich entließ.« Ernst Scherzer
Quelle: Mitteilungsblätter der Internationalen Siegfried Wagner Gesellschaft e.V., Bayreuth, XXXII, April 2003 (mit freundlicher Genehmigung des Autors; leicht gekürzt)
|