Der Bildhauer Josef Limburg (1874-1955) schildert in seinem Tagebuch, wie er 1902 in Rom erstmals Siegfried Wagner begegnete, wo dieser eine Zeit lang mit dem ebenfalls erwähnten Otto Greiner (1869-1916) und mit dem Maler Ludwig von Hoffmann (1861-1945) zusammen lebte:
Rom, im Februar 1902.
Zu einer Abendgesellschaft bei Baron von Rotenhan waren mindestens 60-80 Personen eingeladen. Ich kannte außer Sr. Exzellenz und dem Gesandtschaftsrat von Flotow niemand. Es gab ein prunkvolles Büfett und gute Weine. Plötzlich wurde bekannt gegeben, daß die Frau eines deutschen Bildhauers singen würde: ›Dich, teure Halle‹, aus ›Tannhäuser‹. Herr von Flotow trat an mich heran und sagte, daß auch Siegfried Wagner da sei.
Die ältliche Dame sang. Nicht schön, aber laut. Schrille Töne zerrissen mir mein Ohr, wie wenn eine Schnellzugslokomotive in die Eisenbahnhalle einfährt. Ich flüchtete mit einigen anderen Herren durch verschiedene Räume in ein entfernter gelegenes Zimmer. Dort ließ sich gerade ein Herr bei gedämpftem Lampenschein auf ein Sofa nieder. Ich setzte mich zu ihm. – Sie sind wohl auch des Gesanges wegen ausgerissen, redete ich ihn an. Jawohl, es ist scheußlich. Siegfried Wagner soll auch hier sein, was mag der bloß dazu sagen? Er hat es Ihnen eben gesagt, war die Antwort.
So lernte ich Siegfried Wagner kennen. Er besuchte mich im Atelier. Ich traf ihn in der Osteria Rampichino mit dem Radierer Otto Greiner beim Mittagsmahl. Oft gingen wir zusammen ins Café greco, wo einst auch sein Vater und Franz Liszt schon gewesen. Gerne hätte ich seinen feinen Kopf modelliert. Er hatte aber keine Zeit mehr. Komponierte. Wollte abreisen.
Josef Limburg, Christliche Bildwerke und Tagebuchblätter aus der Schaffenszeit, München o. J., S. 84.