Ein Beispiel dafür, wie durch Ignoranz und Unkenntnis gerade in Bezug auf Siegfried Wagner Fehler erzeugt und kolportiert werden, gibt Eva Rieger in ihrem neuen Buch: Isolde. Richard Wagners Tochter. Eine unversöhnliche Familiengeschichte. Darin zitiert sie aus einem Brief Isolde Beidlers an ihre Schwester Eva Chamberlain: »›Das war ein Müssen‹, war ›Herzensgebot‹!« und erläutert die beiden in Anführungszeichen gesetzten Zitate [Plural!] in Fußnote 46 folgendermaßen: »Zitat [Singular!] aus Meistersinger, III. Akt.«
Dies bezieht sich freilich nur auf das erste Zitat in dieser Briefstelle, das zweite erkennt sie gar nicht oder verwechselt es möglicherweise mit einer Stelle aus dem II. [!] Akt »Meistersinger« (Lenzes Gebot, die süße Not …). Jedenfalls weiß sie ganz offensichtlich nicht, dass es sich hierbei eindeutig um eine Anspielung auf eine Oper von Siegfried Wagner handelt: STERNENGEBOT (op. 5, 1906), in der es um Schicksal und Selbstbestimmung geht:
Höher als aller Sterne Gebot
waltet ein Zweites: Des Herzens Gebot!
Der Kontext dieses zweiten Zitats hätte Eva Rieger einen zusätzlichen Aspekt der Situation ermöglicht, die sie an dieser Stelle ihres Buches beschreibt, aus Unkenntnis aber weder verstehen noch einordnen kann. Die Autorin hat in dieser Hinsicht zumindest schlecht recherchiert, denn schon eine einfache Abfrage bei Google hätte ihr sogleich die richtige Spur gezeigt. Doch anscheinend hat sie sich keine Gedanken darüber gemacht, was es mit dem Zitat in dem fraglichen Brief vielleicht auf sich haben könnte, und dass es aus einer Oper des Bruders der beiden korrespondierenden Schwestern stammt, ist ihr gar nicht erst in den Sinn gekommen.
Achim Bahr
Eva Rieger, Isolde. Richard Wagners Tochter. Eine unversöhnliche Familiengeschichte, Berlin 2022, S. 277.