Ein Familienkonzert, wie es Siegfried Wagner selbst regelmäßig dirigierte, wurde am 8. und 10. Mai 2013 in Chemnitz geboten.
Das Konzert wurde souverän gespielt von der Richard Wagner-erprobten Robert-Schumann-Philharmonie, geleitet von ihrem Chefdirigenten Frank Beermann. Dieser moderierte selbst ausführlich und auf unterhaltsame Weise durch das Konzert […] Auf den flapsigen Titel »Happy Birthday, Richard – Richard Wagner zum 200. Geburtstag« des Konzerts eingehend, wies Frank Beermann auf die enge biographische Beziehung von Richard Wagner zu Chemnitz hin und die Bedeutung von Chemnitz als »sächsisches Bayreuth«. Daraufhin bezeichnete er selbst das Programm als Familienkonzert. Anlässlich Richard Wagners baldigem Geburtstag hatte sich der Dirigent entschieden, ein Stück von Richard Wagners Sohn Siegfried und eines von Richard Wagners Förderer sowie späterem Schwiegervater Franz Liszt in das Programm aufzunehmen.
Die einführenden Worte zu Siegfried Wagners VIOLINKONZERT unterschieden sich an den jeweiligen Konzertabenden: Beim ersten Konzert erwähnte Beermann Siegfried Wagners Tätigkeit als Leiter der Bayreuther Festspiele sowie seinem anfänglichen Schwerpunkt auf Architektur und bildende Kunst, bevor er sich endgültig für die Musik entschied. Er hätte »aber leider den Antisemitismus seines Vaters weitergeführt«. Auf die Musik eingehend sagte der Dirigent: »Für mich als Musiker ist aber die musikalische Qualität entscheidend.« Siegfried Wagner sei »ein Stellvertreter der deutschen impressionistischen Musik« und habe »ungemein viel komponiert; eine [sic! ] Oper mehr als sein Vater!« Seine Opern wären »aber gänzlich ungespielt, weil sie dem damaligen und teilweise auch dem heutigen Geschmack nicht« entsprächen. […]
Frank Beermann erzählte, wie er dieses Stück von Siegfried Wagner kennenlernte: Der Violinist dieses Konzerts, Juraj Cizmarovic, machte ihn auf dieses Werk und seine CD-Einspielung aufmerksam. Der Dirigent war »angenehm überrascht« und beschloss, Siegfried Wagners VIOLINKONZERT in eines seiner Konzertprogramme aufzunehmen. Dieses Familienkonzert war dazu »eine passende Gelegenheit.«
Nun ist es schwierig, im Rahmen eines Konzertabends eine so vielschichtige und ambivalente Persönlichkeit wie Siegfried Wagner kurz zu beschreiben, und ein Dirigent konzentriert sich selbstverständlich auf die Musik. Dennoch ist es bedauerlich, dass beim Wiederholungskonzert Frank Beermann vor dem VIOLINKONZERT mit den Worten einführte, dass Siegfried Wagner »aufgrund seiner politischen Aktivitäten in Vergessenheit geraten« wäre; er sei »mit Adolf Hitler befreundet gewesen und habe ihn gefördert.« Die privaten und öffentlichen philosemitischen Bekenntnisse Siegfried Wagners in den 20er Jahren sowie seine deutliche Distanz zu Hitler spätestens ab 1926 nach der Lektüre von »Mein Kampf« sind Frank Beermann offensichtlich unbekannt.
Er erkannte aber ganz klar, dass Siegfried Wagners Musik »mitnichten etwas mit Nationalsozialismus zu tun hat.« Seine Musik erinnere »an die damalige Wiener Schule, man denkt an Arnold Schönberg und Alban Berg.«
Das Orchester spielte unter der Leitung von Frank Beermann sicher und dynamisch Siegfried Wagners unbekanntes Werk. Der Violinist Juraj Cizmarovic begeisterte mit seiner virtuosen, leidenschaftlichen Interpretation, was das aufmerksame Publikum mit regem Beifall dankte. […]
Es war ein gelungener, interessanter Konzertabend mit einem engagierten Dirigenten, der zeigte, dass Siegfried Wagner auch im Konzertsaal überzeugen kann. Wünschenswert wären weitere Familienkonzerte – nicht nur im Richard Wagner-Jubiläumsjahr – vielleicht gar eine Wiederbelebung dieser Tradition wie zu Lebzeiten Siegfried Wagners.
Willfried Erens
Quelle: Mitteilungen der ISWG XLIV/2013 (leicht gekürzt)