Es beginnt mit einem abgründigen Schrei, der die fröhlich verkleideten Kinder auf der Stelle gefrieren lässt. Und mit einer Szene wie in der romantischen Oper: Der Meister liegt entseelt auf den Dielen des Palazzo Vendramin, über ihn hingegossen beschwört Cosima seine Unsterblichkeit. Dann lässt sie die Kinder einen Schwur tun: Ihr Leben für Richard Wagner. Eine unheimliche, beklemmende Szene. Ihr Echo findet sie am Ende des 108-minütigen Trips durch die Fährnisse des »Wagner-Clans«: Da reißen die Enkel im Takt die Ärmchen zum »Sieg Heil« in die Höhe – und man blickt in das verzückte Gesicht Winifreds, als Onkel Wolf an Wahnfrieds Türe schellt.
Dazwischen Geschichte, getaktet in den raschen Szenen einer gut geschnittenen Soap: Der Wagner-Clan, ausgestrahlt im ZDF am 23. Februar 2014 als Nachklang zum Wagner-Jahr, nennt sich eine Familiengeschichte. Mit Iris Berben im Zentrum, als unbeugsamer Cosima zwischen maßlosem Sendungsbewusstsein, eiserner Härte und dämonischer Fürsorge. Mit Petra Schmidt-Schaller, der eindrücklichsten unter den starken Frauen des Films, als Isolde, der Vater Wagner den wotanischen Kuss der Rebellin auf die Stirne gedrückt hat. Den bitteren Weg dieser Frau aus einer selbstbewusst-unbeschwerten Jugend in die Arme des ehrgeizigen Franz Beidler (Felix Klare) – der keine rechte Sympathie wecken will – bis zur Erniedrigung des Vaterschaftsprozesses und zum einsamen Schwindsucht-Tod gestaltet Petra Schmidt-Schaller als wohl berührendste Lebens-Studie des Films.
Zur Trias der entschlossenen Frauen – dazu gehört noch die eher im Hintergrund ihre Fäden spinnende Eva Chamberlain (Eva Löbau) – haben Buchautor Kai Hafemeister und Regisseurin Christiane Balthasar den einzigen Sohn und designierten Erben Siegfried als Kontrastfigur aufgebaut. Dazu haben sie sich nicht nur die historischen Fakten zurechtgebogen, sondern auch die Klischees bestätigt, die sich in der Wagner-Familien-Literatur hartnäckig halten, ohne auf ihre Quellenbasis überprüft zu werden.
Schwul, schwach und schön zeichnet Lars Eidinger den versagenden Kronprinzen Siegfried Wagner: Als Dirigent ist er mies; Schwester Isolde muss ihm die richtigen Bewegungen beibringen und ihm die linke Hand abtrainieren. Als erfolgloser Komponist verursacht er Schulden, die das Familienvermögen belasten. Als Mann verweigert er lange die Sicherung der Dynastie. Stattdessen interessiert ihn, den melancholischen Schatten in den Brokatvorhängen großbürgerlicher Salons, die Flucht auf die Fidschi-Inseln. Und ein junger Mann (Vladimir Burlakov) mit dem Gesicht und dem Körper eines Gay-Magazin-Models.
In diesem Dorian fließen Siegfried Wagners Freund Clement Harris und die immer wieder erraunten Bayreuther Sex-Bekanntschaften zusammen: Der dramatische Höhepunkt der Entdeckung der beiden nackten jungen Männer durch den treffsicheren Schnüffler Chamberlain (Heino Ferch als »Untertan«-Typ) mit der fassungslosen Cosima im Schlepp endet mit dem Tode Dorians. Der Film lässt offen, ob er sich selbst entleibt oder von Chamberlain erschossen wird. Siegfried endet früh gealtert als Schatten seiner selbst am Familientisch seiner lebensvoll-üppigen Gattin (Katharina Haudum).
Dass Siegfried Wagner mit seinen eigenen Opern fast zwanzig Jahre lang erfolgreich war, dass er als weltweit gesuchter Dirigent reüssierte, der mit unermüdlichen Gastauftritten die Familienkasse füllte, dass nicht verdrängte Bisexualität oder mütterlicher Zwang zum Entschluss führte, Komponist und Dirigent zu werden, sich der Leitung der Festspiele anzunehmen und gegen den Widerstand der Wagnerianer-Cliquen innovativ zu wirken – all das spielt keine Rolle. Die Figur Siegfried Wagner wird dem »kontrastreichen modernen Fernsehdrama« angepasst. Wie hieß es im Vorspann doch: »Frei erzählt nach wahren Begebenheiten«.
Werner Häußner